Physiker, Politiker - und Mörder

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"Physik und Revolution" porträtiert Friedrich Adler und relativiert dessen Mord. von andreas feiertag

Ich habe den Eindruck, dass Du zuviel arbeitest; das ist unösterreichisch, tue es nicht", schreibt Victor Adler an seinen Sohn Friedrich, der die Spanne seines Schaffens über die Wissenschaft und die Politik auszubreiten versucht. Friedrich Adler sollte diese Zerreißprobe nicht überstehen: Als Physiker scheitert er, als Politiker geht er 1916 als Mörder in die Geschichte ein. Was bleibt, ist ein Attentat, dessen Ahndung in der österreichischen Historie einzigartig ist und die Frage hinterlässt, ob Gewalt als politisches Mittel zu rechtfertigen ist.

Doppeltes Vakuum

Das im Löcker-Verlag von Michaela Maier und Wolfgang Maderthaner herausgegebene Werk Physik und Revolution jedenfalls relativiert Friedrich Adlers Mord am damaligen Ministerpräsidenten Graf Stürgkh - sehr stark sogar. Dennoch stellt das Buch die Gewalttat in einen spannenden Zusammenhang mit den existenziellen Veränderungen, denen die damalige Welt scheinbar machtlos ausgesetzt war - sowohl in geistiger als auch in sozialer Hinsicht. Im Kontext und anhand zahlreicher zeitgenössischer Briefe bietet es einen einmaligen kulturhistorischen Einblick in den Kampf sowohl gegen den Ersten Weltkrieg als auch gegen die Formulierung radikal neuer Erkenntniswelten: der empiristischen Welt des Ernst Mach und der relativistischen des Albert Einstein. Und mitten drin steht Friedrich, Sohn des sozialdemokratischen Parteigründers Victor Adler.

Als theoretischer Physiker kann Friedrich Adler an der Universität Zürich nicht reüssieren. Und so widmet er sich immer mehr der Politik, kehrt 1911 als Parteisekretär der Sozialdemokraten nach Wien zurück. Ganz zum Missfallen seines Vaters. Der im Buch abgedruckte Schriftwechsel offenbart die Divergenz der beiden Adler: Victor, der Bedachte; Friedrich, der Revolutionär, Prototyp des Austromarxisten.

Im Ersten Weltkrieg wähnt sich Adler jun. in einem doppelten Vakuum: Dem wissenschaftstheoretischen Weltbild seines angebeteten Ernst Mach verlustig geht die Menschheit, deren Würde und Existenzgrundlage nun auch noch der Krieg entzieht. Und nicht einmal die Partei seines Vaters tut was dagegen. Also tut er: Friedrich Adler erschießt am 21. Oktober 1916 im Wiener Hotel Meissl und Schaden die Symbolfigur des habsburgischen Kriegsabsolutismus: Ministerpräsident Graf Strürgkh.

Vater Victor will seinem Buben das Leben retten, versucht das Gericht von Friedrichs Unzurechnungsfähigkeit zu überzeugen. Doch der Bub will nicht in die Psychiatrie. Er will seinen Prozess, will den Mord als politische Notwendigkeit darstellen. So beginnt er in Haft, um seine Zurechnungsfähigkeit zu demonstrieren, die wissenschaftliche Arbeit wieder aufzunehmen. Und versucht Einsteins Relativitätstheorie zu relativieren.

Es kommt tatsächlich zum Prozess. Friedrich Adler wird für schuldig erklärt und zum Tod verurteilt. Kurz später wird das Todesurteil in eine 18-jährige Haftstrafe abgeändert, ein gutes Jahr später, am 1. November 1918 wird Adler begnadigt, freigelassen.

Ein Mörder als Held?

Das Buch stellt die Erschießung als historischen Wendepunkt dar. Für die bis dahin perspektivenlosen Massen wird Friedrich Adler zur Identifikationsfigur, zum Helden, der ihren Leiden ein Ende bereitete: der Absolutismus war gebrochen, die Zensur wurde gelindert, das Versammlungsverbot aufgehoben und die Hoffnung auf Wiedereinberufung des Parlaments entfacht.

Der Mörder wird Ikone der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung, Symbol des Befreiungskampfes. Und das Attentat wird vom Bekenntnis zur Gewalt zur Metapher für ein besseres Leben. "Von einem ethisch-moralischen Standpunkt aus", urteilen die Herausgeber des Buches, "lässt sich die Frage nach einer möglichen Berechtigung dieser Tat nicht beantworten."

Wozu, drängt sich dem Leser da die Gegenfrage auf, braucht es dann überhaupt eine Ethik oder Moral?

PHYSIK UND REVOLUTION

Friedrich Adler - Albert Einstein

Briefe - Dokumente - Stellungnahmen Hg. v. Michaela Maier und Wolfgang Maderthaner

Löcker-Verlag, Wien 2006

207 Seiten, kart., Euro 19,80

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