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Peter Anich, der STERNSUCHER

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Zusammenfassend sei also zu sagen: Eine gediegen gearbeitete Landkarte sei die Grundlage jeglicher Verwaltung und eines geordneten Aufbaues. Die.se ' Karte zu schaffen, brauche man sich jedodi bloß des Mannes bedienen, den die Vorsehung dem Lande geschenkt habe, wunderbar und selbst allen Zweiflern erkennbar im schlichten Rocke des Bauern. Jnes Mannes, der nun als der seit aller Zeit beste Mechanikus und Geodät genannt werden dürfe, aber auch ein unvergleichlicher Kartograph und Kupferstecher. Zum dritten sei, wenn man diesen Mann vorschlage, auch in Wien kaum ein Hindernis zu befürchten, da genannter Peter Anich ja bereits an allerhöchster Stelle bekannt sei und gerühmt werde. Dieser Mann aber fordere rür die Aufnahme und Ausfertigung der Karte, also für eine Arbeit von zwei bis drei Jahren, pauschalster ganze tausend Gulden. Es sei also kaum irgendwo in der Welt ein besserer, gewiß nirgendwo ein so wohlfeiler Kartograph aufzutreiben. Die Folgerung verstehe sidi von selbst.

Der Mann, dem solches Lob in festlicher Versammlung gesungen ward, saß indes im Armarium an seinem Arbeitsplatz, den man ihm in der Fensterlaibung des großen Instrumentenzimmers eingerichtet hatte. Es war dies just kein ruhiges Plätzchen, doch Peter hatte es um des Fensters wegen allen anderen Angeboten vorgezogen.

Aber als Peter nun draußen den eiligen Schritt des Professors hörte, sprang er auf und lief ihm entgegen. So flink kannte ihn der alte Obermoser gar nicht.

Er sei bloß nach der Versammlung und vor der festlichen Schmauserei' rasch her-übergelaufen, rief Herr von Weinhart noch in der Türe, und seine Augen strahlten eitel Freude, nur um ihm zu vermelden, daß alles in Ordnung sei. Er, Peter, sei doch schließlich die Hauptperson, nicht bei der Schmauserei, doch bei der Arbeit. Mit dem Grafen habe er nachher unter vier Augen geredet. „Sie waren kühn“, habe der Gubernator gesagt, „aber Sie haben auch die Köpfewackler und Achsselschupfer besiegt. Machen Sie die Eingabe, ich unterschreibe alles.“ Es sei auch wahrhaftig ein Ritt übers Eis gewesen. Der von Kastellreuth habe sich lebhaft mokiert: Sie haben ja geredet, als gäbe es keinen berühmteren Mann im Lande Tirol als Ihren Bauern. Darauf er: es gebe auch keinen, aber er lasse sich gerne belehren.

Peter wischte sich den Schweiß aus der Stirn: „Und meinst du, daß ich nächstes Jahr noch anfangen kann?“

„O du heilige Ungeduld“, rief der Professor, „früher hat Er sich zu jeder Arbeit zwingen lassen, jetzt kann es Ihm nicht rasdi genug gehn.“

„Ich hab auch jetzt nichts rnehr auf der Welt als die Karte“, er blickte dem Lehrer ernst in die Augen, „nicht einmal meine Stern hab ich mehr.“

„Ein armer Mann“, der Pater lachte hell und zu dem alten Obermoser hin: „Wirklich und wahrhaftig, ein armer Kerl. Ich hab audi drüben so über ihn gesprochen, daß ihn alle bedauert haben. Wie alt bist du jetzt?“

„Siebenunddreißig Jahr.“

„In drei Jahren ist die Karte fix und fertig, dann bist du vierzig. Das schönste Alter für einen Sterngucker.“

„Ein anderer tat sich, wenn ihm so viel Ehre widerfährt, einmal richtig freuen“ brummte der Alte. .

Der Winter auf Sechzig wir außerordentlich mild, und wenn es einmal richtig schneite und fror, kam sogleich ein warmer Wind, im Sellrain drinnen donnerten die Lawinen schon im Jänner. Die Anichmutter ertrug das Wetter schlecht. Sie hatte wiederum beide Beine offen, aber sie war noch immer weit und breit die gesündeste im Dorf, denn in manchen Straßen lag jung und alt an einem tückischen Fieber darnieder. Es starben wohl wenig Leute daran, aber die meisten siechten den ganzen Winter hin und kamen auch im Frühjahr nur langsam wieder zu Kräften.

Peter indes blieb diesmal verschont. Es verwunderte ihn selbst, daß er frisch herumlaufen und in den Nachbarhöfen aushelfen konnte. Beim Erhardt lagen sie alle, der Bauer, die alte Mutter und Lucia, die Bäuerin, die noch dazu das zweite Kind erwartete. -Das erste ein Dirndl, das' nun übers Jahr alt war, hatten sie tagweis im Anichhof herüben., Seit dem Lichtmeßtag war aber auch eine Magd im Anidihause. Der Erhardt hatte sie, ohne weiter zu fragen, in ötz aufgenommen. Es hatte auch niemand weiter ein Wort über eine solche Fügung verloren. Es war ein junges stilles Wesen und hieß Philomena. Man merkte sie kaum, so sicher und still ging sie im Hause um. Nur die Leni merkte es. Denn sie konnte nun öfters verschnaufen und auch im Sommer ab und zu mit Peter ein paar Worte über seine Arbeiten wechseln, und sie tat es gern. Wie in den Tagen ihrer Kindheit war es dann, als sie sich noch über die Meßrahmen den Kopf zerbrochen Jiatten und ob den Leuten auf der anderen Seite der Erdkugel nicht das Blut in den Kopf stieg.

Im Winter war der Kramerschwager auch häufig herüben. Er betrieb jetzt seine Wirtschaft mit Kenntnis und Fleiß, auch mit einigem Glück. Der unter dem verstorbenen Besitzer kaum mehr einträgliche Hof warf nicht nur das Nötige zum Leben, sondern auch ein schönes Stück Bargeld ab, so daß Kramer schon im ersten Jahr einige Äcker austauschen und eine neue Scheuer aufrichten konnte. Er selbst war dabei stiller geworden, auch nach neuen Plänen war er nicht mehr aus. Nur die Ohrlein schnitzelte er weiterhin und in jenem Jahr auch einen kleinen Himmelsglobus dazu, der ungefähr' in der Größe den nürnbergischen glich. Peter versah ihn mit den nötigen Sternen und Sternbildern.

Peter lehrte in jenem Winter den jungen Blasius die Rechenkunst und die Meßkunst Der Bub war nun ernsthaft hinter den Büchern her. Er las sie bald auch ohne Beschwernis und hatte sich eine flüssige Schrift angeeignet. Dabei blieb er ein außerordentlich flinker und sicherer Kopfrechner. Ganze Abende lang und bis in die Nacht saßen die beiden über ihren Schreibheften, und gegen das neue Frühjahr hin hatten sie bereits das Rechnen bis zur Kubikwurzel und die widi-tigeren Lehrsätze der Geometrie hinter sich gebracht. Der Hueberische hatte sich auch als Gehilfe für die Landvermessung angetragen Dodi seine Brüder verbaten es ihm, ja sie untersagten und behinderten auch seine Lernstunden vor der eigentlichen Frühjahrsarbeit.

Peter redete auch weder dorn Blasius noch seinen Brüdern zu. Es sei genug, daß einet der Bauern verlorengehe, sagte er, und es müsse. jeder schon nadi seinem Gewissen sich entscheiden.

Die Eingabe nach Wien war noch nicht niedergeschrieben. Ob Herr von Weinhart durch seine allzu offene Rede irgendwelche “'i '---tände aufgerufen hatte, solche, ie auch der Gubernator nicht einfach beiseiteschieben konnte, oder ob dem Grafen selbst vielleicht Zweifel aufgestiegen waren, ob ihn bloß wichtigere Geschäfte behinderten, der Professor schwieg sich darüber aus. Dafür hieß es gegen Ende Februar, der Gubernator werde bei Eintritt besseren Wetters selbei nach Wien reisen und mit vielen anderen Dingen auch die Eingabe bei Hofe über-reidien und betreiben, ja...er -sei - fest entschlossen, die Entscheidung in Wien abzuwarten. Es zeigte sich aber auch, daß Herr von Weinhart die Eingabe bereits in allen wesentlichen Teilen fertiggestellt hatte. Bloß die genauen Bedingungen waren noch einzusetzen.

Peter bÜeb bei seiner Forderung von tausend Gulden. Mehr könne er doch nidit leicht verlangen, sagte er, ja er werde mit diesem Betrag nicht nur gut durdikommen, sondern auch noch etwas erübrigen. In den hinteren Tälern bezahle man für das Pfund geselchten Speck, das man in Innsbruck mit 14 Kreuzern berechne, höchstens 8 Kreuzer and etliche Pfennige, und schon im Oberperfer Wirtshaus könne man um 5 Kreuzer behaglich schmausen, der Wirt in Völs rechne für das gleiche Essen schon 6, die Oberinntaler Wirte aber auch nur 4 und 3 Kreuzer. Ein Maß vertrage er auch an den heißesten Tagen um ganze 3 Kreuzer und 2 Pfennige schaue dabei schon noch heraus, und mehr als eine 3Uaß vertrage er auch an den heißesen Tagen nicht. Hingegen könne er diese 1000 Gulden pauschaliter nur als einen angemessenen Lohn ansehen, falls ihm bei der Vermessungsarbeit keine weiteren Schwierigkeiten entgegenstünden. Man müsse ihm nv'ndestens in jedem Ort einen kundigen Gefährten und Führer kostenlos beistellen, der die gebahnten Wege kenne und im Hochgebirge auch um das übliche Wetter Bescheid wisse, einen Jäger oder Schafhirten oder einen Sennen, der in den Bergen viel herumgestiegen sei und dabei über einen hellen Kopf verfüge. Zum anderen fordere er ein genaues Verzeichnis allei Ortsnamen, ein vollständiges Verzeichnis, und mit der bei den hohen Amtsstellen gebräuchlichen Schreibart. Da schreibe der Richter in seinen Akten einen Ort anders als der Gutsherr oder die Bauern in ihren Kalendern und Kaufbriefen, und wenn man eine Schreibart für die Karte wähle, komme dann sichei gleich ein Ganzgescheiter und schelte die ganze Arbeit eine arge Pfuscherei. Er habt da schon in der Bozener Gegend seine Erfahrungen gesammelt, im Gebirg sei es noch ärger. Nicht einmal für seinen Heimatort wisse er die rechte Schreibart. In alten Kaufbriefen habe er Oberpervens gefunden, aber auch Oberperfeß, in der Dorfordnung stehe ein gedoppeltes f, der Kurat bevorzuge Ober-perfas, das Gericht Perfues.

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