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Peter Anich, der STERNSUCHER

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49. Fortsetzung

18. Kapitel

Von dem Freiherrn von Sperges traf keine Antwort ein. Auch der ihm nachgeschickte Bote kehrte nicht zurück. „Der gute Mann hat die böse Nachricht vielleicht schon“ er fahren“, sagte Herr von Weinhart, „jetzt nutzt er die schönen Tage und macht uns die Karte vor der Nase fertig. Oder sie haben ihn einfach wieder zu irgendeiner Gesandtschaft fortgeholt. Anno 55 war es so. Ich glaubte, er arbeite in der Gegend von Cortina, und er, der Herr Sekretär, saß seit Monaten in Mantua.“ Er wolle aber weiter über diese Nebenbeschäftigung nicht schelten, fügte er dann hinzu, denn die bei solchen Gesandtschaften erworbene Kenntnis der vielfältigen Grenzstreitigkeiten habe ihn später bei der Landaufnahme unterstützt.

Für die Feldarbeit fühlte sich Peter in jenen Wochen noch zu schwach, auch das Hantieren mit den schweren Blöcken ermüdete Ihn allzusehr. Er dachte aber auch nicht sonderlich an die Erdkugel. Die Arbeit an ihr erschien ihm mehr und mehrmals eine schöne, wohl auch gewünschte, aber in seiner gegenwärtigen Lage leichtfertige Spielerei. Die Meßinstrumente hingegen, sie waren das Wirkliche.

Der Meßstab war denn auch bald zugeschnitten und poliert und unterteilt. Der Stab in zehn Schuh, der Schuh in zehn Teile und ein Teil in zehn dritte Skrupeln. Die Meßschnüre gelangen nicht sogleich. Erst als er neuen Hanf aus Innsbruck heimbrachte, die Schnüre selber drehte und dann in öl sott, hielten sie Gestalt und Farbe. Eine volle Woche lang werkte er dann an den Meßruten. Noch bis tief in die Nacht hinein war er daran, aber dann lagen sie auch wie riesige Schlangen umher, ein feines Spielzeug für Buben. Blank poliert und eingelassen, jede fünf rechte Ruten lang und die Rute wieder in zehn Schuh unterteilt, die einzelnen aber gelenkig untereinander verbunden, so daß sie auch ein Gehilfe richtig und leicht handhaben konnte, zierlich neben jenen, deren sich einst der würdige Geometer bedient hatte. Ein Flaufen minder gewichtige Dinge entstand nebenbei: kleine, doch genau unterteilte Zollstäbchen, zwei Dutzend drei Ellen lange glatt gehobelte Stäbe, die er vom Hörtnagl mit Eisenspitzen versehen ließ und zum Ausstecken der gemessenen Punkte nutzen wollte, zwei gleich hohe Stäbe, die aber mit Farbe in Zoll unterteilt wurden und an denen man die Meßruten aufhängen konnte, ein neuer Zirkel mit Messingspitzen und Messingführung, kleinere Zirkel und ein ganz fein zugeschliffener Transporteur, der auch von den Augsburger Erzeugnissen, wie sie auf der Hochschule in Gebrauch waren, nicht zu unterscheiden war.

Der Hörtnagl saß nun wieder viele Stunden nach Feierabend im Anichhause. Zuweilen gesellte sich auch Blasius dazu. Ihm war es freilich weniger wichtig, wie die einzelnen Instrumente entstanden, als wie man sie brauchen konnte. Er konnte jetzt auch bereits mit den geschriebenen Ziffern und Zahlen umgehn, aber er rechnete deshalb nicht weniger rasch und findig. Stundenlang übte Peter mit ihm Rechnungen in den verschiedenen Maßeinheiten. Dazu bedurften sie weder algebraischer noch trigonometrischer Formeln, aber einfach war auch diese Rechnerei nicht, ob sie nun mit Indien und Linien, mit Zoll und Schuh und Ellen und Klafter übten oder mit Mohnkörnlein und Gerstenkörnlein, mit querer Hand und Spanne, mit Schritt und Doppelschritt, mit Ruten und Stadien, welschen und teutschen Meilen, deren fünfzehn dann endlich einen geographischen Grad ausfüllen.

An einem der ersten Oktobertage, zu Franz Seraphikus, schafften sie dann die neuen und die alten Instrumente auf die Wiese hinter das Haus. Auch der Hörtnagl war bei diesem ersten Versuch zugegen. Zwischen zwei Kirschbäumen maßen sie die Basis, visierten zu den ersten Fiditen hinüber, zur Poltenkapelle und zu dem letzten und höchsten der Erhardtschen Birnbäume, schnitten und zeichneten und prüften, bis jeder Punkt haargenau auf dem Papiere saß und das Naturmaß mit dem durdi das Einschneiden gefundenen bis auf den Zoll übereinstimmte, der Kompaß die klare Riditung, das Astrolabium die richtige Sonnenhöhe zeigte. Der Erhardt kam nachsehn, und die Leni lief hin und wieder. Am“ Nachmittag aber kam auch der Kurat so zufällig des Weges und ließ sich jegliches Ding erklären. Er lobte auch die feinen Instrumente und die reinliche Zeichnung. Ganz leicht ums Herz sei ihm, sagte er, wie schön sich nun alles, auch das vor einem Jahr noch Unlösbare zu einem wohlgeordneten Leben wende. Der Peter sei nun doch nach manchem an sich sehr nützlichen Seilensprung unter die Landmesser gegangen, freilich nicht unter die kleinen, die sich um einen Randstein bekümmerten, er werde nun den Gemeinden, den Kreisen ihre Grenzen vorschreiben, und von seinem Urteil, seiner Genauigkeit werde es abhängen, ob ein Berg fürder den Schweizern oder den Bayern gehöre oder den Tirolern. Gegen diese Aufgabe sei freilich die schönste Sonnenuhr nur eine winzige Spielerei. Und wenn die Ober-perfer jetzt meinten, der Peter sei ja doch nur ein gewöhnlicher Feldmesser geworden und noch dazu ein geringerer als weiland jener bärtige Tatzbär, samt seinen zwei Praktikanten und seinem Esel, so lasse er sie einstweilen ruhig bei ihrem Glauben. Die Fredigt bei der Doppelhochzeit aber, die wisse er schon heute bis aufs Wort, die müsse dann aber auch, dafür stehe er ein, 'in die Ordinari Zeitung gleich hinter den Wiener Hofnadirichten, und wenn die Unken und Klapperfrösch in ganz Ober- und Unter-perfuß, in Axams und Kematen zerplatzen täten.

Das einst so gepriesene Astrolabium erwies sich jedoch für den Feldgebrauch als zu umständlich und auch dem Gewichte nach zu schwer. Vierzehn Tage später hatte Peter ein neues Instrument fertig. Es war aus leichtem Holze gebaut, halb so umfänglich wie das alte. Auch einen neuen zierlichen Kompaß in einem hölzerner Gehäuse machte er dazu.

Herr von Weinhart schlug, als Peter dann mit einem Wagen voll von Instrumenten angerückt kam, die Hände zusammen. Herr von Sperges habe doch bereits alle nötigen Instrumente bei sich, sagte er, freilich so überaus treffüdie, so bis, ins letzte durchdachte und handliche habe wohl noch kein Landmesser besessen. Nun hieße es nur los-gehn.

„Das müßte man“, sagte Peter, „bei einem Schneesturm oder Eisregen ist es ganz gleich, ob man ein gutes oder schlechtes Instrument benutzt.“

Immerhin hatte der von Sperges zwei neue Kartenblätter geschickt und durch den Überbringer, nicht den eigens nachgesandten Boten, sagen lassen, er nutze noch die schönen, ja für die vorgeschrittene Jahreszeit schier sommerlichen Tage und werde in etwa zwei Wochen in Innsbruck eintreffen.

Wenn das Wetter anhielt, und Herr von Weinhart war davon überzeugt, stand die Sache nicht so schlimm, wenigstens nidit für eine Arbeit in den südlicheren Tälern. Schwieriger für Peter. Die Feldarbeit hatten sie nun bereits ohne ihn getan. Den Türken aufbinden, oder noch um Futter fahren, doch das war keine Arbeit für ihn. Rasten, gründlich rasten. Das gehe noch weniger. Die Erdkugel vorbereiten? Peter schüttelte nur den Kopf. Der Pater seufzte, aber innerlich frohlockte er. Dann kam er mit einem alten Büdilein zurück. „Ein ungeschickter Stecher kann einem die schönsten Karten verpatzen“, sagte er, „und wir haben keinen, der sich auf das Kartenstechen versteht. Ich mein, daß jedes Pünktdien auf den rechten Platz kommt und nicht eine Ortschaft gleich um eine halbe Meile daneben gerät. Ein idealer Fall, wenn der Peter sein eigener Stecher war.“

Peter starrte ihn an: „Du glaubst, daß ich das kann?“

„Was kann der Peter nicht, wollen wir fragen.“

Peter seufzte. Aber Herr von Weinhart rief jetzt: „Ich weiß schon, was der Peter nicht kann: warten kann er nicht.“

„Als ob ich nidu acht Jahr auf den Weg nach Innsbrudv gewartet hätt, damals. Länger als acht Jahr. Und auf was ich noch alles werde warten müssen.“ Den Pater erbarmte der Bauer, so nachdenklidi saß er jetzt da.

Die daheim aber sahen bald den Peter mit zwei großen dicken Kupfertafeln hantieren und allerlei Flasdien auspacken, auf denen Totenköpfe gebildet waren, und sie verwunderten sich, wozu er das neue lebensgefährliche Zeug brauche. Und nach zwei Tagen, die er hinter der verschlossenen Tür verbracht hatte, ersdiien er mit einer kleineren Platte, die, sobald man sie schräg gegen das Licht hielt, auf das zierlichste eine kleine Sternkugel zeigte, genau die gleiche, die in Innsbruck stand, mit Sternen und Tierkreisbildern und der hugenischen Uhr. Es waren aber auch zwei Engel gebildet, die das Wunderwerk trugen und zwischen sich ein Spruchband hielten, darauf der lateinische Spruch des Professors zu lesen stand. Die Leni fiel dem Bruder um den Hals, so sdiön war das alles.

Nodi mehr staunte' sie, daß man dieses gleiche Bild nur noch schöner auf hundert Blätter hintereinander drucken konnte. Nur wie er drucken wollte? Sie ließ die Knödel stehn und rannte mit ihm in die Knechtkammer. Dort stand eine alte Wäschrolle, und sie druckten auch zehn Blätter herunter, aber mehr als ein paar Schmutzpatzen hatten sie nicht auf dem Papier. Peter lief samt der Platte in die Schmiede. Der Hörtnagl konnte sich eine solche Presse schon ganz gut vorstellen. Zwei mäditige Eisenrollen, ein wenig gerillt, daß sie das Papier mitnahmen, dann das Triebwerk mit den nötigen Ubersetzungen. Aber zu schmieden war da wenig, und auf den Eisenguß verstand sich auch der Hörtnagl nicht. Bis Weihnachten getraue er sich eine solche Presse schon herzustellen. Bis Weihnachten!

Daheim schob Peter die Kupferplatte hinter einen Stoß Papiere, auch die Flaschen und das Radierbüchlein schaffte er aus der Stube. Wenn er dann am Fenster saß, zitterten ihm die Hände, so müd war er auf einmal wieder, so wild und ohne Sinn tanzten die Gedanken in ihm. Es war ein rechter Segen, daß ihn der Erhardt jetzt um die Vroni fragte.

Der Jägerlehof neben dem Bade sei nunmehr verkäuflich, sagte der Nachbar. Er habe es vom Kuraten erfahren, und nodi wisse nicht jedermann darum. Und da er den Peter gerade bei keiner wichtigen Arbeit sehe, und der Peter einmal gesagt habe, die Vroni werde ihren Hof in Gries verkaufen und um den Erlös dann den Jägerle erwerben oder wenigstens einige gutgelegene Äcker und Fahrnisse ...

„Das hab ich der Vroni seinerzeit vorgeschlagen“, sagte Peter, „das stimmt.“

Doch wenn man die anderen erst die besten Bissen wegschnappen lasse, sei das nicht sehr klug. Auch gebe es doch allerhand für die Doppelhochzeit zu bereden, und wenn Peter dann verreise, könnten sie ihm nicht erst mit einer Extrapost nach Bozen nadifahren. Wenn es um eine Erdkugel oder ein neues Instrument gehe, wäre eine solche Erinnerung wohl nicht von-nöten.

„Ist recht“, sagte Peter, „ich geh morgen früh nadi Gries.“

Und wenn der Erhardt nun meinte, sosehr brenne die Sach ja wiederum nicht, Peter ging. In aller Frühe schritt er los, und es war ein schöner Tag wie all die andern vorher, und die Berge standen auch im Sellrain drinnen schneefrei bis hoch hinaus unter die Schrofen.

Als Vroni ihm dann in der Nähe entgegentrat, schlank und frisch in ihrem Arbeitskleid und auch ein wenig erstaunt, wie er da so plötzlich vor ihr stand und so wie einer, der es sehr eilig hat, da ward ihm erst leichter ums Herz, ja vor ihren großen sicheren Augen schalt er sich einen rechten Narren. .

Sie fragte ihn, wie er die Krankheit überstanden und ob denn die Leni noch immer nicht geheiratet habe.

Nachher hieß sie dann den Buben das Vieh besorgen und die kleine Vroni die Küdie. Sie selber gingen zusammen ein Stück durch den Hohlweg gegen den Wald hinan. Auch er redete sich hier leichter. Als er aber dann von seinem neuen Auftrag berichtet hatte, und wie deshalb auch daheim die eine Hochzeit wiederum verschoben werden müsse, freilich nur die der Schwester, denn er selbst werde ja wohl zu Weihnachten wieder daheim sein und dann auch daheim verbleiben, so sei es wenigstens mit dem Pater abgemacht und mitten im Winter könne man auch nicht gut das Land vermessen, da tat sie eigentlich viel weniger verwundert, als er erwartet hatte. „Es ist deine Sache“, sagte sie, „ob du jetzt die Zeit über daheim irgend etwas betreibst oder ob du in der Bozener Gegend umher wanderst. Es ist wohl auch besser, du hast diese Arbeit dann hinter dir, im Frühjahr und nach der Hochzeit hab ich dich schon lieber daheim. Das wirst du mir doch wohl glauben.“

Er nickte. Audi ihm sei das lieber. Es gebe dann im ebruar eine Doppelhochzeit im Anichhause.

Sie war einverstanden, doch so, wie man irgendeiner nebensächlichen Sache zustimmt.

„Ach Gott“, sagte Peter, „gestern hab ich es nodi nicht erwarten können, und heut war es mir lieber, ich könnte daheim bleiben und dafür öfter nach Gries laufen. So leicht wird mir ne'-en dir, und so einfach ist alles, wenn du es besprichst.“

(Fortsetzung folgt)

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