Persönlich und politisch

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Peter Demetz' Geschichte Prags von den 20er- bis in die 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Brückenangst in Prag: Schwankt der Boden unter den Füßen? Fließt der Fluss aufwärts? Oder steht das Wasser still und die Brücke fährt? Bleibt der Passant über den steinernen Bögen wie verwunschen in Vergangenheit verbannt?

Im letzten Jahrhundert gab es mehr als genug Anlass für solche Brückenangst in Prag. Die Erschütterungen mit ihren Nachbeben kamen in 8er-Jahr-Intervallen, vom Zerfall der Donaumonarchie (1918) über das Münchner Abkommen (1938, mit der Nazi-Okkupation erst des Sudetenlands, dann ein halbes Jahr später des gesamten "Protektorats Böhmen und Mähren"), die Machtübernahme der stalinistischen Kommunisten (1948), der russischen Panzer (1968) bis zum - von der Geschichte bestraften, weil verspäteten - Zerfall des Ostblocks (1989). Unmöglich für Generationen, nachts ohne Unbehagen auf Prager Brücken zu stehen und in das schwarze Wasser der Moldau zu starren.

Vielsprachiger Kosmopolit

Peter Demetz, Prager aus den USA mit südtirolisch-katholischer Vater- und jüdisch-tschechischer Mutterverwandtschaft, hat sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs schon öfter schreibend mit seiner geschundenen Heimatstadt befasst, in der Historiografie "Prag in Schwarz und Gold" wie auch zuletzt in den berührenden Essaybänden "Böhmische Sonne, mährischer Mond" und "Böhmen böhmisch".

Wer könnte das authentischer als der kosmopolitisch-vielsprachige, längst auf Englisch schreibende emeritierte Literaturwissenschaftler aus Yale, der seine Großmütter zuhause noch ladinisch bzw. jiddisch sprechen hörte, der neben Kafkas Elternhaus wohnte und die ganze Zeit, trotz Gestapohaft und Zwangsarbeit, bis zur Machtübernahme der Kommunisten an seiner Geburtsstadt festgehalten hatte? Der miterleben musste, wie Mutter und Großmutter nach Theresienstadt deportiert wurden, von wo sie, wie weitere jüdische Verwandte, nie wiederkehrten.

Zeitgeschichte und Erlebnis

Sein Erinnerungsband "Mein Prag" stellt die persönliche und die politische Geschichte der Stadt von den 20er- bis in die späten 40er-Jahre in unterschiedlichem Tonfall, auch in verschiedenen Schrifttypen, nebeneinander. Sehr zum Vorteil des Lesers: Er wird von dem Lotsen Peter Demetz streckensicher durch die Schreckensfahrt tschechischer Historie der Zeit geleitet und draußen, gleichsam auf dem offenen Meer autobiografischen Erinnerns, von dem bestechend souveränen Erzähler gleichen Namens empfangen.

Der lässt ihn in weitläufigen Zeitgeschichtserkundungen ebenso wie in berührend persönlichen Erlebnisberichten das mörderische, aber auch widerstandsfördernde Klima der Jahre deutscher Okkupation miterleben: Die vergebliche Liebe des schüchternen Halbjuden zu einer sudetendeutschen Medizinstudentin etwa, die nicht ohne Komik verläuft, jedoch tragisch endet - die junge Frau wird 1945 Opfer eines Fliegerangriffs der Alliierten. Oder die nachfühlbare Aura der lebensgierigen, modebewussten Mutter, die der Sohn anstelle des fortwährend abwesenden Vaters beim schweren Gang zur Deportation begleiten muss. Das schillernde Porträt des Vaters dagegen als eines so liebenswürdigen wie unsteten Luftmenschen, der als Theatermann viel für die Thalia-Kultur Prags (und Brünns) getan hat und somit als Lebens-Jokulator vom Sohn Absolution erhält: "ein pikaresker Held seiner Zeit".

Unterschwellig kollidierten im Prag von Peter Demetz' Jugendzeit ständig die geharnischten Ideologien von germanischem und tschechischem Nationalismus, von bürgerlichen und kommunistischen Gesellschaftsmodellen, niedergedrückt von der blanken Gewalt der NS-Diktatur. In den Künsten wich die blühende Avantgarde der Ersten Republik, wo nicht überhaupt gleich der Stagnation, so doch zumeist dem nostalgischen Rückfall in einen romantischen Historismus. Und auf der (tschechischen) Karls-Universität kapitulierte manch widerstandsbereite Bildungszelle nach der frühen Schließung (und der Deportation von 1200 Studenten und jüdischen Professoren in Konzentrationslager) durch die Okkupationsmacht vollends.

Der Germanist Peter Demetz legte, nach deutscher Lagerhaft und Zwangsarbeit, 1947 seine Doktorarbeit über Franz Kafka vor; in den USA wiederholte er dann das Dissertationsverfahren. Die Studienwahl, die letztlich der illustren Lebenslaufbahn dieses Grandseigneurs seines Fachs die Richtung vorgab, muss als Tribut an die deutsche Kultur gewertet werden - und damit als des Autors eindrucksvoller Triumph über die besiegte Barbarei.

Mein Prag

Erinnerungen 1939 bis 1945

Von Peter Demetz

Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Schaden

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007

384 Seiten, geb., € 25,60

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