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Peter Anich, der STERNSUCHER

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46. Fortsetzung

Daheim merkten sie dann kaum einen Schein des ernsthaften Gespräches, so fröhlich gab sich Peter, und so froh waren sie alle drei, daß sie nicht erst weit und lang berichten brauchten. Nur die Geschichte mit dem auswärtsgebogenen Krebsen gab der Blasius zum besten und wie nett und freundlich und rührend in ihrer Art die Herren gewesen seien, just so, als seien sie alle zum Empfang eines Grafen angerückt oder mindestens eines Hofrates, und wie der Peter unter den hohen Herren sich betragen und mehr geschwitzt habe als alle andern miteinander. Ja, es zeigte sich, daß dem Blasius mit seinen scharfen Augen kein Tüpfelchen der ganzen Szene entgangen war. Die Frauen lachten denn auch, daß ihnen die Tränen über die Wangen liefen, und sie liefen leicht an jenem Abend. Die Männer aber fielen über den Hdinen her und die Krapfen, und wer den Peter schmausen und lachen gesehen hätte, hätte ihn leicht für den glücklichsten Menschen von der Welt gehalten. Er war es wohl auch.

17. Kapitel

Am nächsten Tag kam der Jennewein-maurer mit einem Gesellen. Sie brachten das nötige Werkzeug mit und schafften während des Tages Stein und Ziegel herbei. Hastig taten sie das und ohne viel Reden. Aber als Peter dann die Fenster hinzeichnete, wie er sie haben wollte, anderthalb Ellen breit und anderthalb Ellen hoch, da schüttelte der Jennewein mächtig den Kopf und meinte, einen Zimmerer oder Tischler, der so verrückte Fenster machen wollte, den fände er in der ganzen Gegend nicht, nicht einmal in Zirl drüben, und die Zirler hätten leicht ihre Extravaganzen. Dann pfiff er seinem Gesellen und ging mit ihm die Völsesgasse hinunter. Auch das Werkzeug nahmen sie mit sich.

Einen ganzen Tag lang werkte Peter allein an den beiden Fensterstöcken. Der Blasius holte aus Zirl das nötige Glas. Der Blasius, der Polten Karl und der Erhardt halfen dann auch die Mauer aufrichten. In zwei Tagen waren sie fertig, auch die Fensterstöcke standen nach dem Lot. Und als sie dann auch die Mauer sauber angeworfen und-geweißt hatten und die Spalierstäbe daran befestigt waren, da war Peter über das wohlgelungene Werk schier fröhlicher denn über die Himmelskugel. Der Jennewein aber redete in allen Häusern herum, die Leute sollten, wenn sie durch die Völsesgasse gingen, dem Anichhaus ja nicht zu nahe kommen, die neue Mauer werde eines Tages einstürzen und das ganze Häusel dazu. Das Erschlagenwerden aber sei des Anichbauern höchst eigene Sache, und ein Bauer, der um einer eitlen Narretei willen einfach zur Halbscheit sein Haus niederreiße und mit städtischen Fenstern protze, verdiene auch keinen rechtschaffenen Tod.

„Es ist ihnen soviel leichter, wenn sie wieder einen Knochen zu nagen haben“, sagte der Erhardt, als sie auch dies Gerede erreichte. Es war aber bös genug. Und als die Leni in den nächsten Tagen heimlich nach Ranggen lief, nach Axams und Unterperfuß, auch nach Zirl und Kematen und von Haus zu Haus nach einem Knechtlein fragte oder nach einer tüchtigen Dirn, da traf sie immer wieder auf dies Gered. Sie wüßten schon welche, aber niemanden, der sich erschlagen lassen wolle um nichts und wieder nichts, die Anichleute sollten sich ihre Dienerschaft aus der Stadt holen, dort sei die richtige zu finden, eine, die es nicht nach einem rechtschaffenen Hofwesen gelüste, sondern nach allerhand Lustbarkeit und Hoffart. Ein Bauer, der nur mehr mit hohen Herrschaften umgehe, habe auch eine solche nötig.

Dem Peter gegenüber sagte die Leni, sie sei bei der Kathi gewesen, denn die Schwester erwarte wieder ein Kind. Von den Dienstboten sagte sie nichts. Den Erhardt erbosten weniger die nachträgerischen Menschen als die Art, wie dem Anichbauern auch das schönste Ding zum Unglück ausschlagen wollte. Aber wenn die Leni dann mit rotgeweinten Augen vor ihm stand, tat er wieder sehr sicher. Allen bedeutenden Menschen ergehe es so, sagte er dann, nicht bloß dem armen Peter, ja diese bösen Zufälle und zufälligen Bosheiten seien für ihn nur eine sichere Gewähr, daß der Peter zu Höherem in der Welt bestimmt sei. Auch sei er ein Bauer, der schließlich mit dem Unkraut fertig werde. Was aber sie beide betreffe und die Hochzeit, so könnten sie das dem Bruder getrost überlassen. Nicht umsonst siniere er so viel in sich hinein, und eines Tages werde er auch diese verzwickte Frage auf eine erstaunliche Art beantworten. Das Mädchen stimmte ihm auch gern bei, ihr Herz kam nicht mehr mit, und sooft sie an die Hochzeit dachte und auch manches dafür vorbereitete, sie brachte das Gefühl nicht los, als sei es umsonst getan und als denke sie an ein unsäglich fernes, ja in all seiner Ferne unwirkliches Ding. Wirklich allein war die Tücke, mit der der Bruder sich raufen mußte, war das Dunkel und manchmal gar eine rechte Finsternis um ihn, eine die voll von Gefahren stak, von Gefahren, die wilder wurden und unentrinnbar, je weiter er in die große Welt hineinschritt. Und oft erschrak das Mädchen, wenn sie sich überraschte, wie wenig sie in jenen Tagen an den Verlobten dachte und wie sehr, ja ständig, ihre Gedanken um den Bruder gingen, und daß eigentlich nichts mehr in ihrem Herzen ehrlich und wirklich war, es sei denn der feste Wille, diesen Bruder in der Gefahr nicht zu verlassen, auch um den Preis ihres eigenen Glückes, ihrer bräutlichen Pflichten nicht.

Am ersten Tag, den Peter in der neugerichteten Stube arbeitete — er schlief einstweilen noch in der Kammer —, nahm er die Uhr in die Arbeit, und da zeigte sich, daß bloß ein Rädchen gebrochen war, ein ' hölzernes dazu. Die Teile hatten sich im Werk verspießt. Er verwunderte sich, wie leicht er den Fehler jetzt fand, noch dazu an einer Stelle, die er wohl ein dutzendmal besehen und geprüft hatte. Als die Leni die Ochsen vor den Wagen trieb, sah sie den Bruder mit der fertig zusammengesetzten Uhr im Hausflur stehn. Sie schlug die Hände zusammen. „Du bist doch ein Zauberer“, sagte sie, „und dabei ist diese Uhr gar nicht uneben. Muß “schon ein sehr kunst- ' reicher Mann gewesen sein, der sie geschaffen hat.“

Wenn man bedenke, daß die Uhr bereits gut vierzig Jahre alt sei und daß der Bauer, der sie verfertigt habe, kaum nach Innsbruck zu einem Professor gelaufen sei oder gar die Trigonometrie studiert habe! Peter sagte das alles sehr fröhlich. Immerhin sei jener Mann ein Bauer geblieben, und so sehr, daß man heute auch seinen Namen nicht mehr wisse. Das sei auch das richtige.

„Hat aber auch kein Mensch seinetwegen an die Kaiserin geschrieben.“ Bös war die Leni. Die Hochnäsigen könne sie nicht leiden, doch die Kleinmütigen seien noch weniger wert. Ja es sei schon so, jeder andere, und wenn er nur eine Uhr zuwegebringe oder einen halbwegs netten Mohnstößel, sei schon ein großer Mann und zehre von diesem einen Stück sein ganzes Leben lang, der Peter aber stehe immer unter den Leuten als der Dumme da, als gab es keine Sonnenuhren aus seiner Hand, keine Himmelskugel und bald auch eine Erdkugel.

„Ach Gott“, sagte Peter, „lieber tat ich wissen, wie ich jetzt die Uhr nach Gries hinaufbring.“

„Trägst sie halt selber hinauf. Der Blasius hilft dir gern!“

Aber Peter hatte viele Gründe dagegen. Unter der Woche sei das unmöglich. Nicht einmal allein könnte er unter der Woche hinauf, jetzt, wo alles auf den Feldern sei. An Sonntagen aber sei er jetzt zu müde. Schon am letzten Sonntag habe er die halbe Stunde zur Kirche kaum dermacht.

„Auch wenn die Vroni in Seilrain oder in Axams war, tätest ja nicht hingehn.“

Peter blickte die Schwester lange an, dann schritt er voran zum Wagen. Er lachte dabei, denn er war guten Mutes wie schon lange nicht.

In Innsbruck empfing ihn auch diesmal der alte Obermoser. Schon bei der Tür nahm er dem Peter den Stock ab und den Hut, wie mit einem gar hohen Herrn ging er mit ihm um. Er sei von jetzt ab, wenn er, der Peter, es erlaube, auch an Samstagen wieder im Dienst. Er halte es ja doch daheim nicht aus, denn sein eigentliches Heim sei das Kabinett, und seit die Himmelskugel da stehe, gebe es auch in der ganzen Welt keinen schöneren Ort. Er staube sie aber auch täglich mit aller Vorsicht ab und ziehe jeden dritten Tag die hugenische Uhr auf. Die Uhr allein sei aber auch ein wahres Meisterwerk, nicht um eine Sekunde sei sie in der ersten Woche zurückgeblieben oder vorgelaufen. In der ganzen Hochschule hätten sie keine bessere Uhr, und die Studenten kämen jeden Tag, um die rechte Zeit abzulesen. Peter wußte selber nicht, woher ihm die Kraft zugewachsen war, daß er jetzt die Lobpreisungen des alten Christian genau so ruhig hinnahm wie ehedem seine kleinen Quälereien. Es war ihm, als schwebten die Dinge um ihn her, auch jene, die ehedem sehr gewichtig geschienen hatten, auch Gedanken, die ihn sonst bedrückten. Alles war leicht und frei und heiter.

Der Professor empfing ihn wie einen Freund. Jeden Tag kämen nun Leute, die Kugel ansehn, und sie müßten wohl bald, um nicht in ihrer eigenen Arbeit gestört zu werden, eigene Stunden für solche Besi h-tigungen festlegen. In ganz Innsbruck rede man jetzt von dem Wunderwerk und dem Wunderbauern, der es geschaffen. Aber das werde sich bald wieder legen. Das Werk jedoch bleibe, und kein Professor der Physik habe noch ein schöneres und dauerhafteres zurückgelassen. Das sage er ohne Neid. Er möge ihm nur einmal auch ein paar groß-schädelige Herrschaften aus Perfuß schicken, daß er ihnen erzähle, wie man in Innsbruck über ihren Peter denke, aber erst wenn die Inschrifttafel an der Kugel angebracht sei, sonst glaubten sie esja nicht, diese hartgesottenen Thomase und Prophetensteiniger.

„Die Tafel!“ Peter erschrak, „die Tafel hab ich völlig vergessen.“

Er habe sie diesmal auch noch nicht erwartet. Auch habe Peter wohl schon allzusehr an die Erdkugel gedacht, vielleicht gar schon den halben Kugelkörper gedrechselt.

Nein, das sei doch wirklich nur ein Spaß. Er wünsche, ja er befehle, daß Peter weder ein Stück Holz noch den Quadranten noch eine Feder in den nächsten Wochen anrühre. Und daß ihm das leichter falle, werde er selbst auf fünf oder sechs Wochen verreisen. Nach Wien. Zur Kaiserin. Er entnahm dabei dem Schreibtisch einen Foliobogen, schweres, feines Papier mit dem Siegel der Alma mater, legte aber sogleich einen Packen Schreibpapier darauf. Bloß die langmächtige, die feierliche Anrede an die Majestät lugte hervor. „Es ist besser, wenn der Peter nicht sieht, was da über ihn und seine Kugel geschrieben steht“, sagte er, „er tat mich sonst steinigen, wie ich ihn kenne.“ Er lüftete die papierene Decke, ließ sie aber sogleich wiederum fallen. „Lieber nicht, nicht einmal den einen Satz. Schon vor den Kammerräten war Er mir zu hoff-färtig. Und was ich der Kaiserin mündlich berichten werde, erfährt Er erst recht nicht.“

„Eine Bitte mußt du dem hoffärtigen Menschen erfüllen“, sagte Peter, und der Schweiß stand ihm wiederum auf der Stirn: „Wenn sie mich in Wien haben wollen, dann sag der Kaiserin:' Der Peter ist ein Bauer, und ein Auer kann im Sommer seinen Hof nicht lassen. Das versteht sie; auch im Winter nicht, wenn dann die Leni verheiratet ist und überhaupt . . .“

„Und wir brauchen den Peter und geben ihn nicht her, auch wenn man ihn bei Hofe vergoldet.“

Sie vereinbarten aber, daß sie einander am fünften Samstag wieder treffen wölken. Demungeachtet stehe das Armarium für Peter auch jeden anderen Samstag offen und überhaupt jeden Tag. Auch sei der Obermoser angewiesen, ihm Jedes gewünschte Buch oder Instrument auszufolgen. Den Reiseweg nach Wien besahen sie dann im Hommanischen Weltatlas und die Stadt Wien selbst auf verschiedenen Stichen. Über zehn Jahre habe er nun das kaiserliche physikalische Kabinett nicht mehr gesehn, sagte Herr von Weinhart, und er sei mächtig neugierig, welche neuartigen Instrumente sie dort erworben hätten, ob sie auch einen gleich großen Sternglokus besäßen, einen gleich kunstvollen sicherlich. nicht. Er werde auch die Kollegen an der Universität aufsuchen, die bedeutenden Buchhändler und das neue Observatorium. Vorangehe jedoch die Audienz, und er hoffe, daß sich innerhalb zweier Wochen doch trotz des Schlesischen Krieges ein nicht allzu knapper Besuch erwirken lasse.

Der Professor reise freilich nicht allein der Himmelskugel halber, verriet dann der alte Christian. Die letzten Briefe aus Wien hätten bereits sehr ernsthaft von einer Berufung des Freiherrn von Sperges gesprochen. Man brauche dort einen guten Kenner der italienischen Verhältnisse und verzichte lieber auf die neue Landkarte. Die tirolischen Nöte stünden ja in Wien seit je hintenan. Und dann? Doch der sonst so leicht erregbare, ja schreckhafte Bauer begriff das Gewicht dieses Geheimnisses sichtlich nicht. Er tanzte von einem Bein auf das andere und schnalzte mit den Fingern und war kindisch heiter, was den alten Christian nachgerade verwunderte.

Peter verließ die Stadt diesmal lange vor Mittag. In Völs bestellte er Suppe und Krapfen. Aber nach den ersten Löffeln fühlte er sich seltsam gesättigt. Die Krapfen steckte er für die Leni zu sich. Außerhalb des Dorfes lag er dann eine Stunde lang in einem Erlenbusch. Auch später rastete er, sobald ein schattiges Plätzxhen lockte und ihm der Schweiß allzuarg über die Wangen' lief. Ein Bauer, der ihm gegnete, fragte ihn, ob er denn so gelaufen sei, es sei doch eher ein kühler Tag. Bald entdeckte Peter auch,' daß diese ungewohnte und wie ihn dünkte gar königliche Zeitvergeudung ihn nur noch mehr ermüdete. Seine Beine führten sich auf wie störrische Ochsen, und wenn er sie scherzhaft schlug, spürte er die Schläge kaum. Dabei flogen ihm wunderliche und helle Gedanken zu, überhelle. Sie kamen und gingen aber, ohne daß er sie gerufen hatte oder auch nur einen halten konnte, ob nun die fertige Erdkugel vor ihm stand, ob er den Pater mit der Kaiserin reden hörte oder die Leni im Brautkleide sah oder den sterbenden Eglauerbauern. Auch was er an Kurvenformeln wußte, tanzte töricht dazwischen. Erst gegen Abend kam er heim. Sie hatten ihn auch früher nicht erwartet, und ihm selber ward daheim gleich leichter. „Die fünf freien Wochen werden roir gut tun“, sagte er, „auch kann ich jetzt ordnen, was zu ordnen ist. Die Uhr will ich zurücktragen und deine Hochzeit vorbereiten, wegen der : Dienstleute umschaun und den Schwager besuchen. Ach Gott, was sind das für geschenkte Wochen!“

„Erst tat ich einmal ein paar Tag gründlich ausschlafen“, sagte die Leni, „und die Drehbank ' hinausstellen und alle Bücher verräumen, daß sie dich nicht wieder reizen. Das andere gibt sich, wenn wir uns nur einmal ernsthaft dahintersetzen.“

Er nahm nur ein paar Löffel Suppe und ging zeitig zu Bett.

(Fortsetzung folgt)

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