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Peter Anich, der STERNSUCHER

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23. Fortsetzung

Der Professor warf jetzt den Mantel um und nahm etliche Papiere und ein Buch an sich. Will Er noch etwas wissen?“ fragte er dann, „wozu bleibt Er noch sitzen?“ v „Ich will die Aufgaben lösen!“

„Jetzt?“ Herr von Weinhart staunte den Burschen ehrlich an.

„Wenn ich darf, will ich es jetzt gleich versuchen.“

„Wie Er glaubt. Aber dann muß Er jetzt mit mir ins Kolleg hinüber. Hier kann Er allein nicht bleiben. Und noch eins: Wenn Er so fürwitzig ist und dann die Lösungen nicht zustande bringt...“ Der Professor setzte aber den angefangenen Satz nicht zw Ende, und Peter sagte nichts darauf. Er war auch völlig sicher.

% Als sie dann an dem Alten vorbei durch das äußere Kabinett schritten, verwies der Pater seinen neuen Sdiützling noch auf einzelne Kostbarkeiten in den Glaskästen und erzählte ihm, wie er nun erst das Arma-rium aufbaue. Es sei aber, obgleich erst in den Anfängen, bereits der größten und reichsten eines, ja es locke manchen Besucher von weither nach Innsbruck. Auch aus Wien und Nürnberg und München seien schon etliche gelehrte Leute dagewesen. Er sprach auch zu Peter über seine Pläne wie zu einem solchen gelehrten Besuch.

Vor dem Hause standen noch die Studenten. Es waren ihrer gut zwanzig, die da ihren Spaß erwarteten und lärmten. Sie schwiegen aber rasch, als sie die beiden, den Professor und das Säuerlein, die Hohe Schule verlassen sahen, rückten die Mützen und traten zur Seite. Der Professor wandte sich den Burschen zu, als wollte er sie etwas fragen, kehrte sich aber dann sogleich wieder seinem jungen Begleiter zu. Dieser verriet nichts.

10. Kapitel

. , Als sich die Tür des Stübchens zu ebener fcrde hinter dem Pater geschlossen hatte, wischte Peter sich den Schweiß aus der Stirn. Dann setzte er sich an den glatten Tisch, legte das Papier mit der ersten Aufgabe vor sich hin und begann eines jener Selbstgesprädie, die bei Menschen seiner Art nicht sonderbarer sind als die Schwatz-haftigkeit irgendwelcher Leute. „Bald ich meinen Meßrahmen zu dieser Aufgabe nutzen dürfte“, redete er zu sich selbst, * „war die Geschichte ja nicht allzu schwierig. Ich geh einfach um den Teich herum, vorausgesetzt, daß die Wiese nicht allzu sumpfig ist, und messe mir die schräge Entfernung zwischen Baum und Straße schön nach Schritten. Dann kehre ich zur Straße auf dem nämlichen Wege zurück und stelle meinen Meßrahmen auf den Baum ein. Auf soundso viel Schritte Entfernung mißt der Baum soundso viele Fuß. Hast du dann den Punkt auf der Straße, der dem Baume haarscharf gegenüberliegt, gefunden, du kannst dafür dein neues Astrolabium verwenden und so den rechten Winkel auf das genaueste bestimmen — aus der Höhe des Baumes magst du dann im Meßfahmen leicht die Entfernung über den Teich hin errechnen.“

Peter ließ dabei die Bleifeder all diese Wege abschreiten, freilich ohne daß sie das kostbare Papier berührte. Plötzlich tat er einen so gewaltigen Juchzer, daß die leere Stube widerhallte. „Donner und Gloria“, rief er aus, denn der Geist des seltsamen Invaliden oder Landstreichers war wiederum in ihn gefahren, „Türken und Kartaunen! Ein herrlicher Triangel, ein Dreieck mit dem feinsten rechten Winkel. Wozu Meßrahmen und Astrolabium?!“ Er braudite bloß auf der Straße nach links wandern oder nach rechts — er entschied sich für links, denn das sah auf dem Papier schöner aus —, so weit wandern, daß eine schräge Linie knapp an dem Wasser vorbei den BaumXund die Straße verband. Nun war es auch gleidigültig, ob dort Sümpfe drohten oder irgendwelches Gestrüpp, denn er bedurfte nicht des wirklichen Baumes und des wirklichen Teiches, sondern allein der Zeichnung. Diese schräge Linie aber war

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nichts anderes als die längste Seite des rechtwinkligen Dreiecks, und das Stück auf der Straße sowie die gefragte Luftlinie zum Baume hinüber bildeten die beiden kürzeren Seiten. Sobald nun die längste Seite und das Straßenstück gemessen waren, konnte er des weiland Herrn Pythagoras herrliches Sprüchlein anwenden: Das Quadrat über der längsten Seite ist gleich der Summe der beiden Quadrate über den kürzeren Seiten.

Doch als Peter nun im Eifer der Entdeckung dies auch hinschreiben wollte, setzte er die Bleifeder wieder ab. Die Sache war leicht gesagt, aber schwer niederzuschreiben. Vor allem, das spürte er ärgerlich, durfte er doch nicht immer nur von einer längsten und zwei kürzeren Seiten reden. Damit mochte wohl er selbst, aber kaum der Professor zufrieden sein. Er schrieb deshalb auf den Schnittpunkt der sdirä-gen Linie und Straße eine Eins, auf den Punkt am rechten Winkel eine Zwei und zum Baum eine Drei. Nun ließen sich die Seiten des Dreiecks sauber benennen.

Das Quadrat über 1 bis 3 war also gleich der Summe der beiden Quadrate über 1 bis 2 und 2 bis 3. Peter blickte in sein Schreibbüchlein. Daran war nicht zu deuteln. Doch, und jetzt traten ihm arge Schweißperlen auf die Stirn, das alles ergab noch lange nicht die Seite 2 bis 3. Er starrte verzagt auf das Papier. Der Invalid hatte ihm wohl einen goldenen Schlüssel in die Hand gedrückt, aber er, der voreilige Peter, konnte den Sdilüssel nicht gebrauchen. Es war ja kein gewöhnlicher Sdilüssel und kein gewöhnliches, kein bäurisches Schloß.

In diese seine arge Verzagtheit hinein klopfte es an der Tür. Herein trat ein junger, schlicht gekleideter Mann, sichtlich kein Priester, sondern wohl ein Bruder des Kollegs. Er trug eine kupferne Tasse und darauf stand ein mächtiger Teller mit einem nicht geringen Stück schwarzer Tiroler Wurst und einem Ranken Brot. Dazu aber brachte er einen Krug Wein, aus dem es gar lieblich duftete. „Das schickt dir der Pater Ignaz“, sagte der junge Mann und stellte Tasse und Krug auf den Tisch, „daß dir nicht schwach wird bei deiner Arbeit. Auch läßt dir der Herr Professor sagen: du kannst ruhig heimgehn, bald du nicht weiterweißt. Er erwartet dich dann heut über vierzehn Tagen, wie es aus-gemadit ist.“

„Ja“, sagte Peter, „so ist es ausgemacht, und ich werde heimgehn, wenn ich nicht weiter weiß.“

Der Bruder blickte auf das Papier und dann in das keineswegs sehr zuversichtlidie Gesicht des jungen Bauern und rückte ihm den Krug ganz nah heran „Da, trink einmal tüchtig. Ist der beste Burggräfler, den dir die Herren spendieren, und eine ganz große Ausnahm in unserem Haus. Trinken ihn selbst nur zu den hohen Feiertagen. Mein auch, der Pater Ignaz hat seine Weisheit von dem Tropfen.“

„Darf man das Fenster auftun?“ fragte Peter zurück. „Ihr habt da noch die Kälten vom Winter herinnen.“

Der Bruder lachte: „Bei uns hält sich auch die Kälten länger als anderswo in einem Haus. Das gehört dazu. Sonst täten die Herren nur immerzu auf die Berg blicken und auf die schone Gegend und allzuwenig in sich selber“

„Das ist richtig“, sagte Peter, „bald einer immerzu nur die Mauern sieht und einen engen Hof, hält er seine Gedanken leichter beisamm. Aber ich mein, bei mir daheim zwischen den Bergen kann einer das auch, wenn er es nur von klein auf richtig übt.“

„Du bist aus Perfuß?“

„Ja, und du?“

„Aus Brixen bin ich daheim.“

Dem Peter glänzten wieder die Augen. „Dann kennst du sicher auch den Mann, der den Brixnerischen Schreibkalender drucken läßt.“

„Wer sollte den Herrn Azurim nicht kennen?“ sagte der Bruder stolz. Dabei schielte er wiederum auf die Zeichnung. „Willst leicht auch ein AstronOmus wer-s den? Ist ein gutes Geschäft, doch kein sehr

leichtes, will einer es allen Leuten schön recht madien. Die Mathematik* ist, scheint mir, bescheidener, auch die Physika und die Sternkunde allein, wie sie mein Herr, der Pater Ignaz, betreibt; auch geruhsamer und reditschaffener. Doch ich bin bloß meines Herrn, des Pater Ignaz, Diener und schau auf sein leibliches Wohl. Das geistige und das geistliche hat er schon se'bst im Aug.“

„Ach“, sagte Peter nach einer Weile, „was bist du für ein glücklicher Mensch, wo du den ganzen Tag um den Pater Ignaz sein darfst und alles weißt, was er ausdenkt, und ihn jeden Tag fragen kannst, wann immer du nur willst und um alles, was dich bekümmert. Das war schon leichter, als wenn einer in Perfuß sitzt und keinen Pater Ignaz um sich hat, nicht einmal einen Schullehrer oder einen Kuraten, der sich um ihn bekümmert.“

„In den ersten' Jahren, in Ingolstadt draußen, hab ich meinen Herrn auch um mancherlei befragt“, sagte der Bruder rasch, „ich hab es aber bald bleiben lassen, sonst war ich heute nicht mehr bei ihm. Die hohen Herrn haben das nicht gern, und sö ein gelehrter Mann hat auch seine Zeit nicht für unsereinen gestohlen. Auch lernt einer im Kloster, daß es eine gewisse Einteilung in der Welt gibt, die man nicht umstürzen soll, soferne einer die ihm zugewiesene Pflicht erfüllen will. Der Diener hat zu dienen und der Bauer hat zu ackern, und die gelehrten Herrn strengen ihre Köpferl an, alle miteinander ad majorem Dei glo-riam und mit dem gleichen Verdienst für das andere Leben. Aber mein Herr weiß freilich auch etwas von der Welt, Und wenn einer, der nichts gelernt hat als eben seine

eigene Arbeit, ihn um Rat und Hilfe angeht, findet er allemal auch ein gutes Wort und einen brauchbaren Rat and einen guten Trunk dazu. Chi bist wohl wegen der Fischwässer bei ihm?“

„Ja,-ich habe mir einen gelehrten Herrn nicht so freundlich vorgestellt“, sagte Peter, und das Reden kam ihm bei den wohlgezielten Worten des anderen schwer genug an. Er hätte audi allzugerne gewußt, was es mit den Fischwässern für eine Bewandtnis habe, aber er war dabei doch heilfroh, daß der Bruder, wohl durdi die Zeichnung des Teiches verleitet, diesen und nicht den wirklichen Grund seines Hierseins vermutete. „Ich wundere1 mich bloß“, setzte er rasch hinzu, „daß du von Ingolstadt redest, wo dein Herr doch seiner ganzen Rede und Art nach ein Tiroler ist.“

Er sei auch nicht bloß irgendein Tiroler, sondern der gerühmtesten einer und aus einem alten Landgeschlechte. Der Bruder war nun sichtlich erfreut, daß er ihm mehr über seinen Herrn berichten durfte. Sein Urgroßvater sei freilich aus Augsburg zugewandert, dann aber als Leibarzt des Erzherzogs Maximilian in Innsbruck geadelt worden. (Fortsetzung folgt)

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