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Peter Anich, der STERNSUCHER

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38. Fortsetzung

„Dieser Mann rät uns“, fuhr der Professor fort, „die Erde zu denken und ein Staubkorn neben die Erde zu legen, kannst du das? Ein Staubkorn, wie es auf diesem Tische sich z;u Millionen umtreibt, neben die ganze gewaltige Erde? Ebenso winzig, nicht um ein Jota größer, vielleicht noch kleiner nimmt sich die Erde, unsere riesige bevölkerte Erde samt allen Gebirgen und Ozeanen im Welträume aus. Auch Herr Leibniz ist davor nicht zu Tode erschrocken, er hat sich hinter seine Hefte gesetzt und gerechnet und wieder gerechnet, und er war stolz und demütig, daß er auf dieser winzigen Erde leben durfte. Denn das männliche, das menschliche Herz ist heut wie je ein Mittelpunkt des Alls, und es ist glücklich zu preisen, wenn es dies Geheimnis erahnt. Wir aber, reden schon von den letzten Dingen, ehe wir das schöne Buch nur rechtschaffen aufgeschlagen haben.“

Das riesige Kupfer über die ganze Seite des mächtigen Bandes dünkte Peter fürs erste freilich herrlicher, als er selbst die himmlische Wissenschaft in Worte fassen konnte. Liebliche Putten zogen da einen Vorhang zurück, und dahinter sah man die Sonne von Sternen umkreist in einem verwirrenden und dabei doch wohlgeordneten Lichte, wie durch einen riesigen Kristall hindurch, der die Fülle des Himmels einfängt und dem Auge faßbar macht. Unter dieses Bild hatte der Stecher die vier gerühmten Astronomen gesetzt, ihre Bildnisse und ihre Leibsprüche, wie der Pater sagte. Zur Linken Ptolemäus und Kopernikus, zur Rediten Kepler und Tycho de Brahe, auch die Instrumente, mit denen sie den Sternhimmel angegangen waren, sah man in sauberen Konturen. Als Ergebnis und Krönung alles menschlichen Forschens aber stand zwischen den Gelehrten auf Erden und dem Gleichnisbilde auf der Himmelsbühne der Sternglobus, die Weltkugel des Alls, das Universum auf einen faßbaren runden Nenner gebracht, wie Herr von Weinhart sich ausdrückte, das klarste und dabei einfachste Abbild der himmlischen Wirklichkeit in die irdische Unendlichkeit der Kugel gebannt.

Auch als der Professor dann längst die folgenden ersten Seiten und Tafeln erläuterte, das Tabularium und die Ordnungstafeln der Sterne nach sechs Größen, die Planisphären und Hemisphären mit den dazugehörigen Kreisen und Punkten, die Tafeln der vor-nehmlichsten Planeten, ihre verschlungenen Wege im All, ihre bald irdischen, bald himmlischen Eigenschaften, die Flecken des Mars, die Ringe des Saturnius und seine Monde, die Jupiternebel und die lieblichen Phasen der Venus, dachte Peter noch immer nur an den Globus des Titelkupfers, und erst die nun schon größeren Globen auf den Tafeln, die da so ehrlich gebildet waren, daß man sie schier samt all ihren messingenen Ringen und Kreisen greifen mochte, ließen ihn wieder aufmerken. „Ach Gott“, sagte er kleinmütig, als der Pater nun auch diese Tafel genugsam erklärt hatte, „da steht ja schon alles, wie ich es mir ausgedacht hab. Viel mehr steht da, als ich selber jemals finden kann.“

Der Professor lachte: „Das war mir auch eän schlechter Atlas, wenn der Peter die ganze Astronomie seit Ptolemäus selber auf seinem Birnbaum hätt ausgedacht.“

Der Mond stand dann vor ihnen, samt all seinen Kratern und Bergschluchten und unergründlichen Tälern, ungeheuerlich an-zusehn, auf Nebenkärtdien aber alles, was man um den Mond zu wissen hatte, um die Theorie seines Aufbaues und seiner verschlungenen Bewegungen, um sein Ekliptik und um die Einteilung der uns zugekehrten Seite. Unsäglich bewunderungswürdiger war dennoch die nördliche Himmelskugel gebildet, kein Globus, der sich rund ansah, wie ein wirklicher, eine flache Scheibe, doch erfüllt mit unzähligen Sternen; erst wer näher hinsah und zu zählen anfing, kam vielleicht an hundert heran. Denn in Wahrheit waren auch nur die Sternbilder aufgemalt, so zart und beschwingt, als erblicke man sie durch einen leichten Nebel hindurch, wahrhaftig anders als im schönsten Brixnerischen Schreibkalender. Daneben aber standen über die ganze Seite von jedem der abgebildeten Sterne die Polhöhe und die Deklination verzeichnet. „Das muß ich mir abschreiben und abzeichnen!“ rief Peter, „das brauch ich für mich, alles, was ich brauche, steht da.“

„So schön trifft es der Peter nicht, wenn er auch bereits ein guter Zeichner sein muß“, sagte der Professor. „Doch wenn ich dir schon den ganzen Atlas nicht leihen kann, will ich dir irgendwo eine solche Karte verschaffen oder eine noch bessere“, und er überblätterte rasch die nächsten Tafeln bis zur fünfundzwanzigsten. Hier war bloß das Sternbild des Krebses und des Stiers abgebildet, aber mit einer solchen Fülle und Feinheit, daß Peter nach dem ersten Anschaun sich zurücklehnte und die Augen schloß und ganz still dasaß.

„Das habt ihr auch auf keiner von euren Himmelskugeln darauf“, sagte er endlich, „nicht einmal auf der letzten nürn-bergischen.“

„Eine solche Himmelskugel könnt man auch kaum zur Tür hereinbringen.“

„Dann müßt man ein eigenes Haus für sie erbaun.“

Der Professor lachte jetzt laut heraus. „Eine zuwidere Phantasie hat der Peter gerade nicht. In Magdeburg haben sie eine so riesige Kugel gebaut, konnten zehn Personen zu gleicher Zeit sich in ihr aufhalten und die Stern betrachten wie in der Wirklichkeit.“

Peter sprang vor Begeisterung auf: „Das mein ich ja. Wenn idi eine von unseren jetzigen Kugeln in der Hand hab, komm ich mir immer vor wie der liebe Gott, nidit wie ein Mensch, der das Universum doch niemals von außen sieht, sondern mitten drinnen lebt und hinaufblickt. Eine Erdkugel kann man so bilden, wir aber sdiauen auch den Himmel bloß als eine größere Erde an.“

„In diesem Fall kann man schon den lieben Gott spielen. Es ist doch praktischer, denk ich, als wenn man immer wieder in einen Globus kriechen müßte.“ Der Pater war in das Kabinett geeilt und kam mit dem nürnbergischen Globus zurück. Der sah freilich sehr erbärmlich aus neben der aufgeschlagenen Sternkarte. „Eines siehst du immerhin: Auch in Nürnberg haben sie keineswegs den allerbesten Globus gebaut. Vielleicht haben sie auch dort einen schöneren, aber sie geben ihn nicht her. Die verkäuflichen sind klein. Wer könnte einen großen auch bezahlen? Nicht einmal wir auf der hohen Schule haben das Geld dafür. Was gibt es nicht alles auf dem Himmel noch zu suchen und zu finden! Braudit der Peter keine Angst haben, daß er zu spät kommt.“

„Ich hab auch kein Angst“, sagte Peter, „ich weiß mir nicht recht, was mir bei Hedem unheimlich it.“

„Wem beim Betrachten dieser Sternkarten nicht unheimlich wird, der taugt auch nicht zum Astronomen, auch' nicht, wenn ein Birnbaum sein Observatorium ist. Aber jetzt laß uns essen gehn.“

„Hat es denn schon zwölfe geläutet?“

„Du hast es bloß überhört“, sagte der Pater.

Seit die Marie in Oberperfuß war, aß Peter im Kollegium zu Mittag. Er saß dann im Stübchen neben der Pforte, dort, wo er einst die ersten Aufgaben gerechnet hatte. Dort wartete er auch, bis Herr von Weinhart ihn wieder abholen kam.

„Warum willst du eigentlich kein Feldmesser werden?“ fragte der Pater, als sie an der Hofkirche vorbeieilten. „Ist doch ein schöner und dabei nützlicher Beruf und just für einen mathematischen Bauern wie geschaffen. Stell dir vor, da hast daheim in Oberperfuß oder in Kematen dann den Bauern ihre Felder zu vermessen.“

„Ach Gott“, sagte Peter, unsanft aus seiner Begeisterung gerissen, „in Oberperfuß braucht man doch keinen eigenen Feldmesser, wir haben ja keinen Nil bei uns, der uns die Felder jedes Jahr zuschüttet, so daß wir sie wieder neu ausstecken müssen. Ich hab daheim noch nie in meinem Leben einen Feldmesser gesehn.“

„Nein, so bös ist der Inn nicht“, sagte der Professor. „Du willst also nur nicht von daheim fort.“

„Wenn ich den Himmel studier, brauch ich auch nicht fort. Gar wenn du mir so einen Atlas kaufst. Ich bezahl ihn, was er auch kostet. Lieber eß ich ein Jahr lang nur Knödel.“

„Bescheiden ist der Peter grad nicht.“ Herr von Weinhart wartete jetzt, denn Peter hatte vor Schreck keinen Schritt weitergetan. „Wenn einer bloß immer an sich denkt, an seine eigene Glückseligkeit, kann man ihn doch nicht bescheiden heißen.“

Peter trabte wieder schweigend neben ihm einher. „Du vergißt, daß ich ein Bauer bin“, sagte er nach einiger Zeit, „immer wieder vergißt du das. Auch daß ich eine kranke Mutter daheim hab und eine liebe Schwester, die heiraten will, ein Recht darauf hat. Wohl ist die Marie daheim. Aber wer weiß, ob sie auch bei uns verbleibt. Und wenn sie sich eingewöhnt, eine Leni ersetzt die Marie nicht. Kein Mensch ersetzt mir die Leni. Aber ich denk nur an mich, wie du sagst.“

„Dann wirst du also niemals von daheim fortgehn, auch wenn die Kaiserin es dir anbefiehlt?“

Jetzt starrte ihn Peter völlig entgeistert an: „Was redest da, was soll die Kaiserin mir anbefehlen? Seit wann weiß denn die Kaiserin vor mir?“

„Oder der Gubernator im Namen der Kaiserin? Der kann doch einmal Wind bekommen, daß ich da einen Bauern schon jahrlang in allen Rechnungsarten und in der Feldmeßkunst traktier.“

„Dann sagst du ihm, ich bin ein Bauer, und der Anich-Peter bleibt ein Bauer.“

„Könntest doch den Sommer über wo im Freien arbeiten und im Winter wieder Bauer sein, daran hindert dich niemand. Ich bin ja froh, wenn du ein Bauer bleibst.“

Jetzt blitzte ihn Peter wahrlich an: „Das war noch schöner; im Winter, wo sie mich am wenigsten brauchen! Aber durchkommen will ich schon, ich kann mir einen Knecht und eine Dirn leisten, bald ich mit meinen kleinen Sonnenuhren mir das Geld verdien. Auch so kleine Erd- und Himmelskugeln kann ich machen und verkaufen, genau so gut wie die nürnbergischen. Wenn du mich daheim beläßt. Anders müßt ich alles bleiben lassen.“

„Davon redet doch kein Mensch“, sagte Herr von Weinhart. „Und jetzt denk wieder an den Atlas und laß dir das Essen schmecken.“

Nach dem Essen kehrten die beiden recht schweigsam in das Armarium zurück. Der Himmelsglobus stand noch unter den Papieren auf dem Schreibtisch. Der Pater nahm ihn auf und trat damit ans Fenster. „Er ist wirklich einfältig genug“, sagte er, „und grade gut, daß man die Studiosen in den ersten Semestern darauf die Sternbilder lehren kann. Es hätte wenig Sinn, wenn du daheim solche Kugel bauen willst, Peter.“

Der war hinzugetreten und strich über die glatte gelbliche Fläche. „Auch das gab für mich Arbeit genug. Müßt ja die Sternbilder stechen und zeichnen vorerst und die Stern auswählen und noch einmal bestimmen. Auf die Büdier ist ja auch nicht immer Verlaß. Und dann den Körper drechseln, so große Kugeln kann man nicht aus einem Stück drechseln. Und die Schrift. Hast du ein Büchel dafür?“

„Also du getraust dich nicht an einen Sternglobus heran? Er ist bei allem noch leichter als der irdische, auch wenn du nicht, als ein mißtrauischer Herr, vorher nach Afrika und zu den Indianern reisen willst.“

„Getraun tat ich mich schon. Wenn ich genug Zeit dafür hab.“

„Drei Jahre!“

Peter lachte laut auf. „In drei Jahren bau ich dir einen doppelt so großen mit allen Sternen darauf, die in dem Atlas verzeichnet sind, und die Planeten dazu samt ihren Bahnen.“

, (Fortsetzung folgt.)

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