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Peter Anich, der STERNSUCHER

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44. Fortsetzung

Er habe diesen Mangel schon in aller Frühe bemerkt, sagte er, und da er kein Freund der üblichen großen Sprüche sei, einen knappen lateinischen Spruch ausgedacht, der mit seinen vier Worten knapp und vielsagend und wohl auch eindeutig sei. Selbstverständlich müsse man diesen Spruch in eine kleine Messingtafel graben, einige Sternlein dazu und die beiden bäuerlichen Vertreter unter den Sternbildern des Tierkreises, den Stier und den Widder. Hernach auch die Jahrzahl und den Namenszug des Künstlers. Als Spruch aber schlage er vor: „Accessit Stellis Or-natum Agrestis.“

Nur der von Kastellreuth bieb inmitten der allgemeinen und lebhaften Zustimmung schweigsam. Ler Spruch erscheine ihm trotz seiner Knappheit doch allzu gewichtig, sagte er dann. Man brauche bloß die vier Worte ins Deutsche übertragen: „Z u m Kosmos der Sterne tritt nun jener des Landmanne s.“ Das sei sehr schön gesagt, aber man braudie auch vor einem so künstlichen Werk doch nicht sogleich von einem Kosmos reden und so dem Verfertiger ein allzuhoch gestecktes Ziel unterschieben.

„Ein Ziel steck ich dem Peter schon lange nicht mehr“, sagte Herr von Weinhart darauf und nickte seinem Schützling lebhaft zu, sooft ich ihm eins aufgerichtet habe, war er mit dem nächsten Schritt bereits drei Meilen darüber hinaus. Er ist in diesem Belang mein undankbarster Schüler, er läßt mir nicht einmal die kleine Freude, daß er alles, was er leistet, seinem Lehrer verdankt.“

Es käme doch bei all diesen Sprüchen nicht auf eine wörtliche, sondern auf die sinngemäße Verdeutschung an, sagte der Rektor jetzt. „Ein Bauer wagt sich an die Sterne“, das klinge schon weniger umständlich und entspreche gewiß auch der Absicht des bäuerlichen Meisters, der ja keineswegs wie ein anmaßender Tausendkünstler unter ihnen stehe, sondern als das Urbild aller Bescheidenheit. Auch er nickte Peter freundlich zu.

„Ein Bauer greift an die Sterne!“ der von Sperges hatte es gerufen, und der junge Freiherr, dem man schließlich als dem besten Kartenzeichner des Landes ein gewichtiges Wort zumuten durfte, erfreute sich auch allgemeiner Zustimmung. Der Spruch sei wohlgelungen, treffend und poetisch zugleich, und eine bessere Ausdeutschung sei undenkbar. Bloß der Kammerrat fand auch diese allzu stark. Von einem Wagen, einem wahren Wagemut könnte man wohl sprechen, auch von einem waghakigen Beginnen, sobald man den niedrigen Stand und die mangelhafte Bildung des Künstlers bedenke, das Wörtchen „Greifen“ hingegen hebe die Gestalt des Bauern ins Übermenschliche. Man brauche sidi bloß den dazugehörigen Kupferstich vorstellen: eine riesige über die Erde hinausragende, nach den Gestirnen greifende Gestalt.

„Man muß das doch auch dem Meister überlassen“, sagte Herr von Weinhart, „wie er selber den Spruch auslegt, ob er nur wagen oder auch greifen will.“

Aber Peter nickte bloß, und diesmal brachte er in seiner freudigen Verwirrung kein Wort über die Lippen.

Indes geschah etwas, das ihn noch fröhlicher stimmte, wie es auch die Herren plötzlich sehr lebhaft werden ließ, so, als fänden sie sich erst jetzt mit der immerhin ein wenig unheimlichen Himmelskugel völlig zurecht. Herr von Guggenheim, der zweite Kammerrat, hatte nämlich schon die ganze Zeit her auf einen bestimmten Fleck der Kugel gestarrt, so sehr, daß Peter sich bereits darüber ärgerte. Jetzt stieß sein schlanker Zeigefinger darauf: „Dieser Krebs!“ rief er au:., „hat einer von den Herren schon einen solchen Krebsen gesehn? Einen Krebsen mit auswärts gebogenem Schweif?!“

Weder Herr von Weinhart noch der Professor der Tierkunde, kein Mensch hatte dieses Monstrum von einem Krebsen bemerkt.

Pater Ignaz führte jetzt Peter an die Kugel heran. „Hast du schon einmal einen

Krebsen gesehn, der auswärts hohl ist, oder haben die Oberperfußer Krebsen solche Skorpionengestalt?“

„Ich habe überhaupt noch keinen Krebsen gesehn“, sagte Peter. Er wußte sich nicht zu deuten, daß die Herren nun plötzlich überaus lebhaft und liebenswürdig wurden, so als sei mit der Entdeckung dieses einen Fehlers ihre volle Selbstsicherheit wiederhergestellt. Er begriff diesen Wandel nicht, aber ihm ward dabei, obgleidi er sich über das mangelhafte Sternbild ärgerte, doch sehr viel leichter ums Herz.

„Dann werde ich sorgen, daß du auch einmal einen Krebsen zu sehen bekommst“, sagte Herr von Weinhart. Aber als der von Guggenheim dann meinte, diese Unwissenheit in den einfältigsten Dingen bezeuge eben das Werk eines Dilettanten, wandte er dem Kritiker den Rücken und hieß den Obermoser nunmehr in das Kolleg eilen und den Imbiß vorbereiten, aber auch dafür sorgen, daß eine Schüssel mit Krebsen auf den Tisch komme.

„Ist nur ein Glück, daß der Anich nidit den Löwen verzeichnet hat“, sagte der von Sperges.

Sie redeten untereinander aber jetzt noch lebhafter über das künstliche Werk und lobten den Künstler und kamen mit Vorschlägen und Plänen. Man möge den kunstfertigen Bauern doch mehr solche Wunderwerke verfertigen lassen, gleich große und gleich schöne, eines für den Präsidenten, den Grafen von Enzenberg, eines für die Kaiserin selbst und ihr physikalisches Kabinett, gar ein Exemplar für Nürnberg, daß den Herren in der Hommannischen Offizin die Augen übergingen. Das sei doch keine Hexerei, wo der Meister an der einen Kugel' alle Erfahrungen gesammelt, alle Methoden erprobt habe. Andere wieder fanden, von einem Künstler drei oder gar vier gleiche Stücke zu fordern, sei eine rechte Barbarei. Alles Sdiöne und Beste sei einmalig in der Welt, und es falle auch keinem Menschen ein, von einem Baumeister ein Dutzend gleiche Kirchen oder Paläste zu fordern, hingegen bedürfe die Himmelskugel eines gleich fein und künstlich gearbeiteten Gegenstückes. Beide zusammen aber, der Himmelsglobus und die Erdkugel, seien dann als Unica neben der neuen Luftpumpe die Zierden des Innsbrucker Armariums. Die Erdkugel bedürfe auch nicht der subtilen Mechanik, dafür seien freilidi die einzelnen Kontinente und Länder heikler zu entwerfen, da bei aller Fülle des Dargebotenen die nötige Übersichtlidikeit gewahrt bleiben müsse. Dafür besitze man bereits vorzüglidie Unterlagen. Karten der einzelnen Länder, herrliche Atlanten. Peter braudie da nicht erst nach Afrika oder nach Neuengland reisen, oder erst irgendwelche zeitraubende Observationen anstellen. ,

„Wenn die andern Hommannisdien Karten so genau sind wie seine Tiroler Karte, war es sdion nötig“, sagte Herr von Weinhart, „der Peter tat uns auch noch Neuholland fertig entdecken.“ Überdies könne ja für Tirol die neue Landaufnahme des Freiherrn von Sperges und dessen Erfahrung herangezogen werden, wenn auch auf einer gleich großen Kugel das schöne Land sicher nicht umfänglicher aufscheine als ein Kreuzerstück.

Als Herr von Weinhart aber nun dem Peter zulachen wollte, stockte er, so tief erschrocken, so bis ins Herz hinein verzagt stand jener vor ihm. Jetzt wandte sich Peter auch wie hilfeheischend nach den beiden Bauern um, die noch immer mit dem alten Obermoser im Fenster standen. „Getraust du dich nicht über die Erde?“ fragte der Professor und zog Peter zu sich heran. „Freilidi gibt es unter allen Himmelskörpern keinen sdiwierigeren, das weiß auch der liebe Gott.“

„Lieber tat ich freilich eine neue Himmelskugel verfertigen“, sagte Peter darauf, und er redete sich sichtlich mühsam, „eine, die so groß ist, daß zehn Leut in ihr Platz finden, mit silbernen Sternen eine, und einem goldenen Mond, mit einer Sonne, die in den Tierkreisbildern umherwandert. Aber ich muß auch das bleiben lassen.“ Er wußte selber nicht, wie er das alles herausbrachte und warum ihm diese Erdkugel als eine ungeheuerliche Drohung erschien. Nein, ganz gewiß war er des Grundes nicht. Nur daß der Professor ihn jetzt so wenig begriff, ärgerte ihn.

„Ein seltsamer Dilettant“, sagte von Wein-hart gegen den Guggenheimer hin, „der nach einer solchen Leistung noch so voll Verzagtheit ist“, und wieder zu Peter, wobei er ihm die Rechte auf die Schulter legte: „In drei Jahren kannst du doch eine Erdkugel fabrizieren, wo die Sorge um das Holz und alle Drechselarbeit fortfällt und eine hugenische Uhr allein für den Antrieb genügt. Ein ganzes Kabinett voll mit allen Globen machst du mir in drei Jahren.“

„Quos coluit dimensis agros“, fiel die mächtige Stimme des Medikus darein, und sie erklang schier feierlidi, ohne den bei ihm gefürchteten, stets ein wenig boshaften Unterton. „Ich hab mir schon einen so schönen Spruch für die Erdkugel ausgedacht. Und sogleich auch einen deutschen Alexandriner dazu: ,Er mißt nunmehr das Feld, das er gebauet hat.' Ich muß schon sagen, daß dieser Spruch dem anderen an Knappheit und Treffsidierheit und Beziehung nichts nachgibt, wenn es schon niemand anderes sagt.“

Herr von Weinhart hatte indes den Spruch auf einen Zettel gesdirieben und reichte ihn Peter: „Du kannst diesmal auch mit der Tafel anfangen“, sagte er lachend, „vielleicht macht sidi dann auch die Kugel leichter. Ein rechter Titel ist oft wichtiger als das ganze Werk, soviel solltest du von der Gelehrsamkeit bereits wissen.“

„Unser Muster an Bescheidenheit läßt sich lange bitten“, sagte der von Kastellreuth und blickte nach der hugenischen Uhr. Das klang sicherlich häßlicher, als es gemeint war. Aber Peter blickte jetzt den Kammerrat an, dann die übrigen Herren und schließlich Herrn von Weinhart: „Ich kann nicht, ich hab es versprochen“, sagte er endlich.

Audi die anderen Herren merkten nun, daß sidi hier etwas Sonderbares begab. Sie schwiegen. Der Medikus aber trat knapp an den Bauern heran und blickte ihm in die Augen. „Er hat einen ernsthaften Grund“, sagte er dann befriedigt. „Ich hoffe, daß es nicht unsertwegen ist. Einen Scherz versteht Er doch hoffentlidi nodi.“

Peter ward nun über und über rot. Er blickte seinen Professor an. „Du weißt doch, daß ich ein Bauer bin und eine Sdiwester hab“, sagte er.

„Das ist doch wohl auch bei der Himmelskugel der Fall gewesen.“ Herr von Weinhart schob jedoch den Arzt zur Seite. „Es war, soviel idi weiß, ausgemacht, daß die Schwester nunmehr heiraten soll, so ist es doch, Peter? Dann stehst du mit der Mutter allein, sofern ihr keinen Dienstboten findet.“

„Auch die anderen Dienstleute sind wegen der Sternkugel davongerannt.“

Das verwunderte die Herren nun freilich sehr. Ob Knecht und Magd denn eine Angst gehabt hätten oder irgendwelche abergläubische Furcht? Ob die gar an Hexerei glaubten? In langen Betrachtungen über die Rückständigkeit der Bauern ergingen sie sich, wozu freilich Herr von Sperges etliche Erlebnisse beisteuern konnte. Im konkreten Fall gehe es darum, den Anichbauern aus seiner dumpfen abergläubischen Umgebung zu heben und ihn auf einen Platz zu stellen, wo er seine verwunderliche Begabung zu Nutz und Frommen des ganzen Landes pflegen und nutzen könne.

„Ach Gott“, sagte Peter, „darum geht es mir wirklich nicht.“

Der Erhardtbauer aber trat jetzt mit festem Soldatenschritt auf die Herren zu. „Mit Verlaub“, sagte er, „ich bin der Nachbar und künftige Schwager, und ich will dazu sagen, daß es wohl audi in unserem Dorf welche gibt, die aus purer Dummheit, noch mehr aus Neid und Bosheit dem Peter, meinem Nachbarn, mißgünstig sind. Das gibt es aber auch in anderen Gegenden und in anderen Ständen, ich weiß das von meiner Dienstzeit bei den Kaiserlichen. Wer aus dem Gewöhnlichen heraustritt, bekommt diesen Widerstand zu spüren. Doch daran, das weiß ich als sein Nachbar und künftiger Schwager, leidet der Peter nicht. Er ist Bauer und vor allen anderen Dingen Bauer. Nun hä|te ich seine Schwester schon zum letzten Fasching heimführen sollen. Ich hab es nicht getan, gegen seinen Willtfn habe ich verzichtet, audi auf den Wunsdi der Leni.

Er hätte doch die Himmelskugel nicht fertigen können. So haben wir die Hochzeit auf nachher verschoben. Er fürchtet mm ...“

„Wir sind keine Unmenschen“, unterbrach jetzt der Medikus die wohlgesetzte Rede des Erhardtbauern, „aber Er selbst ist weit in der Welt herumgekommen und nach allem ein vernünftiger Kerl. Er hat deshalb sicherlich auch bedacht, welche Verantwortung Er auf sich nimmt, wenn Er um einer Heirat willen den Anichbauern, seinen Schwager, den Er doch nach allem achtet und liebt, verkümmern lassen will und so auch das Land Tirol um Werke bringt, die eben nur dieser Bauer aus Oberperfuß leisten kann und leisten wird.“

Peter wischte sich den Sdiweiß aus der Stirn. Seine hilfeheischenden Augen erreichten jedoch nicht einmal den Professor. Alle blickten jetzt nur auf den Erhardt. Der straffte sich, als stünde er vor seinem Hauptmann. „Ich kenne meine Verantwortung“, sagte er mit fester Stimme, „und ich weiß, daß die Erdkugel nicht scheitern darf, weil ich die Leni gern hab, aber der Peter sie bei seiner Arbeit braudit.“

„Nicht bloß die Erdkugel“, sagte Herr von Sperges dazwischen.

„Es hätte nicht erst des heutigen Tages bedurft“, setzte der Erhardt hinzu, „ich hab die Himmelskugel werden gesehn und auch ein wenig dazugehören, sehr wenig. Und wenn mir der Peter als Sdiwager hochwillkommen tyär, als Landvermesser und Astronom ist er mir noch lieber. Das ist meine Meinung. Sie sdiließt nidit aus, daß beides zusammentreffen kann, die Hochzeit und die Erdkugel oder ein anderes noch künstlerischeres Werk. An mir aber darf seine Arbeit nicht scheitern.“

Der Erhardtbauer verneigte sich vor den Herren und trat rasch wieder in das Fenster zurück. Doch auch wenn er geblieben Wäre, hätte ihm Peter nicht all das erwidern können, was ihn jetzt stürmisch und schmerzlich bewegte. Denn die Herren fanden, der junge Bauer habe nicht nur gut, sondern hervorragend vernünftig gesprochen, ja für einen Bräutigam in einer so schwierigen Lage geradezu vorbildlich, und alle möglichen Bedenken seien nun zerstreut, alle Widerstände überwunden. Die beiden Kammerräte blickten dabei immer wieder nach der Uhr, und Herr von Weinhart führte seine Gäste, schon aus Angst, daß die so schön geklärte Lage sich leicht durch die Hartnäckigkeit seines Schützlings wiederum verschlimmern könnte, rasch aus dem Kabinett und in das Kollegium hinüber. Dort fanden sie schon Wein und kalten Braten . und bald auch die Schüssel mit den rotgesottenen Krebstieren auf den Tisch. Und wenn dies auch ein Anlaß war, daß sie wiederum der Himmelskugel gedachten und deren Erzeuger leben ließen, bald kreiste das allgemeine Gespräch doch nur mehr um den jungen Freiherrn von Sperges und seine neue Landaufnahme. Ja, die Landaufnahme sei nun so weit, daß man die Grenzen zwischen der Republik Venedig und dem kaiserlichen Tirol endlich auf dem Papier habe. Nur die Gegend zwischen Etsdi, Eisack und dem Talfertal fehle noch, Bozen, Meran, Klausen und das Sarntal, eine Gegend, die frelich in ihrer Fruchtbarkeit und mit ihren breiten Tälern und Kesseln gegenüber den ungeheuren Gebirgen eine vergnügliche Arbeit verspredie.

(Fortsetzung folgt)

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