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Peter Anich, der STERNSUCHER

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52. Pol isetavag

Er ging dann in sein Stube und, da ihn auch die jücher nicht beruhigten, Kur Mutter hinauf. Ihr mußte er immer wieder von der Marie erzählen. Als er wieder in den Hausflur kam, stand der Erhardt vor ihm. Da wußte er, daß die Leni mit ihm über alles gesprodien hatte. Er folgte ihm vor das Haus, und sie schritten lang in der klaren Nacht vor dem Hause auf und nieder. „Man muß die Dinge klar ansehn“, sagte der Erhardt, „das hab ich dir schon damals auf dem Heimweg von Innsbruck auseinandergesetzt. Du hast es nur nicht glauben wollen. Jetzt ist es so weit.“ Wenn er noch zugewartet habe, so sei dodi immer noch ein sicherer Zeitpunkt oder wenigstens ein ungefährer vor ihnen gestanden. Jetzt sei jedoch alles ungewiß auf Jahre hinaus. Ein Vierziger aber habe nicht mehr viel Jahre zuzusetzen, wenigstens auf ein ungewisses Glück hin nicht. Und der Erhardthof verlange gebieter sch nach einer'Bäuerin. „Lieber ging ich ja wieder in den Krieg.“

„Und wenn ich dem Professor abschreibe? Zwingen kann er mich doch nicht.“

Das sei ein Unsinn, sagte der Nachbar, es gelüste ihn auch ' nicht, fürder einen todunglücklichen Menschen als Nachbarn zu haben. Es sei bitter genug, wenn sie beide, die Leni und er selbst, darunter leiden müßten. Eine zweite Leni gebe es nicht mehr, und er werde sich nun die Erhardtbäuerin von seinem Onkel in Imst suchen lassen, von ganz weit her„ irgendeine an sich tüditige Frau und Bäuerin, wie man eben auch sonst eine solche suche' und nehme.

„Bis morgen abend aber kannst du schon noch zuwarten“, sagte Peter darauf, „ich geh morgen nach Gries hinauf. Und wenn die Vroni mich trotz allem nimmt, dann bleibt es bei der Doppelhochzeit.“

„Ja, das sollst du nodi versuchen“, sagte der Nachbar. „Ich glaube, nur nicht, ,jaß ,sie. dich sp; lieb hat und den Sommer über jedes Jahr auf den Bauern verzichten will. Da hat sie als Witwe und in Gries oben das gleiche Leben, wenn nicht ein weit besseres.“

Als die beiden wieder an das Anichhaus herankamen, stand Leni in der Tür. Sie hatte ein Tuch umgeschlagen und zitterte vor Kälte. Peter trat auf sie zu und nahm sie an der Hand. „Ich geh morgen zur Vroni“, sagte er.

Leni lehnte schwer an der Tür. „Wenn nur das schon vorüber war , sagte sie leise, „der Franz und ich, wir tragen es schon.“

„Als ob für midi etwas zu schwer sein könnte.

Die ganze Nacht hindurch fiel Schnee, und es schneite noch in dichten Flocken, als Peter am nächsten Morgen das Anichhaus verließ. Er nahm Steigeisen mit, und er brauchte sie auch außer Seilrain, denn in den höheren Lagen hatte es Eis geregnet. So kam er erst gegen Mittag nach Gries. Die Eglauerin las auf seinem Gesicht, daß er Schweres zu vermelden hatte, und schlaue sogleich die Kinder aus der Stube. Als er ihr alles beriditet hatte, sagte sie: „Wenn der Erhardt die Leni deshalb sitzen läßt und eine andere nimmt, dann ist es besser für die Leni. Einen solchen Liebhaber vergißt man leichter.“ Ihre Stimme hatte aber jetzt wieder den harten Klang, der ihn schon nach dem Leichenschmaus für den Anichvater verletzt hatte. „Idi kann doch nicht alles liegen und stehen lassen und stracks heiraten, nur daß die Leni keine alte Jungfer bleiben muß.“

„Wir hätten doch nicht bloß wegen der Leni geheiratet“, sagte Peter rasch.

Freilich nicht, sagte sie jetzt milder, aber sie seien dodi auch keine Kinder mehr, die aufeinander fliegen und über die nächste Stunde nicht hinausdenken. Auch habe sie noch keinen Pächter für den Hof gefunden. Lieber warte sie schon zu, bis er die neue Karte gezeichnet habe.

Peter ging noch vor dem Essen. Er spürte keinen Hunger.

Er war auch bereits gut eine Viertelstunde unterwegs, da kehrte er noch einmal um. Die kleine Vroni blickte ihn rschrocken an. Ja, die Mutter sei schon noch daheim, in der Kammer drüben sei sie. Die Schüssel stand noch unberührt auf dem Tisch.

„Sag der Mutter nur, daß ich die Uhr, sobald es wegsam ist, heraufschicken werde“, sagte Peter, „ich hab nur ganz .'arauf vergessen.“

Ali er aber aufblickte, stand che Bäuerin in der Tür. Er sah, daß sie geweint hatte.

Sie reichte ihm jetzt tue Hand: „Die Uhr behalt nur, Peter, vielleicht geht sie bei dir richtig.“

Am nächsten Tag ging der Erhardt nach Imst. Er werde über die Weihnachtstage ausbleiben, sagte er, es sei auch besser so. Sehr still, fast feierlich in seinem Gehaben war er. Audi für die Leni müsse er noch zu guter Letzt ein Wort einlegen. Wenn Peter schon die neue Arbeit übernehme und sicher noch viele Arbeiten dazu, könne er doch fordern, daß seine Schwester in ihren alten Tagen einmal eine Pension bekäme. Keine Gnadengabe. Gnaden hätte ein Anich Peter nicht zu empfangen, Solche Pensionen gebe man auch bei sehr viel geringeren Verdiensten. Auch Peter selbst möge an seine alten Tage oder an Zeiten der Krankheit denken.

„Ach Gott“, sagte Peter, „wenn ich einmal nicht mehr arbeiten kann, will ich auch nicht mehr leben. Aber es ist schön, daß du dich um die Leni sorgst, und ich werde deshalb sprechen.“

Als der Erhardt dann gegangen war. trug Peter che sdion fürgewählten Birkenblöcke imü* SsubcDea ganzen Tagimdhjjnd Nacht hinein saß er an der Drehbank. Auch das Essen brachte ihm Leni kl die Stube.

19. Kapitel Im Dezember des Jahres 1759 wurde Graf Cassian Ignaz von Enzenberg zum Präsidenten des neugeschaffenen Guber-niums für Tirol ernannt und zu gleicher Zeit von Kaiser Franz in den Reichsgrafen-, stand erhoben. Man begrüßte die kluge Wahl allgemein, denn der neue Gubernator hatte seit jungen Jahren, zuletzt als Präsident der k k. Hofkammer, dem Lande gedient und war bei allen Ständen und in allen Teilen des Landes als ein gerechter, kluger und tatkräftiger Mann geachtet. Audi die Ängstlichen, denen die vielfältigen Reformen der letzten Jahre bereits schlaflose Nächte verursacht hatten, erhofften sich jetzt einen gemessenen, den Landesverhältnissen angepaßten Gang. Eine wahrhaft froh, ja feierlich gestimmte Menge fand sich deshalb bei der zu Ehren des neuen Herrn ausgeschriebenen Versammlung ein. Der Adel des Landes, die Würdenträger der Kirche, die hohen Beamten, die gelehrten Herren waren dem Rufe um so williger gefolgt, als das vierte Jahr des neuen Schlesischen Krieges sonst wenig Anlaß zu Festen bot, selbst wenn der Sieg bei Kunersdorf und erst wenige Wochen zuvor der kühne Griff des Grafen Daun nach dem Finckschen Korps bei Maxen einen immerhin günstigen Fortgang des Krieges erhoffen ließen.

Die Festrede ward aber dem Professor der Physik, Herrn von Weinhart, übertragen, und dieser sprach „Uber den Nutzen und Vorteil der mathematischen Wissenschaften in einem wohlgeordneten Lande“. Die Grafen und Freiherrn aus den entlegenen Tälern wunderten sich nicht wenig über dieses Thema, sie meinten, es sei doch immerhin keine Inauguration, und ein neuer Gubernator und Präsident habe just mit anderen Dingen mehr zu schaffen als mit der Rechenkunst. Doch Herr von Weinhart erwies sich auch diesmal bei den ersten Sätzen als ein Mann, der die Sorgen des Tages kannte und einer lebendigen Wissenschaft mehr zugetan war denn irgendwelchen rein theoretischen Fragen Es gebe eine Unmenge sehr praktischer, sehr nützlicher Dinge, führte er aus, die von einem rechten Gebrauch der Mathematik samt allen ihren Hilfswissenschaften und einer erweiterten mathematischen Bildung Nutzen zögen. Ob es sich nun um eine bessere Nutzung der Salinen handle, um neue Poststraßen, um die Fischerei und Jagdpflege, gar um die von der Kaiserin anbefohlene neue Verrechnungsart der staatlichen Gelder, die Kameralistik, um die von ihr allen Landesherren aufgetragene Förderung von Industrie und Handel, allüberall müsse man auf den rechnerischen ' und physikalischen Grundlagen des Lebens bauen, wolle man sicher bauen und nicht die alten, eingespielten Verhältnisse noch verwirren. Das A und Z aller Verwaltung aber sei die Kenntnis des Landes. Nicht eine ungefähre, sondern ein exaktes Wissen um Städte und Dörfer und Weiler, um die vorhandenen Gruben und Festungen, um die Gestalt und Nutzung des Bodens, um die richtigen, allem Streit enthobenen Grenzen des Landes. Allen Reformen der Kaiserin liege eine .vernünftige, gerechte und deshalb tadellose Verwaltung zugrunde. Aber sowohl vernünftig wie einwandfrei oder auch nur gerecht könne nur einer verwalten, der die Bedürfnisse und Schätze seines Landes kenne, ja, 'man könne füglich behaupten, ohne eine einwandfreie vermessene und bis in den letzten Talwinkel genaue Landkarte bleibe jegliche Reform nur ein lässiges und zuweilen gefährliches Experimentieren.

Herr von Weinhart strich befriedigt über seine Haarbürste, denn die Verwunderung auf vielen Gesichtern hatte sich bere'ts zu einem starken Staunen gewandelt. Die ihm vertrauteren Herren aber nickten ihm lebhaft zu. Et 'wandte sich deshalb dem Gubernator zu und pries den neuen Reichsgrafen als einen Mann, der die Erfordernisse der Verwaltung aus vielfältiger Erfahrung bis ins letzte kenne und sich aus den obgemnnten Gründen. schon als Präsident der Hofkammer eine anständige, der neuen Zeit in allen Einzelheiten entsprechende Karte habe angelegen srin lassen. Seiner Fürsorge, seinem Eintreten bei der Wiener Rgierung sei es allein zuzuschreiben, daß man bereits den in seinen Grenzen am ärgsten umstrittenen Teil des Lande1, das mittägige Tirol, neu und herrlich vermessen und für den Stich gezcidinet vor sich liegen habe, eine in allen Teilen, tadellose und für die Zukunft unschätzbare Arbeit des Freiherrn von Sperges.

Leider habe das Land den ausgezeichneten Kartographen an Wien abgeben müssen. Nur durch die Mithilfe eines in allen mathematischen Arbeiten sehr geschickten Bauern sei der südliche Teil überhaupt vollendet worden. Der Teil nördlich des Brennerpasses aber sei vom Freiherrn nicht mehr zu erwarten. Dennoch und auch wenn dies bei einer so festlichen Versammlung vielleicht ungewöhnlich sei, richte er im Namen der Universität und im Namen aller ag dem Fortschritt ihres Landes interessierten Tiroler an den neuen Herrn die Bitte, auch die Aufnahme des nördlichen Teiles von Tirol zu betreiben und seinen ganzen Einfluß daranzusetzen, daß eine Karte des gesamten Landes hergestellt werde. Diese Karte werde nicht bloß in der Hand eines klugen und weitschauenden Herrn dem ganzen Lande zum Segen gereichen, sie werde audi das Land Tirol an die Spitze aller kaiserlichen Länder stellen, ja, dies sehe er als der hierzu bestallte Wächter und Wissenschafter schon heute, die Augen des ganzen Kontinents auf das schöne Tiroler Land lenken. Denn keines dieser Länder verfüge bereits über eine g'eichwertige oder auch nur ähnliche Karte. Das besage nicht, daß man anderswo sich nicht bereits ernstlich um solche Kartenwerke bekümmere, daß es etwa an Einsicht und dem nötigen Willen mangle oder gar eine solche Karte als ein nebensächlich Ding angesehen werde.

Herr von Weinhart sprach jetzt sehr rasch, denn er merkte, daß in manchen Gesichtern wiederum eine bedenklich: Gleichgültigkeit aufkam. Nein, e*ne Frage des Wollens oder gar des Geldes sei das durchaus nicht, es komme einzig und allein darauf an, ob man in dem betreffenden Lande auch den rechten Kartographen finde, einen, der sich von der alten Manier freimache und mit Ernst und

Kenntnis, zu vordem aber xrmt Jen aSragen Pflichtgefühl an eine so schwere, zeitraubende und zuweilen lebensgefährliche Arbeit herangehe.

Diesen Menschen aber, diesen Kartographen — der Professor neigte sich wieder dem Gubernator zu — besitze man in Tirol auch nach des Freiherr von Sperges Abgang und in einer Art, die wohl einmalig sei und dem Lande zur unvergänglichen Ehre gereiche. Seinem Stande nach sei dieser Mann ein schlichter Bauer,. dabei aber seit vielen Jahren sein persönlicher Schüler und der beste Mathematikus und Landvermesser, den man sich überhaupt denken könne.

Die Innsbrucker Herrn nickten, denn es gab kaum einen unter ihnen, der die Himmelskugel im Armarium noch nicht besichtigt hatte. Auch sie freilich, zumal die Kammerräte, lächelten ein wenig dabei, so als wollten sie damit sagen: jetzt sitzt er endlich auf seinem Steckenpferd, der gute Weinhart. Von den auswärtigen Herren aber runzelten etliche die Stirn. Daß ein gelehrter Mann„ noch dazu selber Freiherr, in einer Versamm-: lung hoher und höchster Herrschaften und; bei solchem Anlaß einem Bauern ein Loblied sang, erschien ihnen halbverrückt und völlig ungehörig, wenn auch als ein Zeichen dafür, daß diese allenthalben und laut gepriesene neue Zeit ein gehöriges Maß von Wachsamkeit erforderte. Ja, nicht wenige bedauerten bei sich die Kaiserin, die ja in Wien nicht wissen oder auch nur ahnen konnte, wie hier in Innsbruck ein wohl gelehrter, aber in denj Dingen des Lebens durchaus unerfahrener; Mann durch seinen blinden Übereifer: die Grundlagen jeglicher Ordnung erschüttere. Sie alle verwunderten sich bloß, daß der Gubernator den Redner nicht nur gewähren ließ, sondern jetzt vor aller Augen noch durch ein lebhaftes Kopfnicken ermunterte.

Herr von Wedfthart, begründete cfcnm auch seine Bitte mit erhobener Stimme. Daß er einen Bauern für eine so schwierige Arbeit vorschlage, sei vielleicht für manchen verwunderlich. Die niedrige Herkunft und die Tatsache, daß jener Anich aus Oberperfuß noch immer und b*i aller bewiesenen Gelehrsamkeit Bauer geblieben sei, berge aber auch gewisse Vorteile in sich. Ein Bauer rede sich mit seinen Standesgenossen leichter; ohne eine ernstliche und bereitwillige Mithilfe der bäuerlichen Bevölkerung sei aber ein gute Karte nicht zu schaffen. Reichliche und gern gegebene Auskünfte könnten die Arbeit ebenso erleichtern wie unwillige und gehässige erschweren. Das habe sich auch bei der eben abgeschlossenen Landaufnahme gezeigt. In einer Zeit, die sich nach dem Willen der Kaiserin aber die Bildung des gesamten Volkes, also auch

der Bauern, angelegen sein lasse und in diesem ihram Streben allen anderen Zeiten, auch den Blütezeiten der Alten durchaus über sei, gereiche die Tatsache, daß man einem Bauern ein solches Werk anvertrau, dem Lande und den Herren des Landes zu unvergänglichem Ruhme. Doch selbst wenn man darüber anders denke und wenn dieser Anich kein Bauer, sondern irgendein Handwerker wäre oder auch ein Freiherr, es bliebe keine andere Wahl, denn in ganz Tirol und wohl auch im ganzen Deutschen Reich, selbst in Augsburg oder Nürnberg nicht, wo ja die Kartographie daheim sei, wisse er einen gleich exakten, gleich pflichtbewußten, gleich flinken und genialen Landmesser. Dieses sein Urteil stütze sich auf eine Unzahl eindeutiger und zumeist bereits der Öffentlichkeit zugänglicher Beweise.

(Fortsetzung folgt)

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