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Peter Anich, der STERNSUCHER

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22. Fortsetzung

Eine gute Landtafel pressiert aber auch nicht, sie braucht mehr Zeit, als ich jetzt für Ihn hab. Ich soll längst drüben im Kollegium sein.“

„In dem großen Haus mit den vierzig Fenstern?“

Ob er denn schon dort gewesen sei und die Fenster gezählt habe, fragte der Pater. Das sei er nicht! gab Peter zur Antwort, er habe aber die Fenster von Hötting aus gezählt. Das Zählen und Schätzen sei so seine Gewohnheit.

„Und wie alt ist Er?“

„Siebenundzwanzig.“

„Da kann Er doch nicht mehr auf der Schulbank sitzen!“ *

„Freilich nicht. Wer tat denn auch daheim die Wirtschaft besorgen, jetzt, wo die Mutter noch dazu einen offenen Fuß hat. Aber die Meßkunst und die Sternkunst.'die darf einer doch auch in meinem Alter noch liebhaben.“

„Liebhaben!“ Herr von Weinhan blätterte noch immer in dem Schreibhüchlein, „ach Gott, war es doch nur immer mit dem Liebhaben getan. Doch da heißt es rechnen und rechnen und nochmals rechnen und lernen' und lernen und nochmals lernen. Ohne Zeit und Geld und Ernst geht das einmal nicht, mein Lieber. Da muß einer sich schon entscheiden, ob er Bauer sein will oder Sterngucker.“

„Freilich“, sagte Peter, „jedermann muß sich entscheiden, und ich hab viel Jahr daran herumgedacht, eh ich mich entschieden hab: für den Bauern und für den Sterngucker, verstehst du? Ich will meinen Acker nicht lassen, aber mich auch um die Stern bekümmern und um alles Meßbare in unserer Gegend„ und da tat ich nur um die Verlaubnis bitten, daß ich die gelehrten Herrn in Innsbruck um all das fragen darf, was ich aus eigenem nicht begreifen kann. Es ist nicht viel, und es geht wohl auch rascher so.“ Der Professor schüttelte langmächtig den Kopf: Da studiert einer sein Lebtag und kommt kaum ein Stück voran, dann schnappt einem so ein junger, pardon, so ein junger Bauer einen Bissen vom Munde weg und denkt, jetzt kennt er auch schon Himmel und Erde. Ein lächerliches Beginnen, mein Lieber.“

Peter nahm auch diese Poltere! so gemütlich, als sie gemeint war. „Ich mein hält, für midi tat so ein Bissen bald genügen. Zeit zum Nachdenken hab ich ja daheim, und einen Himmel wie in Oberperfuß über meinem alten Birnbaum gibt es in ganz Tirol nicht.“

Der Pater schob ihm das Schreibbüchlein zu und. blickte nach der Wanduhr. „Ein Bauer hat immer auch ein gutes Gefühl für die rechte Ordnung in der Welt“, sagte er nach einem Seufzer. „Da ist der Acker und dort ist der Wald. Der Acker gehört ihm zu und der Wald samt den Rehlein und Hasen dem Herrn von Soundso. Auch die Stände sind wohl eingeteilt: der Bauer, der Soldat, der Handwerksmann, der Händler, der Edelmann und am Ende auch jener, der allein' der Gelehrsamkeit obliegt. Das begreift Er doch.“

Peter schüttelte den Kopf.

„Ich mein damit: der Bauer ist kein Feldmesser, dafür gibt es tüchtige Leute im Land, er braucht deshalb auch nichts von der Trigonometrie wissen oder vom Logarithmus.“

„Aber bei den Sternen“, sagte Peter, „ist das schon wieder andeis. Die gehören weder einem Grafen noch allein den gelehrten Herrn. Sie sind für alle da. und wenn einer sie lieber hat als das Wirtsbaus oder den Braten in der Schüssel, und wenn er sich um ihre Bahnen und Eigenheiten mehr bekümmert als um die allgemeinen Welthandel, so darf ihn deshalb doch kein Mensch der Unordnung anklagen oder gar einen nichtswürdigen Kerl schelten. Das meine ich, und wenn es anders war, saß ich auch nicht vor dir.“

Der Professor erhob sich jetzt, wie er sich auch sbnst vor seinen Studenten zu erheben pflegte, sobald er an dem entschei-

denden Punkt des Problems angelangt war, und sagte: „Aufs Maul ist Er ja nicht gefallen. Ich will den Versuch wagen und Ihm einen Lehrer nennen, der Ihm das Einmaleins beibringt, das, was wir auf der Hohen Schule Einmaleins heißen. Es mag auch ein älteres Semester unter meinen Hörern diese Aufgabe übernehmen. Auch das aber kann ich nur dann verantworten, wenn er das wirkliche Einmaleins, das der Normalschule, bereits beherrscht. Ab ovo kann Ihn auch der Student nicht erst unterrichten. Dazu hat so ein junger Mann keine Zeit. Auch täten die Leut bald schwatzen: der Pater Ignaz ist wahnsinnig worden, jetzt hat er an seinen hundert Studenten nicht genug und nicht an seinem neuen Armarium, auch die Bauern holt er sich noch heran. Hör Er mich an: Ich teile Ihm. jetzt drei Aufgaben. Sie sind nicht schwer zu lösen, sofern einer sich bereits ein wenig ' in mathematicis umgesehen hat und in der Geometrie. Bringt Er mir binnen vierzehn Tagen die rechten Lösungen, dann nenn ich Ihm den Studenten. Trifft Er die Lösungen nicht, dann laß Er die Hand von der Redienkunst, dann bilde Er sich auch nicht ein, je mehr von den Sternen zu erfahren, als jeder andere Mensch auch, sofern er das Herz am rechten Fleck sitzen hat. Ein guter Bauer ist auch nützlicher denn ein schlech-ter Sternkünstler.“

„So hab ich es mir auch ausgedacht, genau so.“ Peter wurde der jäh aufschießenden Hitze nicht mehr Herr, „aber ...“

„Es gibt da kein Aber —'*

„Vierzehn Tage sind viel Zeit. Wie soll ich das ertragen? Wenn ich die Aufgaben, die du mir gibst, nicht in “acht Tagen löse, dann lös ich sie überhaupt nicht.“

„Kommt auch nicht auf den einen Tag an.“ Der Pater legte ihm Zirkel, Bleifeder und ein neues Lineal hin, dann drei schöngeschnittene Blätter. „Schreib Er„ was ich Ihm angebe: Numero eins. Von A nach B führt eine Straße, da links mach Er eilten Punkt und beschreibe ihn mit A und rechts einen Punkt, der heißt B.' Kann auch Oberperfuß und Unterperfuß sein, wenn Er will. Der Strich zwischen beiden Punkten stellt die Straße dar. Das weiß Fr doch. Nur ist dies eine schnurgerade Straße, mit dem Lineal gezogen, gut. Oberhalb der Straße, noch weiter hinaufzu, setzen wir einen Baum, auf die Malerei kommt es dabei nicht an. Schön Zwischen diesem Baum und der Straße zeichnen wir nun einen Teich, irgendwelche krumme Linien, einen mißlungenen Speckknödel, ja. Ein paar waagrechte Strichlein hinein, das Wasser, sehr gut. Er ist nun Landvermesser und hat die Entfernung des einzelstehenden Baumes von der Straße zu bestimmen. Dabei darf Er weder mit der Meßschnur durch den Teich waten, noch hat Er ein Boot, kurz, Er hat über das Hindernis des Teiches hinweg die Entfernung auf den Strich genau zu finden.“

„Wie hoch ist der Baum?“

„Wozu braucht- Er die Höhe?“

„Der Meßrahmen!“ Peter spürt jedoch sogleich, daß er sich gewaltig vertan hatte. Er schüttelte das Wort rasch ab. Nein, nein, ein Meßrahmen habe da nichts zu suchen, soviel verstehe er schon, rief er. Der Pater aber starrte ihn sonderbar an.

„Was versteht Er unter einem Meß-rähmen?“

„Nichts, nichts“, rief Peter, und der Schweiß trat ihm wiederum auf die Stirne. „Es wird auch ohne ihn gehn. Ist nur dumm dahergeredet.“

„Dann Numero zwo. Den Zirkel in die Hand und eingesetzt. Jetzt einen Kreis gezogen, nicht so groß, ein halber Kreis genügt. So, richtig, nun ein gerader Strich quer durch den Mittelpunkt gezogen. Bene. Nun den Transporteur genommen.“ ' „Den Winkelmesser?“

„Und einen Winkel von 45 Gradtn gemessen, ein Strich gegen die Kreislinie vom Mittelpunkt aus, Gut. Dort, wo diese Linie den Kreis trifft, denk Er sich den Polstern. Dorthin schreibe er ein A, ein großes A, ■ nein, in den Mittelpunkt ein A und zum Polstern ein B. Richtig. Dort, wo die durch

den Mittelpunkt laufende waagrechte Lipie den Kreis trifft, schreiben wir ein großes C. Capke? Die Entfernung zwischen B und C, also das von den beiden Linien eingeschlossene Stück des Kreisumfanges beträgt zwei Fuß. Wie groß ist der Radius des Kreises? Verstanden, Euer*Gnaden?“

Peter nickte lebhaft, doch die Zeichnung verschwamm ihm vor den Augen. Dann aber dachte er an die heilige Pi, und er wußte sich auch dieser Frage gewachsen, selbst wenn er noch kein Fünkchen von einer halbwegs möglichen Lösung begriff. Und leise sagte er: „Die dritte Frage?“

Der Professor hatte jedoch die Verlegenheit des jungen Bauern nicht minder bemerkt und kam sich selber seltsam genug vor, wie er, der weitgerühmte und bei allen Studiosen gefürchtete Meister der Physik und Astronomie und Meßkunst, nun einem Bauern-, burschen kleinwinzige Aufgabe stellte. Er. hatte bei Gott noch nie in seiner Lehrzeit eine seltsamere Prüfung abgenommen. „Nach den beiden schwierigen nunmehr ein kinderleichtes Exempel“, setzte er rasch fort. „Zeichne Er auf das dritte Blatt einen Kreis. Voll auszeichnen, aber ganz zart, so zart Er nur kann. Er wird gleich sehen, warum. Nun nehme Er, diesen kleinen Schaber und

lösche die Kreislinie bis auf zwei kleine Bogenstücke, man nennt sie Segmente, ja, sie sollen einander Halbwegs gegenüberliegen. Denk Er sich jetzt in folgende Lage: Er hat einen schönen genau bestimmten Kreis mit einem gewissen Durchmesser entworfen und dies auf einer genau berechneten Stelle des leeren Blattes und will die Linie, ehe Er sie mit der Bleifeder nachzieht, ein wenig ausputzen. Das Papier ist Ihm schmutzig geworden, oder so. Er hat aber bei dieser Reinigung nicht nur die Flecken fortgewischt, sondern auch den größten Teil der Kreislinie und, zu allem Unglück, auch den Einsatzpunkt des Zirkels, also den Mittelpunkt des Kreises unsichtbar gemacht. Das ist sehr bös, denn Er soll nun diesen verstümmelten Kreis genau nachziehen, haargenau und auf der nämlichen Stelle. Wie findet er den Mittelpunkt wieder? genauer, wie verhelfen ihm die beiden verbliebenen Segmente zu dem richtigen Mittelpunkt? Eine kinderleichte Sache sofern Er etwas im Köpfchen hat.“

„Sehr leicht, kinderleicby, rief Peter, denn er dachte wiederum an viie heilige Pi und pries in seinem dankbaren Herzen die Begegnung mit dem sonderbaren Engel der Landstraße.

(Fortsetzung folgt)

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