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Digital In Arbeit

Pfeif auf die Loyalität!

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Die Wall Street ist der Vorreiter. Irgendwie scheint sich das „Wirtschaftsklima" geändert zu haben. Irgendwie ist das Berufsleben unsicherer und härter geworden. Irgendwie macht sich die Terminologie von business und effwiency breit.

Osterreich könnte nachziehen. In früheren Zeiten wurde es als Zeichen einer Krise angesehen, wenn Konzerne ankündigten, daß sie eine größere Zahl von Arbeitskräften „freisetzen" müßten. Das galt als eine Notmaßnahme, und die Anleger reagierten besorgt. Jetzt ist dies anders. Ein Unternehmen, das Entlassungen ankündigt, kann mit sofortigen Rursgewinnen rechnen. Entlassungen gelten als Beweis von Tatkraft, Sanierungsbemühen, als Entschlossenheit, auch harten nahmen zu grifrtplija die Gewinne zu steigern. Arfl Tag- als die Kjuk hauskette Sears 50.009 HntlassurrgW ankündigte, stiegen die Aktien des Unternehmens um vier Prozent. Als Xerox verkündete, es werde 10.000 Mitarbeiter entlassen, machten die Kurse einen Sprung um sieben Prozent. Konzerne beginnen, den „Entlassungsfaktor" gezielt einzusetzen: Wer rasch einen Kursanstieg braucht, verkündet den radikalen Abbau von Arbeitskräften.

Diese Veränderungen kommen nicht zufällig. Der Wettbewerb wird in der globalisierten Wirtschaft härter. Die Unternehmen stehen unter Kostendruck, und sie suchen nach Auswegen, in Amerika wie in Europa. Sie haben in den vergangenen 15 Jahren Verschiedenes versucht.

Zunächst haben sie sich in die Spekulation geflüchtet. Neue „Produkte" wurden auf den Finanzmärkten angeboten, zunächst zur Bisikominde-rung; aber bald entdeckte man ihren spekulativen Wert. Es suchten ja auch immer mehr Kapitalmassen nach den günstigsten Anlagen: nicht mehr nur Ölgelder, sondern auch die Kapitalien der Pensions- und Versicherungsfonds. In die Managementetagen sind statt der früheren Techniker die Finanzierungsspezialisten vorgedrungen, und sie haben dort das gemacht, was sie gelernt zu haben glaubten. Sie paßten sich der „Casinogesellschaft" bereitwillig an. Legalität und Illegalität begann sich immer mehr zu vermischen. Etliche wurden reich. Etliche wanderten ins Gefängnis. Effizient und zukunftsträchtig war das nicht.

Zweitens begannen die Unternehmen, beinahe in Panik, mit Ubernahmen und Zusammenschlüssen: forced mergers, acquisitions, hostile take-overs. Auch das war nicht allzu erfolgreich. Empirische Studien haben ergeben, daß im Normalfall die verschmolzenen Unternehmen nicht -wie erwartet - profitabler waren als vorher. „Managementmoden" pflegen die kühle Überlegung allemal zu überwältigen. Einmal glaubt man an die großen Konzerne und schließt zusammen, um eine „internationale Größenordnung" zu gewährleisten; wenige Jahre später werden die großen Saurier als unbeweglich und inflexibel gescholten, und man zerlegt in kleine, dezentrale, wendige Einheiten. Derzeit ist beides gefragt: ganz große Einheiten, aber intern mit dezentralisierten, wenn auch scharf kontrollierten Subcinheiten. Ansonsten hat sich die Sprachregelung für zukunftsträchtige Projekte irgendwo zwischen networks und Clusters angesiedelt. Einmalso, einmal anders. Jedesmal kann man auf eine „effiziente" Organisations-retiRilgMblz sein., ff)| JNMMIL,,-Pj&gris haben sicldijLUji|urneh-men ffrm lean mandgcFncni'ergehen. Plötzlich hat sich das Gefühl verbreitet, alle Betriebe seien vom fat and /azy-Syndrom erfaßt. Man müsse abspecken. Das war nicht ganz falsch. Aber man kann des Guten zu viel tun. Ein Unternehmen, das über keine „Beserven" mehr verfügt, ist nicht widerstandsfähig gegen Krisen. Unternehmen brauchen „Überflüssiges": Puffer, Redundanzen, Spielräume, Widersprüche, sogar manche Doppelgleisigkeiten.

Es gibt eine Überanpassung an aktuelle Situationen, und sie gefährdet die Anpassungsfähigkeit für neue Situationen. Denn es ist nicht immer klar, was wirklich - langfristig gesehen - überflüssig ist. In manchen Situationen müssen zusätzliche personelle und materielle Ressourcen kurzfristig mobilisierbar sein. Kurzfristigkeit begräbt Zukunftschancen. Je rasanter man mit einem Vehikel unterwegs ist, umso gefährlicher ist Kurzsichtigkeit. Wenn der aktuelle Börsenkurs das Denken beherrscht, kann man nicht „vorausdenken". Ohne Vorausdenken ist man auf Dauer ineffizient.

Viertens ging die Flucht der Unternehmen in die Brutalität. Wenn alle anderen Kostensenkungsmethoden ausgeschöpft sind, bleiben auch die Bechte der Arbeitnehmer nicht ungeschoren. Auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt haben sich die Jobs bereits deutlich polarisiert, in gute, qualifizierte und aufstiegsträchtige auf der einen Seite, in schlecht bezahlte Hilfsjobs ohne irgendwelche Aussichten auf der anderen Seite. Die Einkommensverteilung hat sich auseinanderentwickelt, die Mittelschicht hat schon seit Jahrzehnten Einkommensverluste hinzunehmen.

Jetzt kommt die Downsizing-Ys'eile dazu; die Unternehmen entlassen zahlreiche Arbeitskräfte, schließen mit den verbliebenen neue Verträge zu schlechteren Bedingungen, sie streichen Versicherungen und sonstige Begünstigungen. In den schlechten Jobs bekommt man so wenig bezahlt, daß man unter die Armutsgrenze rutscht. Immer mehr Menschen suchen sich deshalb Zweit- und Dritt-Jobs. Moonlightingnennt man das. Alles das sind noch Berichte aus einem fernen I .and. Aber Europa wird nachziehen.

Der Management-Guru Peter Drucker hat gesagt: Das letzte Jahrzehnt war eine Dekade der Gier. Die Unternehmen wurden auf reine Pro-fitmaximierung verpflichtet. Nun ist gegen Profitmaximierung - oder gegen die Pflege des shareholdervalue -im Grunde nichts einzuwenden. In einer Marktwirtschaft soll das Kapital zu seiner effizientesten Verwendung hin fließen, und es ist ein sinnvolles Grundprinzip, ein Unternehmen möglichst wertvoll zu machen. Aber k u rzfristigWrtfitnaax im h Tun g k an n für manchftlInterrfehmen auch eine selbstfnoraerischiStrategie sein.

Der neue Trend zur Kurzfristigkeit kommt nicht von ungefähr. Direktoren werden kurzfristig denken, wenn sie sich aufgrund exzellenter betrieblicher Kontrollsysteme jedes Vierteljahr über den Gewinn ihrer Abteilung oder ihres Projekts rechtfertigen müssen. Für Manager ist es vernünftig, kurzfristig zu denken, wenn sie in ihrer Karriere „springen", in fünf Jahren also längst bei einem anderen Unternehmen tätig sind. Vorstände müssen kurzfristig denken, wenn für den Hauptaktionär (etwa einen institutionellen Anleger) nur der Jahresertrag zählt.

Viele Unternehmen leben deshalb von der Substanz, gerade wenn sie glauben, einen Sprung zur Effizienz getan zu haben; vor allem auch von der Substanz ihrer Arbeitskräfte. Sie glauben, auf deren Loyalität pfeifen zu können. Sie glauben, mit der Angst durchzukommen. Sie nehmen auch politische Stabilität als Selbstverständlichkeit.

Die Annahme könnte falsch sein. Bemühungen um Effizienz können in der Ineffizienz landen.

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