6533892-1946_05_15.jpg
Digital In Arbeit

Peter Anich, der STERNSUCHER

Werbung
Werbung
Werbung

8. Fortsetzung

„Ich bin der Peter Anich aus Oberperfuß“, setzte er hinzu, „und mit meinem Vater bei euch einen neuen Ochsen besehn.“ War es nun die Rede von dem Ochsen oder auch nur die Art, wie er das alles herausstieß, die also Angeredete ward blutrot, ihre jüngeren Kameradinnen kicherten in ihre Hände, und am Ende prusteten alle drei heraus, daß es den Burschen eiskalt überlief.

„Wieso hast du mich denn sogleich erkannt?“ fragte die Vroni später, als die beiden allein den schmalen Steig zwischen den Flachs- und Haferfeldern niederstiegen, „wir haben einander doch noch niemals gesehn.“

Das wußte nun Peter freilich nicht. Es erschreckte ihn ja selber nicht wenig, daß er sogleich die richtige angesprochen hatte. Er fand nämlich, solange er auch das Mädchen von der Seite betrachtete, keinen Zug ihres Vaters in ihrem frischen runden Gesicht. Auch ihre dunklen Augen waren nicht kirchebnerisch. Peter traute den seinen freilich nicht, sie schienen ihm leicht angelaufen, wie ein Glas, das man aus der Kälte in die warme Stube bringt. Schließlich sagte er und auch dies nur, daß er im Reden sich stärke: „Man erkennt doch oft etwas als richtig und kann nicht sagen weshalb, mir ist es schon so ergangen.“

„Bei einem Mädchen?“

„Bei einem Mädchen hab ich das noch nicht erlebt.“

Da er aber dann die längste Zeit peinlich wieder auf den Steig achtete und dabei schweigend voranging, ak könnte er sich beim nächsten Wort schon die Zunge abbeißen, das Mädchen aber so viel Schweigen neben sich nicht ertrug, fragte es ihn um Dinge, die er leichter beantworten konnte. Wie es seiner Mutter ergehe, wie seine Schwestern hießen und wie alt sie jetzt seien und was sie daheim für Arbeiten hätten. Sie fragte dies, obgleich sie ja die Antworten selber wußte, sie konnte aber immerhin sagen, daß nur die Marie einmal mit dem Anichvater in Gries gewesen sei und auch dies wohl schon vor zehn Jahren. Sie erinnere sich aber genau an jenen Tag. Sie sei damals mit der Marie um Almrausch über die Juifenau hinausgegangen und noch um vieles weiter zu immer schöneren Gebüschen. Die Marie habe, obgleich es bereits spät geworden sei, und gegen die Ermahnungen des Kindes, nicht abgelassen, bis das letzte Stämmchen abgepflückt gewesen sei. Vom Jammer der wartenden Eltern, von den Dorfleuten, die man damals schon zu ihrer Rettung aufgeboten habe, werde die Marie sicherlich daheim nichts erzählt haben. Sie habe sich auch weiter nichts daraus gemacht. Jeder sei für sein eigen Glück da und habe nur zu tun, was ihm richtig scheine. So komme er zu etwas in der Welt.

„Wenn das auch mein Grundsatz war“, sagte Peter ärgerlich, „dann war ich längst nicht mehr daheim.“

Das Mädchen aber hatte ihn dort, wo es ihn wohl haben wollte. „Ich glaube nichts Schlechtes dabei. Es gibt eben Menschen, die nicht rasten, bis sie all das, was ihnen erstrebenswert erscheint, nun wirklich auch besitzen. Man sagt ja, daß du die halbe Nacht auf einem Nußbaum hockst, ja die Leut hier reden, du habest auch dein Bett auf dem Baume aufgeschlagen. So kannst du die ganze Nacht die Sterne anblicken und dazwischen wieder auch ein wenig schlafen. Was sie weiter sagen, das glaub ich ja nicht; wenn du einmal heiratest, sagen sie, müßte auch dein Weib auf dem Nußbaum schlafen.“

„Ein Gered ist es insofern“, entgegnete Peter rasch, „als es nicht ein Nußbaum ist, sondern ein Birnbaum, auf dem ich meine Bank habe, und daß ich wohl oft oben gesessen bin, aber niemals oben schlafe. Ein wenig recht aber haben die Leute schon wie bei all ihrem Geschwätz; ein Weib, das ich einmal heiraten soll, das müßt auch auf einem Birnbaum schlafen, auch wenn ich es niemals von ihm verlangen werde, ich meine nur, so lieb müßte das Weib auch die Sterne haben.“

Sie waren aber dabei knapp an das Haus herangekommen, und der alte Kirchebner trat ihnen plötzlich entgegen und hieß sie recht stille sein. Der Anichvater, sagte er, habe sich ein wenig zu Bett begeben, er sei vorhin, vielleicht vom raschen ungewohnten Steigen in der Mittagshitze oder von einem allzu jähen Schluck Enzian für eine kurze Frist ohne Atem gewesen, grad als sie im Stall den Ochsen besichtigt hätten. Jetzt ruhe er für kurze Zeit, und dann müßten sie, sehr zu aller Leidwesen, wohl gleich aufbrechen, denn die feuchte Nachtluft auf der Höhe sei einem solchen Zustand leicht schädlich. Arg sei die Sache ja nicht, und sie sollten indes ruhig das Haus besichtigen.

Während sie aber noch darüber redeten und Peter sich den Hergang des Anfalls noch einmal schildern ließ, trat auch schon der Vater wieder aus der Stube ins Vorhaus. Er sah wohl bleicher aus, ansonsten ging er sehr aufrecht, und außer seiner Stimme, die müde war, konnte Peter kein Anzeichen einer irgendwie ernstlichen Krankheit entdecken. Die Freude des alten Kirchebner und des Mädchens heiteres Wesen beruhigten ihn bald völlig. Er sei eben die Luft auf der Höhe nicht mehr gewohnt, sagte der Vater, aber die Stimme der kleinen Vroni habe ihn gleich gesund gemacht, das verstünden die jungen Weibsleute und dazu seien sie auch auf der Welt. Jetzt atme er so leicht wie zuvor, und wenn er erst wieder unten im Dorf sei, werde er sich wohlfühlen wie kaum zuvor, das wisse er.

Wenn er dann im Herbst des öfteren mit dem Peter heraufkäme, werde er dann die reine Grieser Luft erst recht genießen, entgegnete der Kirchebner, und die Vroni werde schon das ihrige dazutun. Für heute aber wollten er und die Vroni den lieben Gästen noch das Geleit bis nach Gries hinunter geben.

So stiegen sie denn, obgleich die Sonne noch hoch über dem Grieskogel stand, den Waldweg ins Dorf hinab. Die beiden jungen Leute voran, die beiden Alten hinterdrein. Die Alten hatten aber auch jetzt sichtlich mehr miteinander zu bereden als die Jungen. Vroni benannte dem Burschen wohl ab und zu die Felder rundum und die Bergspitzen, fragte auch, wie der Weizen draußen im Mittelgebirg gedeihe und ob sie jetzt auch einen Webstuhl ins Haus nähmen, wo die Flachspreise auf des Guberniums Geheiß besser würden. Sie hätten daheim früher auch ein ausgezeichnetes Räucherpulver gegen die Atemnot besessen, der Kirchebner Großvater habe gut zehn Jahre lang an dieser Krankheit gelitten, manchmal ganze Nächte lang. Er sei dabei neunundsiebzig alt geworden. So redete sie mehr dem Burschen zur tröstlichen Zerstreuung als sich selbst zum Vergnügen, ihn aber wieder ärgerte es, daß er ihr nicht ebenso geruhsam und freundlich antworten konnte. Dennoch tat es ihm wohl, daß sie jetzt neben ihm einherging. Als sie das Dorf knapp unter sich erblickten, nahm er sich endlich ein Herz. „Das mit dem Bett auf dem Birnbaum war natürlich nur so geredet“, sagte er, „es ist auch gut, wenn man den schwatzhaften Leuten etwas Grausliches aufgibt.“ Er lachte und blickte sie treuherzig, wenn auch ein wenig ängstlich an.

„Freilich“, sagte sie, „meinst leicht, ich glaube, du hättest dein Bett wirklich auf dem Birnbaum aufgeschlagen? Bei den Welschen unten könnte einer ja auf einem Baume schlafen, bei uns heroben tat er sich doch arg verkühlen. Da könnt einer bald die Stern genauer ansehn, wenn auch nicht von unten, doch so wie ein Engel.“

„Ich mein das andere“, sagte Peter, „daß ich kein Weib nahm, das nicht auf einem Birnbaum schlafen will.“

Jetzt war das Lachen an ihr. Sie machte dann aber sogleich wieder ein ernsthaftes Gesicht und blickte ihn mit großen Augen an. „Meinst du, ich hätte mich davor gescheut?“

Da spürte er, wie ihm das Blut im Gesicht aufschoß, und er sagte leise: „Wem soll ich es sonst sagen als dir?“

„Ich mein es anders.“ Er merkte in seiner Verwirrung nicht, wie ein spöttisches Lachen über ihr Antlitz huschte. „Ich mein, wozu du es ableugnest, wenn es doch wahr ist. Dein künftiges Weib muß die Sterne liebhaben, sonst paßt sie doch nicht zu dir. Das ist doch ganz klar. Man kann auch nicht ein Roß und einen Esel zusammenspannen.“

„Das kann man nicht“, sagte er, „aber zwischen Mann und Weib ist das, scheint mir, doch ein bisserl anders.“

„Und wenn sie dir dann verbietet, daß du die halbe Nacht auf dem Baume hockst oder in deinen Büchern liest oder gar auf einem Kirchturm dich einsperren läßt?“

„Wie geschwind die Leute so eine Geschichte herumtragen“, sagte er, „aber verbieten ließe ich es mir nicht, auch von einem Weibe nicht.“

„Das meine ich ja“, rief die Dirn. Sie sprang aber plötzlich vom Wege ab einen kleinen Grashang hinan zu einem Kirschbaum und brockte ihm ein paar von den roten süßen Wildkirschen. „Beiß hinein“, rief sie, „beiß hinein!“

„Ich tat sie lieber als ein Andenken mitnehmen“, sagte er.

„Nein, auf der Stelle beißt du jetzt hinein! Ich glaub sonst, du kannst nicht einmal essen wie andere Burschen.“

Wie sie das rief, gelüstete es ihn aber, daß er das lachende, schnippische Kind ergriff und ihren Mund herzhaft und ein für allemal abstille, ja, es schien ihm für einen Herzschlag lang, alles andere in der Welt sei ohne Sinn und Ziel, auch ohne Lockung und Schönheit neben diesem einen Menschen an seiner Seite, selbst die Sterne.

Er sah aber an ihrem glühenden Gesicht vorbei eben jetzt die beiden Väter aus dem Walde treten. So blieb er denn stehen, wie er stand, tat nur einen Lacher, blickte sie bloß an und stopfte ihr die letzten Kirschen in den Mund.

Die Männer lachten, da sie näher kamen, dann nahmen sie voneinander Abschied und alle gingen des Weges. Die beiden Aniche in das Dorf hinein, die beiden Kirchebneri-schen wieder in den Bergwald zurück. Sie blickten auch nicht mehr nach einander um.

Bis über Seilrain hinaus schritt der Vater nun schweigend neben ihm einher, doch da sein Schritt behende war und er auch sonst nichts vermerken ließ und Peter wußte, daß der Vater noch von der einschichten Zeit am Kohlenmeiler und auf den Almen her irgendwelche Frage nach seinem Wohlbefinden nicht liebte, schwieg auch der Bub und bedachte, was an jenem Tage ihm alles begegnet war. Ganz deutlich wurden ihm diese Gedanken freilich nicht. Da war der Vater doch allzunah und die Angst um ihn.

Erst als sie hinter St. Quirin auf den breiteren Fahrweg kamen, sagte der Bauer: „Ich will heute noch den Brief an Pater Bernhard schreiben. Wir kommen ja zeitig heim, und du kannst ihn noch zur Bötin tragen. Ist dir das recht, Peter?“

Der Bub nickte bloß, denn die jähe Freude über solche Rede würgte ihn arg.

„Du sollst auch gleich nach der Kornmahd nach Innsbruck hinunter“, setzte der Vater hinzu, „man darf solche Dinge nicht allzulange verschieben. Du hast doch nichts dagegen, wenn es rascher sein wird, als du gedacht hast?“

„Aber Vater!“ Mehr brachte Peter auch jetzt nicht heraus.

„Ich werde mit dir gehn, und während du mit den gelehrten Herren sprichst, mit der Marie reden. Es ist nicht gut, daß sie immer so allein ist und nichts mehr von uns hört. Es ist nicht gut, wenn man eine Feindschaft hat, gar zu einem eigenen Kinde. Im übrigen hast du deinen freien Willen, ob du im Herbst in Gries oben die Uhr richten willst oder ob du es nicht willst, ich rede dir nichts darein, Peter.“

Dann schwieg er wieder, und sie schritten ganz still dahin, und es dünkte Peter, sein “Vater sei so milde wie die spätsommerliche Sonne, da sie nun gegen Abend sank, und es krampfte sich ihm das Herz über die ungewöhnliche Art des Mannes, so daß er selbst des unverhofften Glücks nicht froh ward.

5. KAPITEL

So gut er sich auch an Meister Anich I erinnere und so sehr er ihm auch nach wie vor gewogen sei, stand in dem Antwortbriefe des Pater Bernhard zu lesen, so wenig wisse er doch auf all die Bitten des Meisters und seines Buben eine rechte Antwort. In Stams hätten sie unter den zwanzigtausend Bänden wohl auch einige Werke über die Meßkunst. Er könne aber nicht dieses oder jenes Buch wählen und der Bötin übergeben, wenn er vorerst nicht genauer wisse, welche Art Meßkunst Peter erlernen wolle. Die für den Feldmesser nützliche oder die höhere, mit deren Hilfe man ganze Länder vermesse und verzeichne, oder gar jene höchste, die mit Zahlen und Instrumenten bis an die Sterne greife. In des Meisters Brief seien jedoch Elemente von allen dreien enthalten, aber auch wieder solche der ordinären Meßkunst, die er doch beim jungen Peter als bekannt voraussetze. Wer sich an die Sterne oder auch nur an die Felder heranwage, der müsse doch in den Triangeln und Kreisen, in den Kugeln und Kegeln, in den Winkeln aller Art, auch in den Logarithmen daheim sein wie im kleinen Einmaleins. Stehe jedoch, wie er begründet vermute, die Feldmeßkunst für den Anichbauern voran, dann gehe sein Rat als der eines wohlwollenden Freundes dahin, der Vater möge den Buben lieber von solchen Experimenten fernehalten. Mit neunzehn Jahren sei ein so schwieriges, in den Voraussetzungen umfängliches Studium nicht leicht mehr zu beginnen, gar für einen Bauernbuben und selbst in einer Zeit, die der Vernunft und der gelehrten Bildung wahre Wunderkräfte zubillige. Es sei aber gewiß auch nicht der Sinn all der neu errungenen Gelehrsamkeit, daß nun jeder Jegliches anstrebe, nur weil es leichter gemacht sei als in frühern Zeiten. Man halte sich ja nach wie vor auch für die Schuhe den Flickschuster und für die Kleider den Störschneider im Dorf, und für Butterfässer und Mohnstößel den Drechsler.

(Fortsetzung folgt.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung