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Philosophisches zwischen Indien und Israel

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Warum sollte ein israelischer Autor nicht über Indien schreiben? Auch Österreicher suchen vor indischen Kulissen nach ihrem Selbst, und Israel liegt doch immerhin ein Stück näher auf dem Weg nach Indien, zumindest geographisch, und spätestens und zuletzt durch Salman Rushdie wissen wir, daß es auch in Indien eine jüdische Gemeinde gibt. Doch darum geht es dem 1936 geborenen meistgelesenen israelischen Autor, Abraham R. Jehoschua, in seinem neuen Roman nicht. Juden und Judentum spielen so gut wie keine Rolle.

Dies stimmt freilich nicht ganz, denn die Personen sind Juden, geheiratet wird mit einem Rabbiner und der Vater der Hauptperson legt sogar den Gebetsschal um. Wir haben es mit einer säkularisierten Gesellschaft, aber mit einem zutiefst religiösen Ruch zu tun. Die Personen stehen mit Selbstverständlichkeit und Selbstgewißheit im Leben, ohne eine Spur jener europäischen Wurzeln im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts erkennen zu lassen, denen Israel seine Existenz verdankt. Keine Erinnerung an die Schoah, blanke Gegenwart, ein europäischer Roman, dessen Personen zufällig in Jerusalem und Tel Aviv wohnen.

Geben wir der Verwunderung etwas Raum und lassen wir uns auf die Geschichte ein. Rei einer Operation im Krankenhaus von Tel Aviv entscheidet sich das Schicksal des jungen Assistenzarztes Renji Rubin, denn daß sein Kollege den Schnitt vernähen darf, macht ihm einmal mehr klar, daß der andere den freien Posten im Krankenhaus bekommt. Renji ist zu anderem bestimmt, er wird uns als „idealer Mann” vorgestellt, der nach Indien fahren soll, um die dort erkrankte Tochter des Krankenhausverwalters Lazar abzuholen.

Die Reharrlichkeit und zugleich Überstürztheit, mit der Lazar die Reise plant, läßt viel eher an eine Expedition ans Ende der Welt glauben und gibt der Ahnung Nahrung, daß es hier um mehr geht als bloß um die Rück-holung einer mit Hepatitis in der heiligen Stadt Gaya daniederliegenden Patientin. Entgegen den Vermutungen Renjis kommt auch Frau Lazar mit: Dori, eine Frau Mitte Fünfzig, mit einem runden Rauch, dünnen Reinen, einem gewinnenden Lächeln und dem persönlichen Problem, daß sie einfach nicht allein bleiben kann. Das innige, vertraute Verhältnis zu ihrem Mann bringt Renji in Verlegenheit, der öffentlich gezeigte Zuneigung von seinen Eltern nicht gewohnt ist. Distanziert und kühl läßt uns Jehoschua an dieser Reise und der Rückkehr teilnehmen, die auch eine Suche nach dem Mysterium,, der wahren Liebe, ist. Gerade durch die nüchterne Erzählweise werden die Vorahnungen und Vorbedeutungen zu realen Wegweisern, die das weitere Schicksal bestimmen. Renji Rubin wird magisch angezogen von den indischen Flüssen und ist beeindruckt von der Leichtigkeit, mit der die Inder den Tod als Teil ihres Lebens akzeptieren.

Jehoschua schafft es, die Möglichkeit der Seelenwanderung als ebenso real erscheinen zu lassen wie die detailliert geschilderten Operationen. In vergangenen Jahrhunderten war die Suche nach der Seele auch in geöffneten Leibern erfolglos geblieben. Die Zeiten haben sich geändert, der Rrustkorb Lazars wird für die notwendige Rypass-Ope-ration mit einer elektrischen Säge geöffnet, um einen routinemäßigen Eingriff vorzunehmen. Von der Seele keine Spur, dennoch findet sie nach dem für alle rätselhaften Tod Lazars Aufnahme bei Rubin. Revor es so weit ist, ist jedoch die Liebe zwischen Rubin und Dori Lazar getreten, beiläufig und unaufhaltsam, sodaß den Reteiligten keine andere Möglichkeit bleibt.

Die Personen und die Handlung, die schnelle Heirat Rubins mit Michaela, die ebenfalls mit Indien infiziert ist und die ihm nur das Alibi liefert, um weiter auf der Suche nach der Liebe bei Dori zu sein, der Aufenthalt in England, die Geburt der Tochter, die Reise seiner Frau mit dem Kleinkind nach Indien, das sind bloß Möglichkeiten, um das Mysterium zu umstellen, Vorwand für die philosophische Kulisse, nicht überfrachtet, aber den letzten Dingen auf der Spur, der Seele, der Entstehung des Alls.

„Die Rückkehr aus Indien” ist das, was die Leserin und der Leser erleben. Es ist keineswegs eine abgeschmackte Geschichte über einen Ehebruch. Dies ist eine große Leistung des Autors, der die Spannung bis zum Schluß ins Unerträgliche steigert, obwohl es nichts aufzuklären gibt und keine Lösungen und Erklärungen zu erwarten sind. Immer bleiben mehr Rätsel als Lösungen, wenn jemand dem Mysterium auf der Spur ist. Im Klappentext wurde dafür die passende rationale Abgrenzung gefunden: Ein psychologischer Roman über Leidenschaft und Ehe, über Liebe und Seelenverwandtschaft, Tod und Vergänglichkeit und über das Ineinandergreifen westlicher und östliche Philosophien. Das alles ist richtig, das Ruch aber ist doch um vieles mehr.

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