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Peter Anich, der STERNSUCHER

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40. Fortsetzung

So rasch stürzte diese Predigt über den Peter, daß er kaum zum Denken kam, geschweige zu einem Wort der Entgegrfung, und als er sich endlich erfangen hatte, war der Kurat auch schon wieder fort. Der Hörtnagl wartete jetzt. „Es ist schon recht, daß der Kura| sich um dich so annimmt“, sagte der Schmied im Weitergehn, „wenigstens sehn die Leut, Was sie an dorn Anich haben. Anders täten sie's ja niemals glauben.“

„Ja“, sagte Peter, „alle nehmen sich jetzt um mich an, aber sie haben schon recht. Ich mach es ihnen nicht leicht. Ohne böse Absicht, mein ich, aber es ist so.“

Schweigend schritten sie dann die Völses-gasse hinauf.

Vor der riesigen Kugel schlug der Schmied dann die Hände zusammen. „Und das hast du ganz allein gedreht?“ rief er immer wieder aus, „auf dieser alten Drehbank und nur mit dem einen Zirkel, wie du sagst, und den Zirkel hast dir auch selber gemacht? Hab noch niemals einen so großen Zirkel gesehn.“

„Wenn ich dich so reden hör“, sagte Peter, „kann ich die anderen Leut schon wieder ehender ertragen.“

Das große Sternenbuch durfte der Hörtnagl dann sehn — er berührte es nicht mit seinen rußigen Schmiedhänden — die Zeichnungen, die Peter bereits angefertigt und berechnet hatte, und die vielen langen Tabellen der Polhöhen und Mittagszahlen. Aber immer wieder stand der Hörtnagl vor der riesigen Kugel, das sei ja selber schon ein kleinwinziger Mond, sagte er, so goldgelb leudite er, so blank und so fugenlos, ein himmlischer Ball, eine Kegelkugel für Riesenburschen, ein Kirchturmknauf, der glatt in die Vergolderwerkstatt gehöre. „Bei anderen hohlen Kugeln merkt man das gleich, auch wenn man nicht sagen kann weshalboAbar diese Kugel schaut nicht hohl aus und doch wieder so leichtgewichtig, daß man meint, sie könnt in: der Luft schweben, wenn, man sie aufwirft. Müßt freilich ein rechter Goliath sein.“

„Hundert Pfund hat sie sicher“, sagte Peter.

Er hieß aber die Leni Speck und Wein bringen, daß sie sich stärkten, eh sie an die Arbeit gingen. Sie brachten dann auch die Eisenstange leicht durch die beiden Löcher an den Polen, aber so richtig gelang ihnen das Ganze erst, als auch, von Leni gerufen, der Ehrhardt herüberkam und mit Hand anlegte. Aus Holztrümmern und Böcken bauten sie zwei Widerlager auf, darauf legten sie die Stange, so daß die Kugel frei zu schweben schien. Nun war sie wahrhaftig wie der volle Mond anzusehn, gar im Lichte der sinkenden Sonne, die von den Scheiben blinkte und gleißte. Die Kugel war, wie sie da hing, kaum zu bewegen. Das hieß nichts anderes, als daß die eine Kugelhälfte schwerer wog als die andere, und das war Grund genug, daß man schwieg und seinen Schrecken verbarg, daß einem das Blut zu Kopf stieg, daß einem der Schweiß auf die Stirne trat.

Er hielt die beiden auch weiter nicht, und als sie draußen waren, verriegelte er die Tür und holte die große Hacke aus der Ecke. Der erste Hieb saß genau in der Fuge, die beiden Hälften lagen wieder häßlich anzusehn, in ihrer inneren Unvollkommenheit vor ihm.

Drei Tage schabte und stemmte Peter dann hinter verschlossener Tür. Nur zum Essen verließ er die Stube. Hinein durfte nicht einmal die Leni. Wenn sie ihn fragten, ob er am Ende schon die Sterne aufmale, machte er ein geheimnisvolles Gesicht.

Aus Pfosten und Balken und Latten hatte er sich bald eine riesige Waage zurechtgezimmert. Auf ihr lagen nun die beiden Kugelhälften. Am dritten Abend hielten sie endlich einander das Gleichgewicht. Sobald er seinen Hut auf die eine Hohlschale legte, sank sie merklich, selbst auf das schmächtige Büchlein der Trutznachtigall sprachen die Hälften noch an. Peter tat einen Luftsprung.

Als er sich umwandte, sah er den Blasius durch das Fenster grinsen. Über und über rot wie ein Mädchen stand der Bauer jetzt da. Dann ließ er ihn ein. Der Blasius war beim Hörtnagl gewesen, und der hatte ihm von der wunderbaren Kugel erzählt. Jetzt starrte er die beiden Hälften an. „Tust sie leicht abwägen“, fragte er, „die Trümmer? Das ist nicht leicht, daß sie ganz gleich-gewichtig sind.“ Peter erklärte ihm sein Mißgeschick und wie er es nun wiederum behoben hatte. Doch der Bursch befühlte die beiden Kugelschalen, hob sie auch einzeln auf, er war ein starker Kerl, und legte sie dann auf dem Boden schön übereinander.

„Ich tat sie auch nicht mehr zusammenleimen, dann brauchst sie nicht erst auseinanderreißen, wenn auf der 'einen Hälfte zu viel Papier darauf kommt oder zuviel Stern.“ Er lachte spitzbübisch. „Ich tat sie mit eisernen Plätterin versehn und dann mit starken Schrauben zusammenfügen, so kannst sie jederzeit auseinandernehmen und tarieren.“

Davon wollte Peter freilich nichts wissen. Die Kugel sollte nur ganz gleichmäßig sein ohne Fuge und ohne Schrauben. „Auch auf der richtigen Himmelskugel hat noch kein Mensch einen Schrauben gesehn.“

„Als ob das eine ganz richtige Himmelskugel war.“ Blasius kratzte sich hinterm Ohr.

„Du hast für solche Himmelskugeln nichts übrig“, sagte Peter.

„Ich denk nur nach, ob du jetzt schon eine völlig ausgewogene Kugel hast, eine

Kugel mein ich, auf die sich keine Fliege setzen darf, ohne daß sie sich schon dreht, vorausgesetzt, daß die Achse richtig geschmiert ist. Wenn die rechte und die linke Hälfte gleich schwer wiegen, so können dodi immer noch die vordere und die hintere Hälfte ungleich schwer sein. Meinst du nicht auch? Dann können alle Fliegen von Oberperfuß darauf ihren Kirtag halten, und die Kugel bewegt sich nicht, und wenn der Herr Professor sich den Löwen anschaun will, husch, rutscht ihm die Kugel vor der Nase ab, und er hat wieder den Skorpionen da, oder wie das scheußliche Viehzeug sich nennt. Komm, ich helf dir jede Hälfte noch einmal genau auseinanderhaun.“

„Du denkst das alles viel leichter und richtiger als ich“, sagte Peter, „ich bin schon ganz dumm vor lauter Logarithmen.“

Der Blasius aber kam nun wieder jeden Nachmittag, und sie werkten dann hinter verschlossenen Türen, und nach weiteren vier Tagen hatten sie die vier Kugelteile so schön zureditgeschnitzt und ausgestemmt, daß sie sich untereinander bis auf die Unze an Gewicht glichen. Dann leimten sie die beiden Hälften wieder zusammen. Blasius brachte auch die beiden Schrauben und Eisenplättchen und als die Kugel dann fertig verschraubt und wieder blank geputzt war, lag sie so gleichgewichtig auf dem Boden, daß man sie mit dem kleinen Finger bewegen konnte.

Indessen hatte die Marie das Haus verlassen. An einem Samstag, während Peter in Innsbruck war und die Leni um Futter auf den Rangger-Köpfel-Wiesen, war es geschehn. Der Mutter war bloß aufgefallen, daß sie in ihrem besten Kleid zu ihr kam. Sie gehe nach Zirl zur Kathi, hatte sie gesagt, und komme rechtzeitig vor dem Mittagessen zurück. Wenn sie aber nicht da sei, sollten sie sich auch kein graues Haar wachsen lassen. Dann hatte sie der Bäuerin noch die Hand gedrüdet und gesagt, sie, die Mutter, habe sie noch immer am besten unter allen Anich-leuten verstanden. Dann war sie fortgegangen. Am Nachmittag war dann der Leni zulieb der Erhardt nach Zirl gelaufen. Gegen den Willen der Mutter. Wenn sie noch nicht zurück sei, dann sei sie auch niemals nach Zirl zur Kathi, hatte die alte Frau gesagt, sondern anderswohin, in die Stadt vielleicht oder in eine andere Gegend. Umsonst habe sie nicht das schönste Kleid angelegt. Und sie, die Mutter, habe doch längst auf diesen Fortgang gewartet. Peter hatte damals lang mit Leni gesprochen, und sie waren übereingekommen, daß sich an ihren Plänen doch nichts geändert habe, schon deshalb nidit, weil die Kugel ja nun bald fertig sei. Dann könne er wieder mehr und leichter mithelfen. „Ja, bis die Kugel fertig ist, bleib ich sdion bei dir“, hatte Leni gesagt, „das sieht auch der Franz ein, und war bös, wenn ich anderes denken tat.“

Er hatte nämlich einen schmalen Sektor der Kugel mit einem starken Papier über-k'ebt und darauf, nachdem es schon getrocknet war, die ersten Sterne gerissen. Den Polstern, den kleinen Bären, den großen Bären, die Jagdhunde. Bis dahin ging es an. Der Löwe indes fiel abscheulich aus. Er war nicht schlimm gezeichnet, ja die Leni schlug, als sie ihn erblickte, vor Begeisterung die Hände zusammen, er hatte Schwanz und Mähne und vier regelrechte Beine, war nicht zu fett geraten und nicht zu mager. Doch als Peter dann das Ohr verbessern wollte, riß das Papier und die Sterne hatten bald sehr wenig Himmlisches an sich. Er wählte ein anderes, stärkeres Papier und einen noch feiner angeriebenen Leim, aber diesmal kamen Falten und Büge auf, und er riß das Ganze ab, ehe es noch getrocknet war. Der Blasius kam nicht mehr und der Blasius hätte wohl auch als ein sehr schlechter Schreiber diesmal keinen Rat gewußt.

In jenen Tagen, eine Woche vor Weihnacht, hieß es, ein Feldmesser aus Innsbruck sei angekommen. Die Zeit sei wohl nicht für solche Arbeiten geeignet, doch liege in, diesem absonderlichen Jahre noch kein Schnee, und der Nebel hindere die Arbeit im Freien nicht, es sei denn, daß einem der halbe Acker an den Schuhen bliebe. Immerhin war der Feldmesser wahrhaftig da, und es hieß, die Spiegl und die Ranalter hätten einen Grundtausch abzumachen und .würden sich nicht einig. Auch habe der Kurat, da ja der Tausch auch die der Kuratie zinshaften Starkengründe betraf, auf einem Feldmesser bestanden und auch darauf, daß dieser noch vor der Anbauzeit im Frühjahr das Geschäft durchführe. Peter merkte sogleich, weshalb der Kurat so sehr darauf bestanden hatte.

So war denn der Landmesser angerückt, selber ein stattlicher Herr mit einer mächtigen Perücke und Brillen, und ein Esel und zwei Gehilfen mit ihm. Blasius brachte die Nachricht ins Anichhaus. Er dampfte vor Begeisterung, als er den Mann und die Gehilfen und den Esel samt den aufgepackten Instrumenten beschrieb. Jetzt säßen sie alle im Starkenhof beisammen und schmausten und tränken tüchtig und verhandelten mit den Besitzern und deren Anrainern, und es sei ein Wirbel im Wirtshaus wie bei einer großen Hochzeit.

„Schön“, sagte Peter, „und was meint der Blasius, wie man jetzt am besten die Sterne und die Sternbilder auf die Kugel bringt, daß sie sauber hersehn, daß sich der Grund nicht wirft und abblättert, auch wenn das Ding einmal neben einen Ofen zu stehen kommt oder feucht wird?“

Der starrte ihn an. Diese Frage, jetzt, wo der Feldmesser im Dorf sei, ein richtiger Feldmesser, kein bloßes Büchel, kein theoretischer Professor, ein Mann, der schon hundert und aber hundert Felder vermessen habe und noch vermessen werde! Peter höre wohl schlecht, die Leute redeten längst, daß er schlecht höre,

„Das kommt von der feuchten- Stube“, sagte Peter, „doch was du gesagt hast, habe ich wohl gehört. Ich weiß nur nicht, was mich der Feldmesser bekümmert, außer daß ich ihm bei diesem Wetter eine gute Verrichtung wünsche.“

Die Leni hatte aber alles in die Küche hinüber gehört und kam jetzt herbei. Und als Blasius längst wieder aus dem Haus war, denn er wollte den Feldmesser keinen Augenblick lang versäumen, redete auch sie auf den Bruder ein. Sie täte sich einen solchen Herrn doch nicht entgehen lassen, auch wenn er selbst von der Feldmesserei nichts wissen wolle. Immerhin sei er doch von der Zunft, könnte man bei ihm lernen, visieren und zeichnen und die Instrumente besehn. Schon der Mutter zu Gefallen müsse er ihn aufsuchen. Audi der Franz kam dazu, und die Brautleute waren einer Meinung.

Beim Abendessen redete dann die Mutter. Sie war eigens aufgeblieben, obgleich ihr rechtes Bein wieder offen war und sie sich im ganzen sehr elend fühlte, seit die Marie aus dem Haus war. Zum erstenmal seit langer Zeit redete sie wieder von seinen Arbeiten. Ihr seliger Mann, der Anichbaucr, hätte sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen, wahrhaftig nicht, auch wenn der Peter jetzt ungehalten sei, daß man nicht ihn, daß man einen fremden Feldmesser ins Dorf gerufen habe. Doch er selber habe sich ja dem Kuraten verweigert.

Peter sagte nicht ja und nicht nein. Er ging diesmal nur früh zu Bett. Er hätte auch diese Wirrnis leichter getragen, hätte er bloß gewußt, wie nun die Sterne auf den Globus kamen, daß sie schön anzusehen waren und fest darauf blieben an die hundert und aber hundert Jahre. Doch sosehr er jede kleinste, auch die umständlichste Möglichkeit bedachte und den ganzen nächsten Tag über auch probierte, der Löwe wurde nicht besser und , die Sterne gefielen ihm nicht, obgleidi er sie jetzt mit Schwung hinzeichnen konnte, das gelbe Scheibchen in der Mitte und die Zacken rundum so gleichmäßig und edel, daß sie sich neben ihren himmlischen Ebenbildern sehen lassen konnten.

Mit der Dämmerung kam der Blasius wieder ins Haus. Diesmal im Auftrage des Kuraten. Der erste Gehilfe des Feldmessers, ein älterer Mann, liege mit einem hitzigen Fieber darnieder. Der Meister sei nun ver zweifelt und wolle nach Innsbruck zurück Da sei im Wirtshaus die Sprache darauf gekommen, daß sie doch einen Feldmesser in Perfuß hätten, wenn schon keinen ganzen, einen halben gewiß, einen Gehilfen. Der Feldmesser habe sich, dann erkundigt, ob sich unter den Bauern vielleicht ein verkraditer Student umtreibe oder ein Pfuscher, aber der Kurat habe ihm dann die Meinung der Ortsleute bestätigt und sich verpflichtet, daß er ihm diesen Gehilfen verschaffe. Deshalb lasse er den Peter nun bitten, am nächsten Morgen um acht Uhr früh beim Starkenhof sich dem Meister vorzustellen und mit einem tüchtigen Schuhwerk versehen den Gehilfendienst zu übernehmen. Natürlich gegen den üblichen Lohn.

„Dem Herrn Kuraten tu ich schon den Willen“, sagte Peter, „und nicht wegen der Löhnung.“

Im Anichhaus aber saßen sie an jenem Abend lange beisammen und beredeten den großen, den kommenden Tag. Indes am Morgen hatte sich wohl der taglange Nebel ins Inntal verzogen, aber die Berge rundum staken noch in schweren dunklen Wolken. Der Wind vom Wetterstein her blies eisig, aber weit und breit fiel keine Schneeflocke. Mit dem Glockenschlag um acht stand Peter vor dem Starkenhof. Der Feldmesser war gut zwei Köpfe größer gewachsen und begrüßte den neuen Gehilfen mit Herablassung. Wahrhaftig, in Peter schrumpfte auch das letzte .Restchen Selbstbewußtsein vor diesem sicheren und in seiner Art wuchtigen Menschen.

„Er ist in Innsbruck in der Lehre, hör ich“, sagte der Fremde, während er das Verstauen der Instrumente überwachte und die Straßenbuben, sofern sie sich dem Esel nähern wollten, durch ein Augenrollen verscheuchte.

(Fortsetzung folgt.)

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