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Physik und Metaphysik des Theaters

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Die Bürg hat es gewagt, Hofmanns- thals Trauerspiel „DerTurm”zur Uraufführung zu bringen; ein lobenswertes Unternehmen, wenngleich Zeit und Form nicht ganz glücklich gewählt erscheinen. Dem „Turm” liegt die alte, uns von Calderon und Grillparzer vertraute „Traum-ein- Leben-Fabel” zugrunde. In einem mythischmittelalterlichen Polen hält König Basilius, geängstigt durch Prophezeiungen, verwirrt durch böse Ratgeber und die noch bösere Stimme seines verderbten Herzens, seinen einzigen Sohn Sigismund seit seiner Geburt gefangen — in einem finsteren Verließ, fern der Welt, dem Licht der Sonne, dem lichten Umgang mit Menschen … Der gefangene, höchst reizbare junge Mensch lebt sein Leben als Traum: Traum des Unbewußten, Ver- quälten, Unerlösten. Als hohe Not das Reich des alten Königs überkommt, wagt dieser die Tat, die er im tiefsten ersehnt und zugleich fürchtet: die Rückberufung des Thronfolgers an den Hof, in diese Welt der Gier, des unersättlichen Ehrgeizes, der Intrigen, des Machthungers und aller entfesselten Leidenschaften. Als Sigismund in seinem Vater nicht das Antlitz des gesalbten heiligen Königs, sondern nur das ränkesüchtige, lügengezrichniete, listen- und gewalttätige Gesicht eines Spielers schaut, bricht er innerlich zusammen und stürzt sich dann verzweifelt gegen ihn! Der scheinbar Wahnwitzige wird überwältigt. Im alten Turm soll er den Traum von Krone und Reich vergessen… Schon aber lodern die Feuerzeichen des Aufruhrs über das Land; Basilius geht unter. Sigismund wird „befreit”, an die Spitze eines Heeres gestellt — er soll dem völlig zerrütteten Staat Ordnung und Recht, dem Volk Frieden und Freiheit, der gesamten Natur des Landes innere Genesung bringen.

Hier setzt nun Hofmannsthal ein. Sein „Turm” ist ein österreichisches Vermächtnis. Vergleichbar nur der „Libussa”! Ein Bekenntniswerk, gereift im Untergang der Monarchie, aus der Besinnung eines großen Einsamen über die Ursachen von Auf- und Niedergang der Völker und Reiche. Das Erlebnis der großen Revolutionen unserer Epoche und die Reflexion eines nüchternreinen, keusch-männlichen Geistes über Macht und Ohnmacht sowohl der „konservativen” wie auch der „revolutionären” Kräfte ringen hier um Verdichtung des qualvoll Erlebten, in vielen Mühen geistig Bewältigten, zu poetischem Sinnbild und Gleichnis. Hofmannsthal hat es seinen Lesern nicht leicht gemacht — weil er es sich selbst nicht leichter machen konnte, durfte! In immer neuen Fassungen werden Szene um Szene, Gestalt um Gestalt neu geschmolzen, neu gewonnen, neu vergoren .. Versuchen wir das Endergebnis dieses Ringens um die letzten Fragen menschlicher Gemeinschaf- tung, wie es in den letzten drei Lebensjahren des Dichters vorliegt, in einigen Leitsätzen zusammenzufassen. Wenn rin Staat, eine Gesellschaftsordnung, eine Welt dermaßen krank sind wie das „Polen” des Königs Basilius, wie das Europa der Weltkriegsära, dann vermögen zunächst weder die Mächte der „alten” noch auch der „neuen” Ordnung wirklich den entscheidenden Wandel zum Besseren zu setzen! Die Barone und Feudal1 herren, die Ritter und Hofschranzen, die großen und kleine Herren — sie haben im Grunde aus aller Not der Zeit nichts gelernt; sie spielen das alte Spiel um Macht und Gut, Geld und Geltung weiter. Unter der Devise „Für Volk und Staat”, „Gott und König”, „Freiheit und Glauben” treten sie entschlossen zum Kampf an zur Verteidigung ihrer eigensüchtigen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Positionen. Von dieser Seite ist, das ist deutlich genug einzusehen, kein Heil zu erwarten. Steht es aber besser mit den „Neuen”, den Neuerern? Hier spricht nun Hofmannsthal ein entschiedenes Nein: in Mord und Brand, Blut und Gewalttat, Bürgerkrieg und Intrige wird das Anliegen der Revolution tödlich kompromittiert und diskriminiert: die Revolution vermag sich nicht aus eigener Kraft zur Reformation e jn por zuläutern, zur wahrhaftigen tief ineren Wandlung des Landes, der Kreaturen, der Menschen. Die Revolution an sich vermag nichts wahrhaft Neues zu schaffen und dergestalt Genesung, Heilung dem siechen Volkskörper zu mittein — weil ihre laute, hämmernde und lärmende Gewalttat fremd und feind dem Wesen des Schöpferischen, dem Geheimnis der Geburtwidersteht!

Hofmannsthal ruft nun, und dies ist sein letztes Anliegen, sein Testament an Österreich und diese ganze in argen Wehen sinkende Welt — uralte, ehrwürdige Bilder aus der Geistes- und Seelengeschichte des Abendlandes als Zeugen seines Bezeugungswillens auf: nicht der König Basilius, nicht der Condottiere Oliver mit seinen tartarischen und lettischen Aufrührern, nicht die Bettlerproleten des „Volkes” und auch nicht der doch gutwillige Prinz Sigismund selbst sind berufen, Volk und Staat, Land und Stand wurzelhaft zu erneuern; obwohl sie alle gerufen sind zur Mitarbeit am großen Werk der inneren Erneuerung, der Wiedergeburt! — Der Kinderkönig, eine mystische Gestalt, in der sich jahrhundert- lange volkhafte Wunschträume und Visionen vom „Dritten Friedrich”, vom „Engelspapst”, vom Kreuzzugsendkaiser wundersam mischen mit Legenden und Märchen — er wird, an der Spitze einer Schar Kinder, die gesammelt sind aus allen Waisen und Flüchtlingen dieser Welt, das Antlitz der Erde erneuern… Er küßt den sterbenden Prinzen, denletztenlegitimenTräger gültiger irdisch-politischer Macht, auf die Stirne: und übernimmt von ihm das Reich und die Macht und die Herrlichkeit. Es ist das Reich des Lammes… Ein durchaus endzeitlicher Zustand irdischhimmlischer Glückseligkeit. Soweit Hof- mannsthal, soweit seine Bücher.

Leopold Lindtberg hat nun das Wagnis unternommen, diese Vision für die Bühne „einzurichten”. Im einzelnen glückte hiebei manches; als Ganzes ist der Versuch gescheitert. D|e schönsten Stellen des Werkes sind für die Bühne ungeeignet, zu schwer befrachtet mit Geist und Seele und oft wieder zu zart, um der Belastung durch die Maschinerie standhalten zu können. Zudem: das große Barock, dieser Herr mächtiger Geister, wird hier teilweise depraviert zum Kleinbarock der Grottenbahn: der Geist des Ronachers drängt sich in der Gespensterszene Unangenehm aufdringlich vor… Weniger wäre mehr gewesen. Rudolf Förster als Gast: ein diffiziler alter König. Skoda als Sigismund: vielleicht die bisher beste Leistung dieses begabten Schauspielers.

Die ganze innere und äußere Schwierigkeit dieses metaphysisch so schwer belasteten Theaterwesens wird uns am Abend nach der Premiere des „Turm” in blendender Helligkeit sichtbar: am selben Ort spielt Louis Jouvet, der französische Reinhardt, mit seiner Truppe vom Athenfe Paris Molibres „L’E c o 1 e des fem- m e s”. Jouvet gehört mit Jacques Copeau, dessen Mitarbeiter am berühmten Pariser Experimenttheater Le Vieux Colombier er vor dreißig Jahren war, zu den großen Erneuerern der französischen Bühne. Jouvet hat mit seinem Moliere beide Hemisphären bereist und überall denselben Erfolg heimge- bradit. Geheimnis seines Ensembles, seiner Kunst: hier wird klassische französische Komödie in einer klassischen Durchlichtung des Komödiantischen gespielt, die unübertrefflich ist. Theater — um des Theaters willen. Und eben deshalb ganz um des Publikums willen! Der Zauber einer Spieldose, in der jedes Rädchen tausend andere in Bewegung setzt, und eben, durch das lückenlos-glückliche Ineinandergreifen aller Teile Ton, Harmonie, glückhaftes reines Spiel entsteht! Denn hier ist alles Berechnung und eben dadurch alles — Zauber. Der Zauber einer sehr kindlichen und sehr überkindlichen, überfeinerten Welt! — Die Dekoration und die Lichter: über einer preziös genialen, raffiniert „einfach” stilisierten Architekturlandschaft in gewähltesten Blau-rosa-gelben- Tönen, mit einem Himmel, der der Iris einer verwöhnten Dame gleicht, hängen vier Leuchter, modernst stilisiert, mit brennenden Kerzen… Sie sind ebenso wichtig wie das Kostüm, das Dominique Blanchar als Agnes trägt, wie der rundrunde Buckel des Notargehilfen, wie das Lachen des Dienerpaares Alain und Georgette, wie jede Geste und Gebärde, jeder Schritt und jede Bewegung Arnolphes, des tragikomischen Helden, den Jouvet selbst spielt. — Gezirkelt, gemessen, auf Wirkung zugeschnitten: eine Typik, welche die Künste der Moderne — psychologische Verfeinerung, Anzeigung der Oberund Untertöne des Seelischen und Körperlichen —restlos in den Dienst des Komödiantischen an sich stellt! Arnolphe ist einfach der düpierte Hahnrei — noch bevor er Ehemann werden konnte, Agnes ist das unschuldig-schuldige Mädchen, Horace der lidite Prinz, der Junge aus den Träumen … Das i s t Theater: als nahtlose Auflösung des in der grauen Wirklichkeit so komplexreichen, komplizierten menschlichen Lebens in einige helle, überbelichtete, klassisch einfache reine Formen und Formeln: der Schau, des Wortes, akzentuiertester Bewegungen. — Jouvets Moliere: der Tanz einiger Masken, einiger Symbole ewig menschlicher Haltungen. Kristallinisches Spiel, das keine Schatten wirft — und erheitert, weil hier jede Schwere überwunden erscheint — eben: im Spiel, im reinen Spiel.

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