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Peter Anich, der STERNSUCHER

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37. Fortsetzung

Der Kurat aber predigte am nächsten Sonntag über das Schaff und das Licht. Da Licht sei von Gott in die Welt gebracht, daß es leuchte. Den Menschen aber sei es anheimgegeben, ob sie das Licht unter das Schaff stellten und auf diese umständliche Art verlöschten, oder ob sie es auf das Schaff stellten und leuchten ließen. Wohl gebe es Leute genug, denen das Licht nicht fromme, sei es, daß es nicht ihr eigenes Licht sei oder daß sie sich ängstigten, das neue und fremde Licht tat ihr eigenes trüb erscheinen lassen, oder daß sie überhaupt eine Wut auf jegliches Licht im Herzen trügen, von wegen ihnen das Leben und Raffen in der Finsternis lieber sei denn die Dinge des Lichtes. Solche Nachtwölfe und Gespensterseelen gäbe es sicherlich in Oberpeifuß nicht. Immerhin Arglistlinge und Dickschädel, die jedes fremde Licht schief anblickten und es gern bedecken täten, auch wenn es dann verlöschen muß. Ausblasen täten sie's ja nicht, solche Lichtmörder, wer wollte sie in Perfuß suchen? Aber bedecken und sich die Hände reiben und dann ach und weh schrein, wenn es verloschen ist, ohne ihre Schuld! Er als Kurat hingegen habe nichts für sein eigenes Lichtlein zu befürchten, ja er sei froh, wenn ein zweites rieben dem seinen leuchte, selbst wenn er sich daneben nur vorkomme wie der Vollmond neben der Sonne. Sobald er deshalb ein Lichtlein merke und sich vergewissert habe, daß es auch wirklich ein Licht sei und nicht ein Irrlicht oder ein faules Holztrumm, er stelle solch ein Licht nicht bloß neben den Scheffel, sondern auf ihn darauf Und auf einen recht höhen dazu, daß es allen Oberperfern leuchte zum Segen, zum Vergnügen und zur Ehre Gottes.

Es war dies nicht die erste unbegreifliche Predigt, die der alte Kurat seinen Scliäfein gehalten hatte. In früheren Fällen aber hatte der gute Herr, wenn er die Leute erschöpft, auch verärgert sah, in einer knappen Nutzanwendung die Verwirrung wieder eingerichtet. An jenem Sonntag hingegen blieb ■nach der Meinung der Oberperfußer die Nutzanwendung aus, ja, daß ihr Kurat plötzlich einen rechtschaffenen Gedankensprung tat und von der neuen Sonnenuhr -zu predigen anhob, ließ sie fürs erste an seinem Verstand irre werden.

Er pries die Sonnenuhr als die Uhr aller Uhren, eine, die untrüglich sei und mit der man auch keinen Menschen um die rechte Stunde beschwindeln könne. Freilich könne jemand daherschwatzen, sie gehe nur bei Tage und auch allein an heiteren Tagen. Das sei richtig, doch just an heiteren Tagen vergäßen die guten Menschen nur allzugern ihren Lenker und Schöpfer, in trüben Stunden melde sich der Allmächtige schon von selber an, dann sorge er auch, daß man fürder um sein Dasein wisse. In der Nachtzeit aber sorgten schon die Gestirne dafür, auch seien seine Pfarrkinder brav genug, daß

sie in den Nächten tüchtig schnarchten. So sollten sie also das neue, überaus künstliche Werk verstehn, betrachten und sich an ihm erfreun, dem Herrgott aber zuvörderst dafür danken, daß er ihnen nicht bloß die Sonne jeden Tag neu schenke, sondern auch den Mann unter sie gesetzt habe, der die Zeichen der Sonne und aller Gestirne zu deuten und zu vermitteln wisse, einen Bauern gleich ihnen. Nicht jedem Bauern sei es gegeben, ein so unvergängliches Werk zu schaffen, aber jeder könne den Meister achten und mit solcher Achtung und Schätzung mitteilhaftig werden an Werk und Ruhm.

Der Kurat verbiß ein Lachen, als sich die Gesichter unter ihm nun alle gegen die Männerseite drehten, so daß er bald nur mehr Hüte und Schöpfe und Glatzen sah und in den hinteren Bänken Hälse, die schier ins unendliche wuchsen. Der aber, den es anging, saß steif auf seinem Platz und starrte in sein Betbuch; wie ein elendiger armer Sünder mit Blutfarbe übergössen saß er da. Den Kuraten gereute seine Predigt schier.

Nach der Messe aber sah man den Peter durch die Leute aus dem Friedhof hasten und gleich auf die Wiesen hinaus, dorthin, wo doch seit Menschengedenken kein Weglein ging, die Leni aber hastete allein und mit verheulten Augen durch die Leute und blickte nicht links und nicht rechts.

Im Anichhaus aber gingen und kamen die Leute den ganzen Vormittag über. Der Franz war da und die Erhardtbäuerin, der Riedelnachbar, der seit des Vaters Tod nicht mehr in der Anichstube gesessen hatte, samt seinen Buben, der Hörtnagl mit seinem Weib kam dazu und endlich der Blasius mit allen Huebersöhnen. Sie alle reichten dem' Peter und der Leni und der Mutter, auch der Marie feierlich die Hände und standen herum und beredeten das große Ereignis und wollten auch jeder die Drechselbank sehen und die Bücher und die kleine Sonnenuhr in dem Holzwürfel, und die Leni und die Anichmutter wischten sich immer wieder die Augen blank, es sah schier aus, als gab es wieder eine große Leich im Anichhause.

Die Marie war, als die vielen fremden Leut ein wenig hilflos Peters Arbeitsstätte unter dem Vordach betrachteten, feüerrol- ' geworden. Dann aber mitten unter den Fremden stand sie plötzlich värf?FWer*iuhc1 H reichte ihm die Hand. Gemessen und ein wenig verlegen tat sie es, selber wie eine Fremde. „Deine Sachen stellst du am besten in die Stube“, sagte sie, „dort hast du noch S1 besseres Licht als in meiner Kammer und*' auch mehr Ruhe hast du dort.“ Sie sagte das rasch und mit halber Stimme. In dem allgemeinen Gerede hätte auch sonst kein Mensch auf diese ihre Ansprache geachtet, dem Peter aber war, als spüre er für all das unheimliche Glück erst jetzt den rechten Grund.

Auch die Woche über hörten die Besuche nicht auf, und die Bauern auf den Äckern zogen die Hüte, wenn Peter vorüberging, und redeten, wie gut sein Werk gelungen sei, und über die feine Predigt des Kuraten, die er wahrhaftig verdient habe. Denn bald wußten auch die in Kematen darum und in Ranggen und in Axams und Unterperfuß, und am Mittwoch kam ein Bauer aus Dries auf den Hof und brachte einen schönen Gruß von Vroni. Sie habe gehört, der Peter sei ein berühmter Uhrenmacher geworden, und die Standuhr in ihrer Stube mit Sonne, Mond und Sternen stünde noch immer still. Der Schwager aber kam mit zwei feinen Pferden angefahren und lud ein Fäßchen Rotwein ab. Für das ausgestandene und nunmehr überstandene Ungemach, sagte er. Er war sehr aufgeräumt. Jetzt sei die Zeit, den Erfolg zu nutzen und das reife Korn zu' schneiden, jetzt, wo der Name Anich in aller Munde sei und auch der hartnäckigste Schwätzer eines Besseren belehrt. Das Werk, das Licht allein genüge ja noch nicht, das müsse Peter doch endlich einsehn, rhan müsse es schon vor aller Welt auf den Scheffel stellen. Jetzt könne man nicht nur mit Sonnenuhren hausieren, auch die kleinen Ührchen, billig erzeugt, seien-leicht an den Mann zu bringen, auch Erdkugeln und Himmelskugeln nach Nürnberger Art, auch alle möglichen Instrumente. Er brachte aber nicht wie ehedem einen fertigen Plan mit, sondern redete eher wie einer, der eine gute Anregung weiß, selber aber kaum mehr mithelfen kann.

Das wichtigste aber sei, daß er nun dndlich mit dem Studium abschließe und sich auf das Praktische verlege. Ob so oder so, ob mit ihm als Mitgehilfen oder mit einem anderen. Eine bessere Gelegenheit finde sich leicht nicht mehr, und wer ein Meisterstück geliefert habe, sei nun einmal auch wirklich ein Meister.

Peter hörte ihn bis zum Ende an, dann stießen sie mit den Gläsern an. „Nur das mit dem Meisterstück stimmt nicht ganz“, sagte er nach einer Weile, „ich getrau mir schon noch etwas anderes zu, auch Dinge, die vor der Welt weniger wiegen, aber für mich selber um so schwerer. Für eine jSonrienuhr braucht, es nicht die sphärischen Dreiecke, aber für, den Himmel braucht es, sie, und die Sonne ist wohl das für uns wichtigste Gestirn, aber der Himmel ist sie noch lange nicht.“

„Und an die Leni denkst du nicht?“

„Ja, die Leni“, sagte Peter langsam, „ich häb sie nicht vergessen, und ihretwegen will ich diese Zeit auch nutzen.“

„Kann einer eben nicht alles tun“, sagte der Franz, „was er einmal in seinem Leberi nur gedacht hat. Ach Gott, wo war ich da schon? Zehn Häuser tat ich schon mein nennen, und auch bei den anderen Leuten wären die Bäum in den Himmel gewachsen. Der Peter macht da keine Ausnahme, und dein Professor wird mir recht geben, sobald du ihn einmal offenherzig befragst.“

„Am nächsten Freitag will ich mit Herrn von Weinhart reden“, sagte Peter.

„Ich habe mich bloß gewundert, daß du nicht schon eher so offen rhit mir gesprochen hast“, sagte der Professor, als Peter “seine Beichte geendet hatte. „Ich konnte dich doch nicht fragen oder auch nur ermuntern. Was schön wächst und gerade, das soll der Gärtner wachsen lassen. Er trifft es nicht besser als der Herrgott selbst. Auch hätte ich doch nie gewußt, was ich dir raten soll.“ Herr von Weinhart dachte lange nach. „Das heißt, vor einern Jahr hätte ich es wohl gewußt, noch eher vor zwei Jahren, als du zur8?vtrsi?rMnal bei mir warst. Drei sind es schon? Ich glaub, es war erst gestern gewesen. Ich red aber über jene alten Pläne lieber nicht.“ Er erhob sich jetzt und trat rasch ans Fenster. „Uns in der Stadt herunten erscheint das Hafelekar und jeder Zinken der Nördkette als ein rechter, ein letzter Gipfel, so wie die Steinmauer vor uns steht: Man könnte auf dem schmalen Grat reiten, denkt man, man müßte von ihm das ganze bayrische Land unter sich schauen. Die Jäger und Wilddieb aber'belehren uns, daß die Gipfel für uns unsichtbar weit dahinter in' einem ungeheuerlichen Gewirr von Tälern und Felsketten und Wänden liegen. Das freilich merkt man erst, wenn man oben steht, von herunten merkt das keiner. Und wenn ich aus dir einmal einen tüchtigen Feldmesser machen wollte, da hab ich mir eben den Peter nur von herunten, besehn. Heut war es schad um dich, wollt ich dich bloß in jene Zunft einspannen.“

„Dann ist alles gut“, sagt*. Peter rasch. : Der Professor wandte sich jäh um und kehrte an seinen Tisch zurück. „Nur wenn du mich jetzt befragst, wie der Gipfel heißt und welche Gestalt er hat, so kann ich dir darüber nur sagen; das weiß ich nicht. Ein Gelehrter muß auch das sagen können, so schwer es ihn auch ankommt. Bloß daß du die sphärische Trigonometrie nicht vergeblich studiert hast, das weiß ich. Auch sind wir beide uns über die Elemente deiner- Kurve einig. Leichte und mit dem Köpf- erreichbare Resultate schenkt jedoch bloß das Einmaleins, nicht die höhere Mathematik. Ich werde auch dein Licht nicht unter den Scheffel stellen, doch scheint mir,“ es braucht dazu einen, der so hoch ist, daß man es dann im ganzen Lande sieht und nicht bloß in Perfuß. Eine Sonnenuhr bringt jeder halbwegs geschickte Schullehrer zustande. Von dir erwart' ich schon ein anderes Meisterstück. Wie es aussehen wird, weiß ich sowenig als du. Doch muß es etwas sein, das nur der Peter Anih trifft, sonst keiner im Land, nicht einmal sein Lehrer.“ Der Professor trat jetzt an den mächtigen Schrank heran, der die Schätze des Armariums barg, und entnahm dem Büdierfach einen sehr umfänglichen, wenn auch, schmalen Folianten. Als er ihn auf den Tisch hinlegte, duftete es in der Stube nach frischem Leder. „Unser Himmelsatlas ist gestern eingetroffen“, sagte Herr von Weinhart, „das gibt ein paar festliche Stunden, wenn der Peter will.“

Der wischte sich mit der Hand rasch über cfie Augen. Die goldenen Buchstaben auf dem Leder verschwammen ihm allzu arg.

„Ach, wenn dein. Kurat meint, ich tat aus dir einen Gelehrten fabrizieren, dummerweise, meint er“, sagte der Pater heiter, „dann hätt ich doch mit dem Latein anheben müssen, und wir könnten jetzt miteinander Cicero lesen, aber von den Kegelschnitten und Polhöhen wüßten wir so wenig als euer Kurat. Doch vielleicht treiben wir das Lateinische hinterher, wer kann das wissen, und die Weisheit des Herrn Horaz kann dir, bald du alt genug bist, gewichtiger

scheinen denn alle Meßkunst. Dich aber soll das Latein in diesem Buch auch nicht irren. Hier steht es zu Recht, wenn ich auch in allen anderen gelehrten Büchern das Deutsche vorziehe. Der Himmel gehört allen Menschen und allen Völkern. Die Sterne sind ihr Gemeinsames.“ •

„Ja“, sagte Peter, „es ist auch gleich, ob einer in Innsbruck, in Wien oder in Oberperfuß sitzt, ob einer bei Tage seinen Türken baut oder über gelehrten Büchern sitzt. Bei Tag haben sie den gleichen Himmel über sich. Auch bei Nacht, aber da merken sie es nidit.“

„Die Menschen haben noch mehr Gleiches an sich und merken es nur nicht“, sagte der Pater lachend.

„Manchmal denk ich, es ist sehr dumm gedacht, ich weiß es: wenn einer auf die Welt kam, bei Tag, und es war immer nur Tag, jahrelang sah er nur die Sonne und die Wolken und das Tageslicht, so wie du sagst, daß sie oben und unten an den Polen den ganzen Sommer über keine Nacht haben, diese Leute täten bald glauben, es gab nichts anderes in der Welt als ihre Erde, und das •kleine Gestirn sei bloß dazu da, daß es leuchte. Nicht einmal zum Leuchten sei es da, denn sie kennen ja die große Finsternis nicht und meinen, das Licht gehöre zu ihrem Leben wie die Luft. Und eines Tages ginge dann die Sonne unter und sie erblickten dann die vielen tausend Sterne und Sternlein an der finsteren Himmelskugel. Ich denk, die Leute müßten närrisch werden vor Angst, etliche aber täten niederknien und die Pracht anbeten und ihre eigene Hoffart in die tiefsten Brunnen werfen.“

„Es braucht gar nicht deinen jahrelangen Tag“, sagte der Professor ernsthaft, „ehedem dachten die Menschen die Welt auch nicht anders, die alten Griechen noch und die Römer, die chaldäischen Sterndeuter und die ägyptischen Feldmesser, auch ein Pythagoras und ein Aristoteles glaubten, die Erde sei das größte Ding in der Welt und alles nur dazu da, daß es die Erde umkreise, und auch noch vor hundert Jahren konnten sich manche nicht entschließen, von diesem Glauben zu lassen, ja sie glaubten, es sei wider Gottes Alimacht und Weisheit, wenn sie anders dächten. Wir aber sehen die Welt kleiner werden und den Himmel unsäglich größer und Gott in diesem Himmel. Wir haben uns daran gewöhnt, daß unsere Augen leicht zu täuschen sind, weniger falsch berichten uns schon der Verstand, die Vernunft. Untäuschbar bleibt nur unser Herz.. Da gebe es viel darüber zu lesen und zu denken, lieber Peter. Die Schriften des Herrn Leibniz etwa, der noch keine vierzig Jahre tot ist.“

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