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Peter Anich, der STERNSUCHER

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27. Fortsetruns

Stöße von Briefen, Eingaben an die hohe

Regierung, Einladungen aus allen Teilen des Landes zwangen Herrn von Weinharr., mit seiner freien Zeit zu wuchern. Zumal die Samstage, außer einern einstündigen Colle-gium mechanicum für Anfänger, als freie Tage anzusprechen, waren seit Jahren mit mathematischer Peinlichkeit geordnet. Die Stunde von neun bis zehn Uhr gehörte dem neuen Armarium. Mit dem alten Famulus Christian Obermoser ward dann abgerechnet, was sich an strittigen Fragen des Sichtens und Einordnens die Woche über ergeben hatte. Die Zeit nach dem Kolleg und vor dem Mittagstisch genügte zur Erledigung der die Woche über angesammelten Briefschaften, sofern sie weniger wichtig waren und mit einigen Zeilen beantwortet werden konnten. , Nach der Rekreation, im Sommer oft erst um drei Uhr oder noch spater, ritt der Professor über Land. Zu den Salinen nach Hall, zu irgendeinem Grafen, zu einem Bauern, wo immer man seiner Kenntnis und seines Rates bedurfte. Zuweilen wartete dann bereits vor dem Mittagstisch ein Gefährt an der Pforte, im Winter auch ein fröhlicher Schlitten. Lieber jedoch ritt der Pater seinen dreijährigen Apfelschimmel. Audi ein mäßiger Regen und ein nicht allzu eisiger Sturm schmälerten nicht diese Vergnügen. Die guten Gedanken kamen ihm dann nur um so reichlicher denn an strahlenden Tagen, und gar wenn er sich, was nicht selten geschah, reichlich geärgert hatte, ward dies die allerbeste Medizin.

Daß dieser so vielseitige und, wie manche meinten, in seiner Hilfsbereitschaft ein wenig abseitige Gelehrte sich einen jungen Bauern als Schüler erkor, war demnach nicht allzu absonderlich, selbst wenn dieser Schüler, wie man lächelnd erzählte, nicht auf bessere Fischwässer und Grundfragen aus war, sondern sich um den gestirnten Himmel bekümmerte. Wenn Pater Ignaz sich jedoch vorgestellt hatte, er brauche seinem Schützling einfach vor dem Kollegium einige Exem-pel aufgeben und nachher die Lösungen mit ihm besprechen und ihn dann noch vor dem Mittagstisch mit etlichen Aufgaben versehen wieder heimschicken, im übrigen könne er bei seiner bewährten Tageseinteilung verbleiben, so sah er sich bereits am ersten Samstag gründlich enttäuscht.

Er legte dem Bauern des Johann Baptist Lechner Rechenkunst vor, ein handliches Büchlein von etwa 350 Seiten, das, in Augsburg und Innsbruck bereits zum zehnten Male aufgelegt, sich an den neuen Normalschulen eines guten Rufes erfreute und mit dessen Hilfe er die ersten langweiligen Rechnungsarten in einigen Monaten durchzunehmen hoffte.

Der junge Bauer nahm das Buch gar andächtig in die Hand, blätterte auch kaum darin und sah immer wieder auf das rot und schwarz gedruckte Titelblatt und auf den feinen Ledereinband. „Das hätt ich schon vor zwanzig Jahren gebraucht“, seufzte er dabei, „dann brauchtest du dich heut mit mir nicht plagen und ich könnt schon die Mondbahn ausrechnen, den Abendstern und den ganzen Himmel.“

Dazu genügten die fünf Spezies, wie sie in dem Buche beschrieben und an vielen Exempeln erklärt seien, allerdings nicht, sagte der Pater ernsthaft, obgleich ihm ein solches Kolleg sehr heiter vorkam, immerhin brauche auch der gelehrteste Astrono-mus das Einmaleins oder die Tabula Pytha-goreica, wie Herr Lechner es gelehrt benenne. In drei bis vier Wochen hoffe er jedoch die allgemeinen Spezies wie die Numeratio oder das Aussprechen von Zahlen, die Additio. die Subtractio, die Multi-plicatio und die Divisio mit ihm aurchzu-nehmen, vorausgesetzt, daß er daheim fleißig übe und nicht nur den Willen zur Gelehrsamkeit habe, sondern auch jetzt im Frühjahr über die nötige Zeit verfüge. Bis zum Sommer könnten sie dann die spezielleren Rechnungsarten üben, wie Stich- und Tauschrechnungen, Progression und Präposition, die Regula de tri, Zins- und Lidlohnsrechnungen, den Sommer aber allein dem so viel schwierigeren Quadrieren und Kubieren vorbehalten und dem entsprechenden Radizieren. Im Herbst gedenke er dann die Anfangsgründe der Geometrie ihm beizubringen. Freilich sei es unsicher, ob sie bis zum Herbst so weit kämen. Er, der Professor, habe ja in den Sommerferien genügend Zeit, der Peter als Bauer dagegen desto weniger. Immerhin sei das Ganze ja erst einmal ein Versuch.

„Ja“, sagte der Peter, „wenn wir einmal bei der Meßkunst sind, geht es dann rascher, da hab ich mir schon mehreres ausgedacht. Aber wenn ich mit dem dicken Büchel in einem halben Jahr durdhkomm, will kh schon sehr froh sein.“

Der Professor hieß ihn also die einzelnen Abschnitte schön nach der Reihe einmal durchlesen, die Beispiele nachrechnen und dabei anmerken, was ihm unklar bleibe. Er ermahnte ihn jedoch, keinen neuen Paragraphen zu beginnen, bis der alte nicht tadellos sitze, selbst wenn er nicht weiter als bis zur Addition käme. Aller Anfang sei schwer und der in der Rechenkunst am allerschwersten. Gründlichkeit und Ausdauer allein entschieden da den Erfolg. Auch schob er ihm einen Packen zugeschnittenes Schreibpapier hin, legte drei Bleifedern dazu, empfahl ihn noch einmal seinem guten Genius und eilte ins Kolleg.

An jenem Samstag führte Herr von Weinhart seinen jungen Hörern die von ihm vor Jahren verbesserte Luftpumpe vor. Auch das Experiment mit den Magdeburger Halb-kugcln gelang ihm diesmal vortrefflich. In der Freude darüber und von seinen jüngsten Studiosen umringt, ging er dann in Gedanken heim zu seinen Briefschaften. Erst beim Mittagessen erinnerte er sich plötzlich des vergessenen Anichbauern, und nach dem Tischgebete, er hatte kaum je das Ende der Tafel so hart erwartet, nahm er Urlaub von der Rekreation und rannte in die Schule hinüber. -

Er fand denn auch seine Befürchtungen fürs erste bestätigt. Der alte Obermoser fauchte ihn an wie eine ausgehungerte Giftschlange. Vor Dreiviertelstunden habe er den Burschen schon hinausgeschmissen, schrie er, doch dieser Bauernschädel, dieser Flegel von einem Menschen, verwechsle ein hohes physikalisches Armarium mit seinem Kuhstall. Der Pater werde ihn noch aufsuchen und die Rechnungen korrigieren, habe er behauptet, als ob ein weltberühmter Professor der Physik, ein Herr von Weinhart, sich um die wissenschaftlichen Entdeckungen eines Abc-Schützen bekümmere. Derweilen seien sicherlich seine Krapfen daheim verdorrt, und die Schwester habe sich aus Angst um den Bruder in den Inn gestürzt.

Doch auch der junge Bauer hockte nicht weniger jammervoll im Stübchen. Speck und Brot lagen noch ungenutzt vor ihm zwischen einem Haufen beschriebener Papiere, und der Blick, mit dem er den eintretenden Lehrer empfing, war ängstlich genug.„Bist nicht einmal über die Addition hinausgekommen?“ rief Herr von Weinhart und riß den Packen Papier ärgerlich an sich.

Daran liege es nicht, sagte Peter nun leise, nur die Namen merke er sich trotz aller Anstrengungen nicht. Er wisse wohl jetzt, was eine Gesellschaftsrechnung sei, aber wenn er ihn um die Regula societatis frage, werde er sicherlich stumm bleiben, so ergehe es ihm auch mit der Regula de tri. Am leichtesten zu merken sei noch das Quadrieren und Wurzelziehn, nämlich was den Namen der Rechnungsart betreffe.

„Merk Er halt die deutschen Bezeichnungen“, rief der Pater und setzte sich hoch außer Atem auf einen der Stühle. „Ist mir auch lieber so. Sonst meint Er, die Gelehrtheit bestehe in den Namen. Er hat auch nicht so unrecht.“ Dabei blätterte er in Windeseile die Papiere durch, hielt ein Blatt näher an die Augen, zog mit seinem Schreibkiel eine Ziffer sauber nach, brummte etwas von unmöglichen Vierern und Siebenern, von Achtern, die da häßlich auf dem Bauche lägen, statt daß sie sich menschlich aufrecht benähmen. Ein Blatt riß er heraus, hielt es weit von sich ab wie ein Bild, zeigte auf die ersten Zeilen die noch hübsch in der Horizontalen sich hielten, und wie die dritte bereits bergan steige, die letzte aber eher nach Art der Chinesen geschrieben sei. Offenbar mangle dem Herrn Mathe-maticus jeglicher Sinn für waagrecht und lotrecht, rief er aus, das sei doch einfach erschütternd. Er werde noch einmal den Polstern am Horizont festlegen und die Höhen- und Breitenvisuren durchetnander-wirbeln, daß einem das heilige Land Tirol vorkomme wie ein Irrenhaus.

(Fortsetzung folgt.)

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