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Peter Anich, der STERNSUCHER

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19. Fortsetzung

Da packte er seinen Korb aus und legte, was noch darin war, auf den Tisch. Es war nicht mehr viel. Sie aber schimpfte auch über das wenige und verschlang es mit einer Gier, daß dem Peter das Weinen kam. „Wenn ich ' wiederkomm, und es wird wohl öfters der Fall sein, will ich dir jedesmal einen Korb voll mitbringen, mehr als heut“, sagte er. Er aß aber keinen Bissen, obgleich ihn bereits wieder hungerte. Auch den Wein stellte er auf den Tisch, suchte einen brauchbaren Becher, wusch ihn beim Brunnen und schenkte ein. Einen zweiten fand er nicht, so trank er denn nach ihr. Sie aber warf sich jetzt über den Tisch und schluchzte und heulte so heftig, daß sie schier ihr ganzes Leben von sich weinte. Es ward dann auch still in der Stube.

Plötzlich richtete sie sich auf. „Du willst öfters kommen, sagst du? Doch nicht der Mutter wegen?“ Sie blickte ihn schreckhaft an.

„Ich weiß ja nicht, ob ich öfters kommen werde“, sagte er, „oder ob es bei diesem einen Mal bleibt. Wenn ich aber öfters komme, dann brauchst deshalb keine Angst um die Mutter haben. Am schönsten war es freilich, wir wären alle wieder daheim.“

„Du wolltest doch schon als kleiner Bub immer wieder in die Stadt“, sagte sie

„Ja, das wollte ich.“ Er erhob sich rasch und schnürte den Korb zu. Das Beutelchen mit dem geretteten Gulden kam ihm in die Hand, doch er dachte an die Mutter und widerstand. „Wenn ich wiederkomme, bring ich dir auch Geld“, sagte er, „mehr Geld, als du je besessen hast. Dann sollst du dein Haus herrichten, wenn du hier bleiben willst, und neue Kleider kaufen und Fleisch genug und Brot. Die Mutter wird dir schicken, was sie entbehren kann, und die Leni von ihren eigenen Sachen dazu.“

Sie nickte bloß und auch als er sie noch einmal fragte, ob sie nicht doch lieber nach Oberperfuß mitginge, und sie weinte, als er dann von ihr ging.

Peter atmete draußen lang und tief, dann stieg er langsam zum Inn hinunter. Er dachte jetzt kaum mehr an all das, was ihn auf dem Weg nach der Stadt erfüllt hatte, ja es beschämte ihn fast ein wenig, sobald es ihm in den Sinn kam. Er setzte sich an einem der Gärten nieder, dort wo er weithin über den Fluß und die Stadt schauen konnte, denn wenn es auch schon reichlich spät war, konnte er doch mit all dem Durcheinander in seinem Herzen noch nicht unter die Leute. Das erste ist so halbwegs abgelaufen, sagte er zu sich. Er erschrak aber sogleich über solche Rede. Sicherlich hatte die Marie auch einstmals gedacht, ihr Leben liefe nach Wunsch und schöner Fügung, sicher war sie nicht weniger zuversichtlich in die Stadt gekommen, ja noch um vieles fröhlicher, und doch war ihr Leben arg danebengelaufen. Er rjß sich aber aus diesen Gedanken und schritt wieder ein Stück voran. Es waren zur Zeit wenig Leute auf der Straße.

Am Fuße einer alten Mauer stand er ■dann eine Weile in der warmen Sonne. Hier lag die Stadt schön vor ihm mit all ihren Türmen und Erkern und Giebeln. Der Rauch des Mittags stand über den funkelnden Dächern, die blühenden Kirschbäume glänzten in den Gärten und an den Straßen draußen landauf und -ab, und die blauen, mächtigen Berge des Südens beschlossen das gewaltige Bild. Seine Augen gingen vorerst den Türmen nach. Schlank standen sie da und spitz und zwiebelig lustig, wie er sie noch nie geschaut hatte. Das war wohl die neue Art zu bauen, von der der Vater ihm so oft erzählt hatte. Die Leute liebten wieder allenthalben das Runde, das schien ihm bedeutsam. Vielleicht ertrugen sie die spitzen Türme schon schlecht oder sie hatten sich besonnen, daß alle großen Werke Gottes rund sind, oder die alten Formen waren ihnen bloß langweilig geworden.

Ein mächtiger Bau, außerhalb der Stadt gegen Mittag gelegen, hielt seine Augen fest. Ein Mann, der vorüberging, sagte ihm, es sei das Kloster Wilten. Als eine gar sichere Wohnstatt erschien es ihm hinter den

-nichtigen Mauern. Peter fragte ihn aber auch nach dem Kloster der Jesuiten, und als er dann auf ein mächtiges langgestrecktes gelbgefärbtes Haus neben einer riesigen Kirche verwiesen ward, verwunderte er sich bloß, daß er es nicht selbst gleich erkannt hatte. Es war das größte Haus mitten in der Stadt, an die vierzig Fenster zählte es in der Front. Das ist wohl auch gleich die Hohe Schule, sagte er zu sich, doch der Fremde war längst weitergegangen und es kam kein Mensch des Weges. Auf jeden Fall konnte er jetzt aber, ohne weiter zu fragen, auf dieses Haus losmarschieren. Das beglückte ihn nun wiederum, ja er dachte -auch an die armselige Schwester ohne Betrübnis. Wenn er sie sich recht vorstellte, erschien ihm sein eigenes Vorhaben gar nicht mehr so gewagt oder gar als ein schlechter abschüssiger Weg oder auch als einer, der mit dem wirklichen Leben nichts zu schaffen hatte. Er mußte, das war ihm jetzt überdeutlich, aus jener Angst und Ver-grämung heraus, in der er, auch wenn er es sich selbst kaum eingestand, gelebt hatte. Auch sein Vater wollte es. Wenn ihn die gelehrten Herren aber zurückwiesen, dann wußte er seinen Hof daheim, einen Hof, um den die arme Schwester weinte, und wenn sie ihn annahmen und er ins Studieren kam, brachte er vielleicht neben solcher Kunde auch noch die Marie mit ins Haus, und sie waren aller Sorge ledig. Dies aber erschien ihm freilich als die bessere Fügung. • Als er das Innentor und die Ottoburg erreichte, schlug es bereits die erste Stunde nach Mittag. Der Kräutler, bei dem er die heilsame Salbe kaufen wollte, stand vor seinem Laden. Er legte den Gulden hin und bestellte einen schönen Tiegel voll Salbe. „Ich kann sie aber erst nachmittag abholen“, sagte er, „ich muß noch vorher auf die Hohe Schule und sehen, wie ich dort zurechtkomme. Auch könntest mich meinen Korb da abstellen lassen.“ Der Kräutler war ein mürrischer alter Mann und verwies auf seinen mit allen möglichen Kisten und Flaschen angeräumten Laden. „Was willst auf der Hohen Schule?“ brummte er, „wenn du einem der hohen Herren ein halbes Schwein bringst, brauchst doch deinen Korb.“

„Ach, das halbe Schwein! Etwas anderes

kann keiner denken“, rief Peter ärgerlich, schulterte' wiederum den Korb und eilte aus dem Laden. Es bekümmerte ihn doch, daß der Korb so ganz leer war, und er sagte zu sich: Alles kann einer nicht haben, hätte ich den Speck noch bei mir, tat mich der Professor wohl eher anhören, ich wüßte aber nicht die Pi und den Lehrsate des Herrn Pythagoras. Es wird sich aber erweisen, ob ich recht getan habe. Er hatte jedoch, obgleich es ihn jetzt schon reichlich spät dünkte, Zeit genug, daß er sich die Häuser und Lauben besah und die Läden, auch den zierlichen Erker, der mit vergoldeten Ziegeln gedeckt ist, noch länger aber den mächtigen Wappenturm. Er las, was da an Inschriften und Wappen abzulesen war, Beham und Dalmatia, Steir und Österreich und ganz groß dazwischen Hungarn und kleiner geschrieben Croatia und Burgund, Friesland und Namur, ach, er kam kaum an ein Ende, so viele Länder waren dem Kaiser Max anno 1499, da dieser Turm, wie die Jahrzahl besagte, errichtet ward, Untertan, und so groß war die Welt heute noch, größer, als die daheim es ahnten und die Schwester es glauben mochte. Auch die Vroni wußte nicht um so viel Größe. Der Vater hatte sie wohl geahnt und zu guten Teilen gewußt. Vielleicht war er auch deshalb so ruhelos gewesen, so immerzu nach einem Neuen süchtig. Und da er weiterschritt, dünkte ihn, er sei schon eine Woche lang auf Wanderschaft, nur der Vater sei ihm noch nah, wie damals in Seilrain in der Kirche.

Knapp hinter dem Tor stieß er auf eine Schar junger Burschen, die Bücher unter dem Arme trugen. Etliche hatten auch nur zierliche Degen, mit denen ihre Hände spielten. Sie lachten und lärmten ihm entgegen. Sie kamen aber nicht aus der Richtung, wo er das große Gebäude vermutete,

sondern den Graben entlang, der die win-

kelige Burg umgab. Peter blieb stehen und zog den Hut. „Mit Verlaub“, sagte er und kam sich sehr feierlich vor, „ich hätt eine Frage: wo komm ich am schnellsten zu dem Herrn Professor, der die Sterne kennt und die hohe Meßkunst?“

Der erste, den er also anredete, ein hagerer frischer Bursch, dem eine mächtige Adlernase im Gesicht saß, starrte ihn an und blickte nach seinen Kumpanen um. Und ehe Peter es sich versah, lachten die Kerle, daß die Wände des Torturms dröhnten. Der Hagere aber winkte einer neuen Gruppe von jungen Leuten, sie sollten laufen, schrie er, sie fänden hier den allerbesten Spaß. Auch die anderen sehnen mit. * Peter stand noch immer schweigend unter ihnen, als gelte diese Aufmerksamkeit nicht ihm. Dann aber ward er rot und bleich, auch trat ihm der Schweiß auf die Stirn, und es fröstelte ihn wie im Winter vor der Influenze.

Ein kleiner Bursch, wohl der älteste unter ihnen, er trug auch eine Brille auf der Nase, trat jetzt an ihn heran. „Hat er leicht einen neuen Stern entdeckt, in Seiner Mistlacken daheim?“

„Im Buckelkorb trägt er ihn mit.“

„Verkaufen will er ihn wie ein halbes Schwein!“ *

„Her mit dem Kometen!“ Die Burschen' schrien es durcheinander. Der Lange stillte sie freilich mit machtvoller Geste ab und sprach: „Woher ist Er?“

„Aus Oberperfuß“, sagte Peter. Er dachte aber recht fest an seinen Vater und verbiß die Zähne.

„Wer kennt das Nest?“ Der Lange fragte es. Sie alle schrien aber, sie kennten es nicht und seien doch zumeist richtige Tiroler, nur einer, der anders reden wollte, empfing von dem Kleinen mit der Brille einen Schlag aufs Maul.

„Und Er sucht einen Professor?“ fragte der Lange weiter feierlich.

Peter nickte.

„Und Er will ihm ein Schock Eier bringen?“

„Das stünde nicht dafür“, sagte Peter,

„die Hühner der Herrn Studenten in Innsbruck legen ja Eier mit zwei Dottern, wenn nicht mit drei.“

Die Burschen standen eine Weile verblüfft, dann drangen sie mit Geschrei auf den jungen Bauern ein. Doch der Lange stellte sich vor Peter, breitete die Arme aus und verwies den Kommilitonen das Geschrei. Dann sagte er scharf: „Er will doch nicht Händel mit uns, was will Er also bei dem Professor?“

„Studieren“, sagte Peter. Er' war jetzt wieder seiner selbst sicher. Ja, die Geschichte mit den Studenten belustigte ihn bereits.

„Das heißt, in Oberperfuß weiß man noch nicht, was ein Schulmeister und was ein, Professor ist, eine Normalschule und eine Alma mater. Unsere neue Normalschule kann ich ihm mit gutem Gewissen anraten. Wir geleiten ihn auch sogleich dahin, Er findet dort die besten ABC-Schützen der Welt.“

„Wer hat Ihn denn an die Alma Mater gewiesen?“ fragte der Bebrillte dazwischen.

„Mein eigener geringer Verstand“, sagte Peter. „Könnt mir ein Schulmeister sagen, was ich wissen will, dann hätte ich einen näheren Weg gehabt, nach Zirl oder nach Telfs, und die -Herren nicht erst mit meiner Fragerei belästigt. Aber ich werde das auch weiterhin nicht tun. Gott bewahre mich davor. Die Herrn Studenten glauben sonst, ich trag ihnen das bisserl Verstand davon.“

Er tat dabei einen Schritt vor, und diesmal wichen die Nächststehenden vor ihm zurück. Als sie aber seine Rede begriffen; zogen sie neben ihm einher. Einer schrie: „Auf zum Weinhart!“ und alle brüllten im Chor: „Auf zum Herrn von Weinhart!“ Der Lange zog den Degen und schritt dem Aufzug voran. Den Peter nahmen sie in die Mitte.

Da sie aber nun die Burg entlang marschierten, blieb Peter plötzlich stehn. „Ist der“ Herr von Weinhart vielleicht der nämliche Professor, von dem ihr eure Weisheit

lernt?“ fragte er, „dann war er für mich nicht der richtige.“

„Der Professor von die Sterne, der Professor von die Sterne!“ schrie der Chorus, und am meisten trüllten sie alle das „die“, und einer gab Peter einen Stoß, wie man ein störrisches öchslein treibt.

Nach ein paar Schritten verhielt er jedoch neuerlich. „Dann ist es schon gut“, sagte er, „dann ist er nicht der eurige.“

„Der meine ist er“, sagte der Student neben ihm, „und einen bessern Physikus als den Herrn von Weinhart gibt es in ganz Österreich nicht.“

Da achtete Peter des Geschreis kaum mehr, so süß klang ihm solche Botschaft im Ohr, ja es dünkte ihn bald, der sonderbare Empfang, den die Studenten ihm bereiteten, gehöre dazu und er zähle nun zu ihnen. Völlig sicher war er jedoch nicht. „Und versteht er auch etwas von der Meßkunst?“ fragte er den Burschen.

„Oh“, scjirie einer vor ihm, „die Sonne mißt er und die Nacht im Winter und die Berge auf dem Mond und den Bart von der Laus.“

(Fortsetzung folgt)

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