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Peter Anich, der STERNSUCHER

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7. Fortsetzung

„Seltsam, seltsam“, sagte der Vater dann im Weitergehn. „Jeder andere Bursch fragt, ob die Dirn eben ist oder uneben und ob sie ein schönes Stück Vieh mit in die Ehe bringt und was es bei einem jungen Weibsbild eben zu fragen gibt. Du willst, scheint es, erst diese Sachen in der Klosterbibliothek in Stams studieren und in Innsbruck deinen Verstand prüfen lassen. Seltam, seltsam.“ Er rang jetzt wieder nach Luft, und Peter wußte nicht, ob der Vater vom Steigen so außer Atem war oder vor Verwunderung. „Wenn einer ein Weib heimführt, soll er wohl die Sache mit klarem Kopf und kühlem Herzen bedenken, das ist recht so und im Bauernstand wichtiger als in jedem anderen. Ich und die Mutter täten uns über eine feine Schwiegertochter wohl freuen, aber helfen kann ich dir dabei nicht. Ich rede dir auch nichts drein.“

„Dann ist es schon gut“, sagte Peter.

Der Adlerwirt war über den Sonntag nach St. Quirin gegangen, und Ingenuin pries sich glücklich, daß sie ihn nicht unterwegs getroffen hatten. Er behielt diese Freude jedoch bei sich wie jene andere, daß die Geschichte mit der Vroni wohl leichter laufen werde, als er befürchtet hatte. Die Wirtin, ein kränkliches Weib, nahm die Säcke mit den Kegeln und Kugeln wohl in Empfang, brummte, sie hätten die Lieferung erst zu Martini erwartet, und tat so, als gingen sie die Gäste weiter nichts an. Der Mann werde schon bald kommen und bezahlen, sagte sie. Es sei nicht nötig, antwortete der Bauer, der Wirt könne das Geld auch dem Kirchebner übergeben, der käme sicher bald nach Oberperfuß, er oder die kleine Vroni. Die'Speck-knödel waren kleinwinzig, und der Wein, der ihnen, da sie nun einmal dasaßen, vorgestellt ward, schmeckte eher nach Essig. Doch der Vater fand kein Wort des Tadels, wo er doch sonst gern über einen neidigen Wirt loszog. Sie brachen rasch wieder auf, und auch Peter war es zufrieden; je eher sie zum Kirchebner kamen, desto früher konnten sie wieder daheim sein.

Der Hof, dem sie über einen steilen Waldhang nun zustrebten, lag auf einer mehr flachen Blöße inmitten der dazugehörenden Felder und Wiesen. Sie verschnauften bald wieder, betrachteten die hier noch grünen Beeren und das erst halbreife Korn und sogen den herben Duft des Bergheus. Der Vater pries die freie, sonnige Lage des Hofes und den Blick auf den Roßkogel gegenüber, ' auf dem der Kirchebner seine Almen hatte. Auch lobte er den mächtigen Steinbau mit dem noch hellglänzenden Schindeldach. Peter aber wußte nicht„ woher ihm auch jetzt noch so schwere Gedanken kamen. Ob ihm bloß die hellen Kalkwände fehlten oder die Berge zu nahe waren, das schmale Tal beengte ihn gewiß. Es war auch nicht ein Viertel des gewaltigen Himmels über ihm, wie er ihn von Oberperfuß her gewohnt war, am ärgsten aber vermißte er den freien Blick auf die ferne Stadt.

„Wir brauchen ja nicht schon am nächsten Sonntag nach Stams hinüber“, sagte er aus so viel Bedrücktheit heraus, „auch zu Maria Geburt ist es noch früh genug. Dann ist die ärgste Feldarbeit vorbei und noch immer Zeit genug zum Lernen.“

„Jetzt fragst du mich?“ sagte der Vater und blickte seinen Buben schier fassungslos an. „Nein, zu Maria Geburt ist genau so wenig Zeit wie am nächsten Sonntag. Hast doch selbst heut von den vielen Bestellungen gehört. Du meinst, ich darf also nicht einmal an einem Sonntag ausruhen. Acker und Drechselbank, für einen hohen Fünfziger ist das zu viel. So ein Weg ist für einen alten Mann keine Erholung mehr, ich spür es schon heut.“ Dafür habe er aber auch in seinem Leben bereits einen weiten Weg hinter sich, vom Hirten über den Köhler und Schneider bis zum Bauern Er habe sein Leben schon viermal gelebt und nicht bloß einmal, wie die anderen Bauern, und auch viermal seine Kraft verbraucht. Wenn er aber nun daran denke, wie lange er noch werken und schuften müsse, dann komme ihn wohl das Grausen an.

„Ich will doch dem Vater, das kann er gewiß sein, mehr noch und emsiger helfen, ein fauler Kerl war ich ja auch bisher nicht.“

„Ach Gott“, seufzte der Alte unwillig, sie standen nun schon vor dem Hofe, „wenn du erst einmal in Innsbruck bist oder dich dann im Land draußen als Feldmesser herumtreibst, wirst du mir emsig helfen.“

Peter tat jetzt keinen Schritt weiter. „Mit dem Feldmesser war der Vater doch einverstanden“, sagte er, und da er keine Antwort erhielt und der Alte langsam voranschritt: „Es braucht ja auch den Vater nicht. Er soll sich ausruhn. Er braucht nicht nach Stams, sowenig wie es heute den Weg daher-auf gebraucht hat. Ich kann auch ganz gut allein nach Stams mnüber. Gibt mir der Vater bloß einen Brief an den Pater Bernhard mit.“

Der Bauer schüttelte jedoch den Kopf, brummte auch etwas von der alten Kirch-turmgeschichte und daß die Murjtei dann vor Angst daheim umkäme, wenn er in Stams ein ähnliches Stücklein aufführe, gar wenn ihm unterwegs ein Komet vor die Augen kam. Aber Peter sprang nun plötzlich vor und vertrat dem Vater den Weg. Ein Wort müsse der Vater noch anhören, ehe sie unter die fremden Leute kämen, rief er. Erst rede er vom Heiraten und Verlieben so, als sei er, Peter, mit seinen neunzehn Jahren bereits überzeitig, dann stelle er ihn im gleichen Atem wie einen dummen, ja närrischen Buben her. „Wenn die Mutter aber Angst hat“, setzte er nach einer Weile hinzu, „dann geht ja jede Woch auch die Bötin nach Telfs hinüber und um ein paar Kreuzer sicher auch gern die anderthalb Stunden weiter nach Stams Es ist wohl nicht das nämliche, ob ich den Brief selbst überbringe und dem Pater Bernhard gleich Rede und Antwort stehe oder die alte Bötin, aber , besser noch ein Brief durch die Bötin als gar nichts.“

„Das kann man auf dem Rückweg bedenken“, sagte der Vater ruhig, „ein ungenügender Schritt ist zumeist schlechter als gar keiner, auch in • deinem Fall. Das verstehst du noch nicht.“

Es schoß aber jetzt ein weißer Spitz mit mächtigem Gekläff hinter dem Stade! hervor, und hinter dem Hunde 4tam ein Mann, größer gewachsen und hagerer als der Vater, wohl auch um ein paar Jahre älter. Er pfiff den Hund zurück, schirmte die Augen gegen die Sonne, kam dann rasch näher und reichte dem Anichbauern die Hand. Das Unverhoffte, rief er aus, sei doch noch immer das. Schönste auf der Welt. Nun brauche qr sich weiter auch nicht bekümmern, wie er den stillen Sonntagnachmittag allein verbringen werde. Die Resi sei nämlich auf Krankenbesuch bei der alten Eglauerin in St. Sigmund oben, die Vroni aber bei ihren Jenneweini-schen Freundinnen. Er habe wohl von dem neuen Kegelspiel vernommen, es aber und damit den lieben Besuch erst zu Martini erwartet. Im Sommer sei es freilich auch in Gries noch viel schöner.

Er habe das Kegelspiel rascher verfertigt, entgegnete der Anichvater darauf, weil er bei seinem alten Freunde um einen neuen Ochsen anfragen wolle. Aber wenn auch kein Tier für ihn im Stalle stehe, er habe sich längst auf eine Stunde im Kirchebner-hofe gefreut.

Sie betraten dann das Haus und die geräumige niedrige Stube, die sie mit der reichgeschnitzten Decke fast herrschaftlich, aber doch dabei sehr wohnlich empfing. Jetzt nahm sich der alte Kirchebner auch den Buben vor, pries seinen guten Wuchs und sagte, er wisse ja, daß der Vater an ihm eine rechte Hilfe habe bei der Feldarbeit und an der Drechselbank. Ihn selbst aber hieß er um seines wackeren Vaters willen glücklich, denn der Anichbauer wisse von der Welt und vom Leben mehr als hundert Bauern zusammen, gar die einschichtigen in den Tälern. Dann zeigte er. Peter die wohlgeschnitzten Sterne an der Decke, auch den hinter Glas gemalten St. Georg mit dem Drachen ober der Stubentür, die hochgebaute Standuhr, das kleine Klapptischchen, die schön bemalten Krüge im Kasten und was es fürs erste zu beträchten gab. Er redete dabei, schien es Peter, wie einer, dem das Reden leicht fällt und der auf jede Frage eine treffende Antwort weiß, sich dabei aber in einer seltsamen Verschmitztheit unwissender stellt, als er ist. Ja, es dünkte Peter, dieser Mann wisse sicher auch Bescheid, ob die Zahl Drei die rechte für Kreis. und Kugel sei.

Während der Bauer dann Enzianschnaps und Speck aus der Kammer herbeiholte, besahen sie all die schönen Dinge noch einmal und, da der Vater ja schon öfter im Kirch-ebnerhofe gewesen war, noch manches dazu, was sie vorher übersehen hatten. Fast gefielen ihm jetzt die Türen des Kastens noch besser als die Krüge und Teller darin. Da war in kleinen Feldern blau auf blau jeweils eine Stadt abgebildet, eine Burg, gar ein Bild aus fernen Ländern gemalt mit Palmen und Löwen, Elefanten und seltsamen Blumen. Aber Peter hatte auch noch niemals eine kunstvollere Standuhr gesehn. War doch im Ziffernblatt oben statt des Zwölfers eine Scheibe ausgeschnitten, in der das erste Mondviertel aus leuchtendem Messing gebildet glänzte. Wenn die Uhr gehe, sagte der Vater, sie ging nämlich nicht, dann erschienen in dem runden Loche jeweils bei jedem Mondbrüch auf den Tag genau Sichel, Viertel und Vollmond, an Stelle des Neumondes aber ein zierlich gemalter St. Florian, daß er in den mondlosen Nächten den Hof doppelt fürsichtig vor einer Brunst behüte. / x

„Diese Uhr wäre es wert, daß man sie wieder in Gang bringt“, sagte Peter und prüite den Perpendikel. Leider stehe sie nun schon das fünfte Jahr, sagte der Kirchebner, der in die Stube zurückgekehrt war, mit solchen allzu gekünstelten Werken sei es eben ein rechter Jammer. Da fehle denn bald ein Rädchen, bald eine Schraube, es seien ihrer ja genug im Gehäuse, und da es keinen Uhrkünstler in der Gegend gebe, der Meister aber längst verstorben sei, habe man nun weder die richtige Zeit in der Stube noch, was ja weniger schlimm sei, den rechten Mond. Er habe die wenig brauchbare Uhr dennoch in der Stube belassen, denn sie habe ein schönes Gehaus und gelte heute schon als ein wertvolles Ding, sie sei aber auch ein Andenken an sein seliges Weib.

„Vielleicht könnt der Peter einmal im Winter auf ein paar Tage heraufkommen und die Uhr wieder in Gang setzen“, sagte der Anichbauer, „der Peter versteht sich auf solche Bastelei und noch mehr auf den Mond. Es wäre auch schön, wenn die Uhr wieder ginge.“

„Ja, das war schön“, sagte der Kirchebner darauf „und wenn einer, dann kann es gewiß der Peter. Ich habe es nur ehender nicht sagen wollen. Im Winter kann er ja dann seine Zeit dafür gebrauchen, und schön ist es im Winter heroben auch.“ Er blickte den Anichvater dabei fragend an und setzte ihnen die Jause vor.

Ehe der über das Lob des Vaters arg verwunderte Peter aber nach dem Brote griff, nahm der Vater eine kleine schön bemalte apanschachtel aus der Tasche, stellte sie bedächtig auf den Tisch und ließ, da er den Deckel abhob, ein gar kunstvoll gedrechseltes Nähzeug sehn. Stopfholz und Nadelkissen, Büchslein und eine kleine Spindel für den Zwirn, alles war so zierlich, daß es zwischen zwei Händen Platz hatte, und doch mit allerlei Rillen und Schnitzereien versehen und mit roten und blauen Blumen bemalt. Auch Peter hatte diese Schachtel noch nie gesehn. „Wir verstehn uns ja auf so feine Arbeiten“, sagte der Anichbauer jetzt, „und diese Kleinigkeit, es ist eine Kleinigkeit, haben wir der Vroni mitgebracht. Die Anichmutter schickt es ihr“, setzte er hinzu; „ich habe es ihr einst im Brautstand geschenkt, jetzt für ihre alten Augen braucht sie schon ein gröberes Zeug.“

Der Kirchebner rührte das feine Zeug mit seinen allzu groben Händen kaum an, aber er pries es als das feinste Ding, das er je gesehen habe. „Und die Vroni ist nicht da' rief er, „und kein Bub, den ich nach ihr schicken kann, nicht einmal ein Knecht heut am Sonntag.“

„Soll der Peter sie holen“, sagte der Anichvater, als habe er bloß auf diesen Anlaß gewartet.

„Ja, wenn der Peter so gut ist, und wenn er nicht zu müd ist.“

Sie könnten einstweilen die Ochsen besichtigen und vielleicht handelseins werden, sagte der Anich. Ja, das könnten sie, gab der andere zurück. Gar so unmöglich wäre solch ein Handel ja nicht, wenn er auch nur drei Zugochsen im Stall stehen habe. Der jüngere Eglauer bringe ja, sobald er die Resi eheliche, ein schönes Stück Vieh mit ins Haus. Das sei schon abgesprochen. Die jungen Leut hätten auch längst geheiratet, war die Eglauermutter nicht so bös krank.

„Und die Vroni?“ fragte der Anich.

Die Vroni, die bleibe einstweilen auf dem Hofe, bis steh auch für sie ein rechtschaffenes Mannsbild finde, das werde wohl bald der Fall sein, dehn gern wisse er die beiden nicht nebeneinander.

„Die Vroni und die Resi?“

„Die Vroni und den jungen Eglauer. Er sieht die Vroni schier lieber als seine Braut, und auch die Vroni mag ihn besser leiden, als es für eine Schwägerin gut ist. Die Resi hat aber ein Anrecht auf den Hof. Vielleicht aber find ich bald einen feschen Burschen für das Vronerl.“

„Seltsam sind die jungen Leut heutzutage“, sagte der Anich darauf, „man sollt ihnen noch den Verliebten ins Haus stellen. Zu unseren Zeiten haben wir nicht erst die Eltern dazu bemüht.“

„Waren auch andere Zeiten“, brummte der Kirchebner und stapfte voraus in den Stall.

Peter aber dachte den steilen Weg über allzusehr an die kunstvolle Uhr und wie der alte Meister es wohl gefügt habe, daß die Gezeiten des Mondes so schön und richtig sich zeigten; so sehr dachte er an jenes Werk, daß er des Jenneweinischen Hofes erst gewahr wurde, als er schon davor stand.

Auf der Hof bank im Schatten eines riesenhaften Ahorns saßen drei Mädchen. Peter bemerkte sie erst, als er bereits knapp vor ihnen stand. Die Mädchen aber verstummten, als sie den fremden Burschen aus dem Gehölz treten sahen. Peter dachte jedoch auch jetzt nur an seinen Auftrag, und obgleich ihm das Herz stärker hämmerte als je dem erzürnten Vater gegenüber, trat er doch aufrecht und geradewegs auf die drei Mädchen zu und sagte zu jenem, das in der Mitte saß: „Dein Vater hat mich geschickt, daß ich dich heimhole, Vroni.

(Fortsetzung folgt.)

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