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Peter Anich, der STERNSUCHER

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Nächstens werde er noch wie ein Krautwurm den Kirchturm hinankriechen, vielleicht erfinde er bei seiner Kunst, die Schwerkraft aufzuheben, das Fliegen.

Herr von Weinhart hatte indes das verschollene Blatt längst zurückgelegt und auch die restlichen Blätter überflogen. Dann wog er den Packen und warf ihn auf den Tisch: „Die Rechnungen stimmen bis auf zwei Subtraktionsfehler bei der letzten Kubikwurzel.“ Dem Burschen stand der Mund offen, schier blöde starrte er ihn an. Doch es war auch etwas wie Andacht in seinem unbändigen Staunen.

„Das hast du alles schon durchgerechnet?“ sagte Peter jetzt.

„Du gestattest wohl, daß ich noch ein wenig geschwinder rechne als du“, der Pater lachte. Daß er, der hochgerühmte Proiessor, vor einem ßauernburschen mit dem Einmaleins prahlte, war freilich lächerlich genug. Er setzte deshalb rasch eine gestrenge, ja mehr und mehr verärgerte Miene auf. Er opfere seine Zeit gern, sagte er, gleich ob es sich um einen Bauern oder einen Grafen handle, vorausgesetzt, daß sein Schüler willig, verständig und ehrlich sei. Mit dem Willen sei es nun bei Peter sicher wohlbestellt, ansonsten wäre er doch nicht von Oberperfuß nach Innsbruck gerannt, er habe auch seine Gründe anzunehmen, daß es ihm nicht am rechten Verstand mangle, mindestens nicht an einem schönen Quantum Bauernschläue, um die Ehrlichkeit stehe es hingegen schlimm. Ein junger Mann, ein Bäuerlein, das feierlidi behaupte, es habe weder eine Schule besudit nodi auf andere Weise Unterricht in mathematicis genossen, und dann im Handumdrehen ein ganzes Rechenbüchel durchrechne und die schönsten Kubikwurzeln ziehe, sei. ein Schelm.

Wie das böse Wort heraußen war, gereute e*ovihn auch schon. Diese entgeisterten

Augen gehörten keinem Schelmen. Soweit kannte Herr von Weinhart die Menschen. Wenn er aber nicht schwatzte noch betrog, noch sich groß machen wollte, wie kam dieser junge Bauer dazu, in wenigen Stunden das für vier oder sechs Samstage vorgesehene Pensum durchzuarbeiten, wobei das Aufschreiben der Rechnungen allein für eine ungeübte Hand, eine bäurische dazu, einfach unbegreiflich war? „Geh jetzt heim“, sagte er rasch und drückte ihm das Buch in die Hand, „mach dir einen guten Sonntag, und dann während der Woche nimm die einzelnen Spezies noch einmal ganz langsam vor. Was einer allzu leicht begreift, vergißt er auch leicht. Wenigstens bei meinen Studiosen ist das so.“

Peter aber, schlug das Büchlein noch einmal auf, blätterte bis gegen den Schluß und hielt es dann dem Pater vor die Augen. „Da“, sagte er, „da schau, die Uhrenzahlen, die hast du leicht gar nicht gemerkt. Für die Minutenuhr, für die Repetieruhr, die englische Stundenuhr, für Uhren mit Schlagwerk und Ketten, für Gewicht, Schnecken-und Perpendikeluhren. Sind auch bei jeder Art die Zahlen für Triebe und Räder angegeben. Für das Schneckenrad, das große Bodenrad, das kleine Bodenrädchen, das Kronrädchen, das Steigrädchen. Soll die Zahl wohl die Anzahl der Zähne bedeuten?“

„Das wird wohl so sein.“ Der Professor überflog die langmächtigen Zahlenkolonnen. „Hab nur nicht gedacht, daß du ein Uhrenmacher werden willst.“

„Wer sagt, daß ich ein Uhrenmacher werden will? Nur gewunschen hab ich mir diese Zahlen längst. War doch dumm, wenn einer erst auskopfen möcht, was ein viel gescheiterer Mann so schön in einem Büchel gedruckt hat.“ Nein, eine solche Uhr, wie der Pater meine, habe er nicht daheim, die ihrige habe ja der Vater nodi mit neuen hölzernen Zähnen versehen. Daß er dabei und in dieser aufregenden Stunde und nach so vielen Jahren an die Uhr in Gries dachte und an die Vroni, die junge Eglauerin, erschien ihm selbst höchst ungehörig. Man könne die Zahlen aber für jedes andere Triebwerk gebrauchen, setzte er rasch hinzu, für eine Himmelskugel etwa, wie sie draußen im Glaskasten stehe, es wäre doch höchst seltsam, wenn sich eine solche Kugel einmal im Tage um die Achse drehe, genau wie der gestirnte Himmel selbst, oder wenn gar der Mond herumspaziere und ein anderer Planet.

Auch solche Globen gebe es bereits in Nürnberg und Holland, sagte der Pater rasch, sie hätten in Innsbruck nur noch keinen, weil eben so ein Ding viel Geld koste, sehr viel Geld, es handle sich ja um wahre Wunderwerke, die auch entsprechend groß gebaut sein müßten, vier, fünf Schuh im Diameter. „Doch es hat wenig Sinn, über Himmelskugeln und Planetenbahnen zt* schwatzen, wo man nicht einmal eine gewöhnliche Kugel beschreiben kann, in geo-metricis meine ich.“

„Aber drechseln kann ich solche Kugeln“, sagte Peter, „eine so große müßte man dann eben hohl machen und schön zusammenleimen und Spreizen einbaun, daß das Ganze festhält, und dann mit einem starken Pergament überziehn.“

„Dann die Sternbilder draufmalen und den Tierkreis und alles sauber beschreiben und stechen und drucken und kleben und den Horizont und die Ekliptik selber schneiden, alles in einer Woche, sofern man nur einmal richtig das Einmaleins beherrscht.“

„In fünf Jahren könnt man das schon wagen.“

„So redet entweder ein rechter Spornritter oder ein blutiger Anfänger, der seine Grenzen noch nicht kennt. Ich setze bei dir das letztere voraus.“ Der Pater tat nun nicht bloß ärgerlich, er war es auch, wenn er auch nicht recht wußte, weshalb. „Auch gärt: es Dinge, die tut man m zehn und m hundert Jahren nicht, selbst wen man da Leben hätte, weil man eben dazu nicht geschaffen ist. Merk Er sich das! Auch aas gehört zur Gelehrsamkeit.“

Als Herr von Weinhart aber dann noch gegen Abend ein Stück auf der Straße gegen Hill dahinritt, kamen seine Gedanken von dem jungen Anichbauern nicht los. Er dachte dabei weniger an die sicherlich erstaunliche Geschwindigkeit, mit der ein Ungeübter die Spezies begriff, noch an die abscheuliche Schrift, die ihm den Mangel an Vorschulung zuvörderst bestätigte. Pater Ignaz erging sich vielmehr in sehr nürmi-sdien und, wie er sidi selbst dazwischen gestand, durchaus übereilten Plänen. Wen der junge Bauer hielt, was die erste Stund versprochen hatte, überdies auch die in ganzen verwunderliche Prüfung die Woche vorher, dann wuchs unter seinen Hände leicht ein tüchtiger Landmesser heran. Keine von jenen geschäftstüchtigen Burschen, tut im Rufe standen, daß sie sich bei Grenz-streitigkeiten gern auf die Seite dessen schlugen, dem die Gulden leichter in der Tasche saßen; ein ehrlicher Mann, auf de man bauen und schwören konnte, ein Bauer. (Fortsetzung folgt.)

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