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Peter Anich, der STERNSUCHER

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6. Fortsetzung

Der Vater wußte gleichfalls von einer geheimnisvollen Zahl, die da mitspiele, doch ob es just und genau die Drei sei, wußte er nicht. Er als Drechsler, sagte er, bedürfe ihrer ja auch nicht, er mache eine Kugel so und so groß und aus diesem und jenem Holze, und daß sie ohne Tadel gerate, das sei eben seine Kunst. Im übrigen werde Peter diese Berechnungen in Innsbruck erlernen neben anderen nötigen und nutzlosen, vorausgesetzt, daß es ihn im Herbst noch nach Innsbruck verlange.

Diese Andeutung berührte den Burschen weiter nicht. Die Kugeln und noch mehr das Sonne-, Mond- und Erdespiel riefen einen noch älteren Traumwunsch in ihm wach. Und wie alles, was so durch seine Gedanken ging, seit der Kirchturmnacht klarer und entschiedener an ihn herantrat, ja als hätte er vorher bloß gespielt, jetzt wußte er plötzlich, daß er den Sternenhimmel, war er nur erst einmal so weit, nicht auf einem noch so umfänglichen Papier, sondern nur auf einer Holzkugel richtig verzeichnen konnte. Er bedurfte dazu freilich einer ungewöhnlich großen Kugel, einer, die mit der väterlichen Drechselbank kaum zu drechseln oder nur aus kleineren Kugelteilen zusammenzusetzen war. Für diese Teile brauchte er ganz ausgezeichnete Zirkel und Maßstäbe, diese aber mußte er mit der Geheimniszahl genau berechnen. So befriedigte ihn denn auch kein Plan, wenn er auch deren einige hatte, an den Vater aber trat er diesmal gar nicht. mehr heran.

Für - eine andere Frage, die den Geschwistern ehedem ein arges Kopfzerbrechen verursacht hatte, fand die kleine Leni jetzt beinah die rechte Antwort. Seit sie nämlich durch Peter erfahren hatte, dieTrde sei eine schön runde, wenn auch riesige Kugel, die im Räume schwebe und noch dazu nicht aufrecht, sondern leicht geneigt, kam sie mit allerlei peinlichen Fragen daher. Wenn diese Erdkugel so schön im Räume schwebe und noch dazu nicht aufrecht, sondern leicht geneigt, dann müsse wohl auf der anderen S,eite der Kugel auch ein Roßkogel und eine Hohe Munde vorhanden sein, sonst bleibe die Kugel nicht so schön im Gleichgewicht, ohne daß man ein Schwanken und- Zittern verspüre. Und wenn ihr Peter dann versicherte, die Erde sei so gewichtig, daß irgendein Flaufen Gestein auf der anderen Seite für dieses Gleichgewicht genüge, es brauche ja nicht genau die Hohe Munde oder der Roßkogel sein, mit den Leuten auf der Gegenseite gelang ihm dies nicht so leicht und niemals gänzlich. Er mißtraute dabei wohl auch seinen eigenen Gedanken. Wenn nämlich auf der nach unten gekehrten Seite auch Menschen lebten, und daran war nach den Berichten im Brixnerischen Schreibkalender nicht zu zweifeln, ob sie auch gemütlich und gesund leben konnten, dessen war er nicht sicher, ja das Blut stieg ihm zu Kopf, wenn er sich selbst in Gedanken auf die andere Seite versetzte. Tag um Tag die Beine oben, den Schädel unten, die Sterne aber immer unter sich wie das Spiegelbild eines ungeheuren Teiches. So vergnüglich sicher wie in Tirol war das Leben dort unten nicht, obgleich die Berge vielleicht leichter zu ersteigen waren. Eine Frage an den Kuraten oder an den Vater dünkte ihn stets vergeblich, weder der Vater hoch jener hatten ja jene Gegenden selbst geschaut, und er hatte auch genugsam erfahren, daß die Alten just die gewichtigen Fragen wie ein ausgewachsenes Kinderei belachten. Also hatte er sich in früheren Tagen damit vertröstet, die Gegenfüßler wüßten es eben nicht besser und täten schlecht und recht, was ihnen ihre Lage und die umgekehrte Natur vorschreibe. Immerhin wußten ja auch die anderen Oberperfer Burschen nicht um die unergründlichen Geheimnisse des tirolischen Himmels und waren dabei glücklich,

An jenem Samstag aber, die Mutter wirtschaftete im Gemüsegarten, Kathi wischte die oberen Schlafstuben auf und der Vater hämmerte im Stadl, hörte Peter die kleine Leni von der Stube her seinen Namen rufen. Sie kam ihm denn auch schon im Vorhaus aufgeregt entgegen, legte den Finger an den Mund und geleitete ihn sachte nach der Stube. Sie habe eine ganz herrliche Entdeckung gemacht, flüsterte sie. Dabei deutete sie auf die große Kegelkugel, die blank gegen die noch immer helle Dämmerung auf dem Tische lag. Auf dieser Kugel aber kroch eine dicke Fliege. Jetzt saß sie auf dem höchsten Punkte, dann kroch sie gemächlich weiter, das atemlose Kind bedeutet ihr mit den Händchen, sie möge sich schleunen, sie folgte auch wie ein gehorsames Tierchen und krabbelte die andere Seite der Kugel nach abwärts, immer tiefer und tiefer, bis sie gemütlich auf der unteren Seite ganz nach der Tischplatte zu sitzen kam. „Da hast es“, schrie die Kleine jetzt heraus, „die große dicke Fliege wird nicht schwindlig, warum sollten dann die Leute mit den Füßen nach oben nicht genau so sicher spazieren, wo sie doch noch viel kleiner sind als diese Fliege, viel kleiner.“

Da aber Peter dem Schwesterchen eben zustimmen wollte, erhob sich der Brummer, summste an ihren Nasen vorbei und ließ sich am Fenster nieder. „Die Leut da unten haben ja auch keine Flügel wie die Engel“, sagte Peter nachdenklich, „ich wenigstens weiß nichts davon.“

So blieb denn auch jene gewichtige Frage für die beiden ungelöst. Sie hatten aber auch im Eifer den Vater nicht hinter sich bemerkt. Er tat dann, als habe er von all dem Wichtigen nichts vernommen. Er schickte die Leni zur Mutter in den Garten und legte die große Kugel wieder zu den 'kleineren. „Morgen gehst du mit nach Gries zum Kirchebner“, sagte er dann, „es ist nützlich, wenn du einmal andere Leute siehst und auf ernsthaftere Gedanken kommst.“ I

„Warum sollte ich just beim Kirchebener auf ernsthaftere Gedanken kommen?“ fragte Peter. Die Hitze stand ihm noch im Kopf.

Der Vater blieb karg. „Das wirst du schon sehn. Auch kann ich alter Mann die schweren Kugeln und Kegel nicht allein tragen.“

„Das soll der Vater freilich nicht“, sagte Peter. Später dachte er dann, der Vater wolle die paar Wegstunden über mit ihm allein über jene ernsthaften Dinge sprechen, die ja nun längst zwischen ihnen waren, das dünkte ihn gar keine so üble Aussicht. Fragen und sehr gewichtige Fragen, Bitten an den Vater hatte er genug.

Es war abgemacht, daß sie mit der frühen Sonne das Haus verlassen sollten und so, wenn sie in der Kühle des zeitigen Tages wacker ausschritten, in Seilrain die Messe hören konnten. Selbst wenn sie dann im Wirtshaus ein zweites Frühstück nahmen, konnten sie gemächlich auf dem immer steileren Wege gegen Mittag Gries erreichen. Die Jausenzeit war dann den Kirchebnerleuten zugedacht, die Heimkehr hatten sie für die Dämmerung versprochen. Der Anich-vater liebte einen klar abgeteilten Tag, er ward auch, soferne er größere Dinge vorhatte, um so umgänglicher, je peinlicher die Wanderung nach seiner Vorberechnung ablief.

An jenem Sonntagmorgen fügte sich auch das Wetter seinen Plänen. Nach einem leichten Nachtregen stiegen die Nebel langsam, und wenn die Sonne bereits irgendwo durchkam, war sie frühlinghaft. Sie schritten deshalb wacker aus, Peter mit dem Kegelsack voran, Ingenuin mit den Kugeln hinterdrein. Über den Bühel schritten sie und am Badhause vorbei. Sie schwiegen aber noch, als sie bereits das Sträßlein gewonnen hatten, das an weitläufigen Weilern vorbei hoch am Hang über dem unwegsamen Tale gegen die Hinterburg und St. Quirin führt. Über eine Stunde waren sie schon unterwegs, ehe sie eine Bäuerin in ihrem Gärtchen antrafen. Sie staunte ein wenig, als sie der beiden ansichtig ward, und rief über den Zaun, die Bauern hätten es in diesem gesegneten Jahre gut, denn sie könnten die ganze liebe Woche über ernten und damit Geld einheimsen; auch die Drechsler hätten es gut, denn sie holten sich jeden Sonntag einen Batzen Geld heim, aber ein Bauer und ein Drechsler zugleich, der sei doch von einem Grafen nicht mehr weit. Er fühle sich auch längst als ein richtiger Graf, rief der Vater zurück, nur hätten es die Leut noch nicht gemerkt. Jetzt aber freue es ihn, daß wenigstens die Ebnerbäuerin es wisse. Bei ihrem gesegneten Mundwerk sei das Geheimnis dann bald dem ganzen Tal offenbar. Sie würden aber Jaunen, wa* das Geschlecht der Aniche noch in der Welt leisten werde.

Peter, so sehr das heitere Wesen des Vaters ihn auch vergnügte, dachte freilich allzusehr, wie viel schöner das alles noch wäre, die Luft und die Sonne und die Leute, wenn sie jetzt bereits durch Kematen gegen Innsbruck wanderten, zu Völs in die Messe gingen und zu Mittag bereits vor den gelehrten Herren stünden. Er behielt solche Gedanken jedoch bei sich. Es kamen ihnen ja auch jetzt die ersten Kirchleute auf dem Weg.nach Oberperfuß entgegen, und jeder begrüßte sie und fragte, wohin sie so zeitig auswären. Auch lobten sie die schönen Kegel und staunten, daß der Anichbauer sie mitten in der Erntezeit verfertigt habe. Auch wie das Korn unten stehe, fragten sie, und der Türken und der Flachs, und sie waren es zufrieden, daß die Früchte in den gesegneteren Lagen reichlich gediehen, Und lobten das frische Bergheu und das fette Gras auf den Almen. Auch für Peter hatte jeder ein freundliches Wort. Er sei nun bereit ein großer Bursch und der Vater könne leicht seine Freude an ihm haben. Wenn sie ihm aber dann die Hand drückten, taten die meisten freilich ein wenig verlegen.

Gar als die Leute gegefl St. Quirin ins Tal der Mellach niederstiegen und also den gleichen Weg mit den beiden hatten, und vor der Messe in Seilrain und nachher im Wirtshaus ging ein Grüßen und Fragen los, just als sei einer ins Dorf gekommen, den man nun genau betrachten wollte, ob er denn auch tatsächlich so sei, wie das Gerücht ihn beschrieb. Selbst die Buben schauten zum Fenster herein.

Und wenn auch ohne jeden Zweifel diese Aufmerksamkeit mehr dem Buben als dem Vater galt, so fiel doch kein Wörtchen über den Kirchturm und die Sterndeuterei, wenigstens ward in der Wirtsstube keines vernommen, dafür ließ sich der Wirt Kugeln und Kegel zeigen und bestellte gleichfalls eki neues Spiel für das nächste Frühjahr, gaben die Bauern Butterfässer, Mohnstößel und Hammerstiele in reicher Zahl in Auftrag, schrieb der Vater alles mit Eifer und Lust in sein Büchlein, als sei er nur dieser Geschäfte wegen nach Seilrain gekommen.

Nur als dann di? Rede auf den Kirchebner kam und der Bauer sagte, daß“ sie bei ihm einkehren wollten, fragte einer, ob sie mehr des alten Kirchebher oder der Vroni wegen dahin gingen, Peter starrte den Vater an. Der aber lachte heraus. Das mit der Vroni habe wohl noch 7eit, sagte er, obgleich sie so übel nicht sei. Er denke auch noch nicht an das Ausnahmestüberl und fühle sich arbeitskräftig wie kaum zuvor Aber uneben sei die Vroni gewiß nicht, und was sie nicht sei, könne noch werden. Er sagte das ganz ernsthaft, worauf die Bauern und Burschen schmunzelten, die beiden Töchter des Wirtes aber übermäßig kicherten und es dann seltsam still in der Stube ward.

„Warum hat der Vater auch so dahergeredet?“ fragte Peter dann, als sie bereits den schmalen Steig längs des Flusses gegen Gries hinanstiegen.

„Weshalb sollt ich den Gänsen die Hetz verderben? Eben deshalb.“

„Der Vater könnte ja so denken“, begann Peter wieder nach einer Weile, „das kann ich ihm nicht verwehren. Aber ehe ich nicht in Innsbruck war und weiß, was mir mir ist, kann ich an kein Weiberleut denken. Das muß doch der Vater einsehn.“

Der Bauer verschnaufte ein wenig: „Ich weiß nur nicht, was das miteinander zu tun hat. Innsbruck und die Weiberleut. Es sei denn die Frage, welches von beiden das Wichtigere ist.“

„Ob ich in Innsbruck den rechten Lehrer finde.“

„So denkst du.“

Das brachte nun freilich keine geringe Verwirrung über den Burschen. So neu war das alles. „Ich habe wirklich noch niemals an ein Mädchen gedacht“, Sagte er später, „wirklich noch gar nie.“

„Deshalb ist bald Zeit, daß du es tust. Hast doch die Gäns lachen gehört.“

„Deshalb, meint der Vater?“

„Deshalb.“

An einer Wegbiegung, da sie über den zu ihnen heraufragenden Fichten den Roßkogel mächtig und im Eise glitzernd vor sich hatten, rasteten sie ein wenig. Der Vater klagte über den geringen Atem, und auch Peter schien, der Vater gehe sich schwerer als früher, ja er sei im Gesicht rot und überrot, obgleich sie doch längst im Schatten und nicht allzu schnell dahinschritten. „Ich will den Vater nicht erbösen“, sagte er jetzt, „aber wenn der Vater mit solchen Gedanken umgeht und bald eine Tochter im Haus haben will, was ja sein Recht ist, denn die Aniche sollen auch fürder auf dem hart erworbenen Hofe sitzen, dann wird der Vater um so rascher an sein Ziel kommende eher er mit mir nach Innsbruck geht. Dann wäre es aber gut, wenn ich schon jetzt die Zeit besser nutzen könnte und aus Büchern lernen, was ich in Innsbruck, brauchen werde.“ Er habe deshalb schon lang eine Bitte an den Vater und diese für heute aufgespart. Der Vater kenne und schätze doch den Pater Bernhard aus Stams, und auch der Pater Bernhard sei, wie er von der Mutter wisse, dem Vater gewogen. Es wäre deshalb sehr schön und überaus nützlich, wenn der Vater an einem der nächsten Sonntage mit ihm nach Stams hinüberginge und dem Pater Bernhard die ganze Sache vortrüge. Wenn einer, so wisse jener Pater und Freund des Vaters doch sicher; lieh, welche Bücher er, Peter, fürs erste wählen solle, ja er habe diese Bücher wohl in der riesigen Bücherei des Klosters und könne sie ihm leihen. Er kenne aber auch sicher die Herren Professoren in Innsbruck und werde ihm einen der Herren empfehlen, wenn der Vater ihn darum bitte. Der Weg nach Stams sei auch nicht weiter als jener nach Gries, aber weniger beschwerlich, und man könne, gehe'man zeitig von daheim fort, auch in Telfs bei den Kaufleuten einkehren.

(Fortsetzung folgt.)

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