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Peter Anich, der STERNSUCHER

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24. Fortsetzung

Seither nannten sich die Weinhart von Thierburg und Volandsegg. Auch dessen Sohn, der Vater des Pater Ignaz, sei ein gar berühmter Arzt gewesen, Hof- und Leibarzt, dabei kaiserlich königlicher Rat, und wenn der Enkel als erster nicht mehr die ärztliche Kunst ausübe, sondern geistlich geworden sei, so habe er doch den Sinn für alles Praktische geerbt und die Hilfsbereitschaft eines Doktors. In den Kollegien des Pater Ignaz werde weniger philosophiert und mehr experimentiert, er habe eine ganz neue Art, die jungen Herrn zu unterrichten, ausgebildet. Seit er die neue Luftpumpe erfunden und das Museum physicum und mechanicum eingerichtet habe, kämen sogar Leute aus Bayern und Innerösterreich, aber auch aus Sachsen und Ungarn auf die Hohe Schule nach Innsbruck. Aber auch seine Landsleute hätten ihm mehr zu verdanken, als sie gemeinhin wüßten. Zur Zeit führe er einen aufregenden Kampf um neue verbesserte Salzpfannen in Hall und sei deshalb weder beim Gubernium noch bei den alten Salzleuten sonderlich beliebt, aber er verfolge nun einmal das als gut Erkannte mit aller Hartnäckigkeit, und wenn er in einer kleinen Schrift nachgewiesen habe, daß die Fische auch in zugefrorenen Wässern gut überwintern könnten, so sei auch diese für das Landvolk so nützliche Entdeckung noch lange nicht allgemein geachtet, treffe aber doch, wie der Besuch zeige, da und dort bereits auf ein williges Ohr. Sein Herr lasse sich eben nicht bloß auf seine Studenten verweisen, er habe auch die Landaufnahme an der venedischen Grenze durchgesetzt und räume durch Beharrlichkeit und Gelehrsamkeit am Ende doch alle seine Gegner aus dem Feld. 'Besagte Landaufnahme bereite ihm zur Zeit die allergrößten Sorgen, denn der Freiherr von Sperges, der die neuen Karten zeichne und hiezu auch von der Regierung angestellt sei, kränkle bereits von der ungesunden Arbeit und werde voraussichtlich bald nach Wien abberufen werden. Es sei aber auch kein Mensch da, der ihn ersetzen könne, und selber könne der Pater doch neben seiner vielfältigen Arbeit nicht auch noch wochen- und jahrelang auf den Bergen herumsteigen. Er habe deshalb auch eine Sitzung nach der anderen und kaum mehr Zeit für sich selber.

„Und du sagst, der Freiherr kann die Landaufnahme nicht weiterführen?“ Peter saß plötzlich wieder aufrecht in seinem Stuhl.

„Er hat es auf der Lunge; die heißen Tage und die kalten Nächte da unten hält auch nicht bald einer aus. Auch läßt er sich, was ja mein Herr nicht wahrhaben will, nicht gern von den blöden Bauern erschlagen. Die meinen doch, er tat ihr Land nur wegen der, Steuer vermessen. Die andern aber in den Städten, die wohl begreifen, was es um eine solche Karte für eine Bewandtnis hat, fürchten sich wieder vor den Franzleuten. Sie meinen, bald diese Herrschaften wieder einmal über Tirol herfallen, haben sie dann gleich feine Karten bei der Hand und es in unseren Bergen doppelt so leicht. Hat eben jedes Ding seine zwei Seiten. Doch was bekümmert dich das alles. Du baust deinen Türken daheim und die nötigen Krautköpf für das Geselchte.“

„Das ist freilich sicherer“, sagte Peter und tat einen herzhaften Trunk.

Als der Bruder ihn jedoch verlassen hatte, ward ihm ganz und gar wirbelig im Kopf, und das tat nicht der besondere Wein allein. Peter stieß das Fenster auf, lief in der engen Zelle hin und her, kehrte wieder an den'; Tisch zurück und starrte auf die Zeichnung. Dann schob er einen mächtigen Bissen Wurst zwischen die Zähne. Und als sei nun durch den Wirbel, den die Nachricht von der neuen Landaufnahme in ihm erregt hatte, in seinem Schädel das Richtige obenauf geraten, stand die Lösung ohne viel Nachdenken jetzt klar vor ihm: Wenn das eine Quadrat die Summe der beiden kleineren war, dann konnte das Gesuchte nur die Differenz der beiden andern Quadrate sein. Er schlug sein Schreibbüchlein auf. Da stand ja alles so deutlich, wie er es nach der Begegnung mit dem Invaliden aufgeschrieben hatte. Bei den Seiten zu drei und vier und fünf Fuß ergaben die Quadrate neun und sechzehn und fünfundzwanzig Quadratfuß. Unabänderlich. Nahm einer nun von den fünfundzwanzig Quadratfuß die neun weg, so blieben die sechzehn übrig, radiziert ergab das eine Länge von vier Fuß. Oder, wenn er die Lösung nun in die Zeichnung einschrieb: Das Quadrat über 2 bis 3 ist gleich dem Quadrat über 1 bis 3 weniger dem Quadrat über 1 bis 2. Das konnte auch vor den Augen eines Pater Ignaz bestehen.

Jedoch war es noch nicht die gesuchte Luftlinie, Peter gab es einen Stich ins Herz, denn welche Zahl sollte er radizieren, wenn keine angegeben war? Sein erster Gedanke var, der Pater habe in der Eile die Zahlen vergessen. Das war schlimm, denn er, Peter selbst, hätte ihn darum befragen müssen. Nun schien es ihm wohl fürs erste gut, daß er diese Frage nicht gestellt hatte. Der Professor mußte sich damit begnügen, daß Peter einfach schrieb, die Luftlinie sei eben die Wurzel aus der gezeigten Differenz. Weiter kam auch gewiß der Professor nicht. Und jetzt tat Peter einen Hopser, daß der Weinkrug bedenklich wackelte. Welche Zahl ward denn bei diesem Exempel überhaupt gesucht? Welche Zahlen hätte ihm der Pater angeben müssen? Die Maße für 1 bis 2 oder für 1 bis 3? Was auch nutzte oder schadete es, ob diese Strecken nun 20 oder 120 Fuß lang waren? Für den, der die Aufgabe zu lösen hatte, kam es doch allein darauf an, daß er den Weg zur Lösung fand, daß er in seinem Köpflein auf das rechtwinkelige Dreieck und auf den Satz des berühmten Herrn Pythagaras verfiel.

Peter tat neuerlich einen Schluck, biß kräftig in die Wurst, schob ein mächtiges Stück Brot hinterdrein und legte das erste Blatt säuberlich zur Seite.

Der Halbkreis des zweiten Exempels stand sauber gezogen und beschrieben vor seinen Augen. Im-Mittelpunkt des Kreises das große A, dort, wo die um 45 Grad geneigte Gerade den Kreisbogen trifft, das B. Der Polstern, wie ihn der Professor genannt hatte. Sicherlich wollte er seine Kenntnis in der Sternkunst prüfen. Dort, wo der waagrechte Diameter den Kreis trifft, das C. Kein Stern, sondern irgendein Gipfel öder ein Baum oder ein Turm. Die Entfernung zwischen B und C beträgt zwei Fuß, wohl himmlische Fuß. Wie groß ist der Radius des Kreises? Peter nahm den Zirkel, stellte das Segment des Kreises ein und trug es auf der Kreislinie auf. Er konnte den Zirkel viermal einsetzen. Sein Auge hatte ihn richtig beraten. Also war der Umfang des ganzen Kreises acht Segmente oder, das Segment zu zwei Fuß geredinet, himmlische oder irdische, sechzehn Fuß. Das schien Peter wahrhaft allzuleicht gefunden. Er zog wiederum sein Büchlein zu Rate, doch er hatte es unverbrüchlich gemerkt: diese sechzehn Fuß waren nichts anderes als der Kreisumfang, also zweimal der Radius mal der herrlichen Pi. Er schrieb, wie der Soldat es ihn gelehrt hatte, den griechischen Buchstaben. Er strich auch, wie er es bei seinen Münzsortenumrechnungen im Brixnerischen Schreibkalender geübt hatte, die Zeit weg und ersetzte die Sechzehn durch eine Acht und schrieb den Ansatz sauber auf das Papier. 8 Fuß ist gleich dem Radius mal 3,1415. Das stimmte nach allen Regeln des Schreibbüchleins und des Soldaten. Immerhin war es aber noch nicht der gesuchte Radius. Peter probierte und dachte herum. Auch die Pi nutzte da weiter nichts. Es ärgerte ihn jetzt mächtig, daß in jedem

Exempel irgendeine Falle steckte, doch es erfreute ihn zugleich, denn die Aufgabe, wie er sie zuerst angesehen hatte, hätte ihm doch allzu dürftig geschienen, zu gering für einen jungen Mann, der zwanzig Jahre auf diese Prüfung gewartet hat und an die Landaufnahme an der venedischen Grenze denkt.

Gut eine halbe Stunde lang brütete er über dem Ding. Er nahm das erste Blatt wieder vor, dann sein Schreibbüchlein, probierte neuerlich mit dem Zirkel, schätzte die Winkelseite; darauf trug er Teller und Weinkrug auf das Fensterbrett hinüber, daß der Tisch vor ihm freier ward und er nicht weiter in Versuchung kam, jede Schwierigkeit mit einem Trunk zu betäuben, und nahm schließlich das dritte Blatt vor, ohne daß er es auch nur ernstlich betrachtete. Dieses verschaffte ihm immerhin wieder einen klaren Gedanken: Wenn ihm die kindischen Zahlen drei und vier und fünf vorhin geholfen hatten, so mochte er sie auch jetzt zu Rate ziehn. Er schrieb auf eine leere Seite seines Büchleins: zwölf ist gleich drei mal vier. Die Drei mochte zur Not die Pi vertreten, die Vier war der gesuchte Radius. Er fand sie leicht, sobald er die Zwölf durch die Drei teilte. Das war ein klarer und sicher-lidi auch der einzig mögliche Weg. Er setzte also die Acht auf das Papier und darunter die 3,1415. Das gab eine langwierige Division. Ich hätte die Jahre her mehr rechnen müssen, - schalt er sich, und weniger die Stern angucken, auch erinnerte er sich, daß ihm das Rechnen noch zu Vaters Lebzeiten leichter gefallen war. Ich denke zu wenig an den Vater, sagte er dann vor sich hin, deshalb komm ich auch nidit zurecht. Der V-.ter wüßte auch um diese Rechnung, denn er ist an einem Ort, wo sie alles wissen,selbst das Geheimnis des Kreises. Aber die breiten und immer neuen Zahlenkolonnen duldeten auch diesen heimlichsten Gedanken nicht, denn was dabei herauskam —• und die Zahl blieb allen Versuchen zum Trotz unwandelbar — war weder schön anzusehn, noch hatte es auch nur den Anschein welcher Gültigkeit: 2,587. Auf mehr Dezimalen trieb Peter die Zahl nicht. Er machte hingegen in seinem Büchlein die Probe, multiplizierte che gewonnene Zahl mit der Pi und ward noch ärger verzagt. Denn wenn drüben eine klare Acht stand, nun erhielt er wohl auch eine Acht, aber einen ärgerlichen Haufen Dezimalen darüber. Und da er nach wiederholten Versuchen auf keine bessere Zahl geriet, also dem Anschein nadi riditig gerechnet hatte, aber die Probe, was ihm noch nie zugestoßen war, audi nicht die schöne Ausgangszahl ergab, schob er das zweite Blatt verärgert von sich, er kehrte es auch um, daß er die vertrackte Rechnung nicht mehr betrachten brauchte, und nahm das dritte Exempel vor.

Schon drüben im Armarium war es ihm als das leichteste unter den dreien erschienen, und der Pater hatte es auch ausdrücklich als eine kinderleichte Aufgabe bezeichnet.

(Fortsetzung folgt)

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