Er bezeichnet sich als skeptisch gegenüber "künstlerischer Planwirtschaft“ und sieht es als "Bürde“ im guten Sinn in Wien Festwochen zu machen: Allrounder Markus Hinterhäuser.
Markus Hinterhäuser, designierter Intendant der Wiener Festwochen, über seine neue Schauspielchefin, künstlerische Planwirtschaft, seine erste Übersetzung, zeitgenössische Musik und den musikalischen Revolutionär John Cage.
DIE FURCHE: Markus Hinterhäuser, erstmals seit Jahrzehnten waren Sie nicht in Salzburg beschäftigt, sondern hatten einen freien Sommer. Was war das für ein Gefühl?
Markus Hinterhäuser: Es war tatsächlich das Gefühl eines freien Sommers. Ich habe das eine oder andere gesehen, mich aber bewusst zurückgenommen und viele Menschen in einer sehr viel zwangloseren Atmosphäre getroffen, als es mir aus einer Funktion oder Institution heraus möglich gewesen wäre.
DIE FURCHE: Sie stehen längst in den Vorbereitungen für Ihre Wiener Festwochen-Intendanz, die 2014 beginnt. Mit welchem Konzept gehen Sie in diese Herausforderung?
Hinterhäuser: Ich habe noch etwas Zeit und möchte mir sie auch nehmen. Konzepte kann man nicht am Reißbrett erstellen. Sie haben etwas mit einem inneren Leben, einer inneren Dynamik zu tun. Wichtig finde ich eine stärkere Identifikation der Wiener Festwochen mit den Bewohnern der Stadt. Das immer im Bewusstsein, dass diese Festwochen in einem Umfeld stattfinden, in dem an 365 Tagen unendlich viel passiert. Da muss man sich schon sehr präzise Gedanken machen und sehr aufrichtig zu sich selber sein, was die Möglichkeiten betrifft, die man dort hat. Es ist - in einem durchaus guten Sinn - eine Bürde, so etwas in einer Stadt wie Wien zu machen. Hier eine Definition zu finden, das will ich gerne schaffen, aber das braucht ein bisschen Zeit, das kann man auch nicht ungeduldig angehen. Ich bin sehr skeptisch gegenüber einer künstlerischen Planwirtschaft, das liegt mir auch nicht. Das ist etwas, was sich ergibt in der Begegnung mit vielen Künstlern, mit vielen Menschen, die man für die Wiener Festwochen interessieren möchte und sollte - da entstehen Dinge.
DIE FURCHE: Ursprünglich sollte Shermin Langhoff bei den Wiener Festwochen mit Ihnen zusammenarbeiten. Sie hat sich für die Leitung des Berliner Maxim Gorki Theaters entschieden, Ihre neue Schauspielchefin wird die bisherige Leiterin des Berliner Festivals "spielzeit’europa“, Frie Leysen. Ihre Erwartungen?
Hinterhäuser: Dieses Festspiel macht sie einmal, es dauert bis Ende Oktober und findet im Haus der Berliner Festspiele statt. Vor allem hat sie jahrelang exemplarisch das Kunstenfestivaldesarts in Brüssel gemacht, ein Metropolenfestival ähnlich den Wiener Festwochen. Sie hat ein grandioses "Theater der Welt“ kuratiert, das Kunst- und Kulturzentrum deSingel in Antwerpen mitinitiiert und für viele Jahre sehr geprägt und ein außerordentlich interessantes Festival in acht arabischen Städten gemacht. Frie Leysen hat eine fantastische Vernetzung und besitzt eine große Erfahrung als Theater-Ermöglicherin. Ich bin überzeugt, dass sie eine große Bereicherung für Wien sein wird.
DIE FURCHE: Erstaunlich, wie wenig von Ihren Wiener Plänen bisher durchgesickert ist, außer dass Sie auch Musiktheater planen. Wo wollen Sie das realisieren, wie sehr werden Musikverein und Konzerthaus künftig in die Programmschienen der Festwochen eingebunden?
Hinterhäuser: Ich habe es nicht so gern, Dinge kleinteilig bekannt zu geben, ich will den Zeitpunkt abwarten, wo sie fixiert sind. Im Musiktheaterbereich versuche ich das eine oder andere zu machen, was hoffentlich bereichernd für die Wiener Festwochen und für Wien sein wird. Das ist gerade in Wien, das so viel an Musiktheater bietet, eine schöne und nicht gerade die geringste Herausforderung. Auch das Theater an der Wien wird es für Musiktheaterproduktionen weiter geben, obwohl man bei den Kosten durchaus ins Schwitzen kommen kann. Die Musiktheaterproduktionen der Festwochen 2014 und 2015 werden jedenfalls auch dort stattfinden. Was den Konzertbereich anlangt, bin ich in Gesprächen mit Thomas Angyan und Bernhard Kerres. Zusätzlich zu den Festwochenkonzerten wird es das eine oder andere Sonderprojekt geben.
DIE FURCHE: Jüngst sind Sie auch als Übersetzer hervorgetreten. Wie ist es dazu gekommen - in diesem Roman geht um den geheimnisvollen Komponisten Giacinto Scelsi?
Hinterhäuser: Für Scelsi habe ich in der Tat einiges getan, als Pianist, durch CD-Aufnahmen, als Veranstalter. Scelsi habe ich meinen ersten Kontinent 2007 bei den Salzburger Festspielen gewidmet, er ist ein Komponist, der mir persönlich sehr nah ist.
DIE FURCHE: Nicht nur, weil er wie Sie in La Spezia geboren ist …
Hinterhäuser: Nein, aber das ist natürlich sehr charmant. Mir gefällt auch die Möglichkeit, dass sich sein Vater und mein Großvater über den Weg gelaufen sein könnten. Beide waren Marineoffiziere, und das Schiff lag in La Spezia. Das ändert nichts an der Tatsache, dass Scelsi eine verrückte, bizarre, dandyhafte und vollkommen unakademische Figur ist, ich finde das großartig. In dem Buch heißt Scelsi übrigens Tancredo Pavone, was so viel bedeutet wie Pfau.
DIE FURCHE: Zu Ihren nächsten Projekten zählt ein John-Cage-Klavierabend in der Minoritenkirche in Krems-Stein. Zeitgenössische Musik war stets ein besonderes Anliegen für Sie, gab es dafür einen Katalysator?
Hinterhäuser: Für mich ist Musik eine ganz große Erzählung - von, sagen wir, Gesualdo bis in die Gegenwart. Ich war 13 Jahre, habe in Bonn gelebt, und es gab Stockhausen-Tage in der Bonner Beethoven-Halle. Der Vater meines damaligen besten Freundes war Konzertmeister im Bonner Orchester, musste Stockhausen spielen, viel üben und ist dabei fast verrückt geworden. Ich war fasziniert, dass einen Musik so aus der Fassung bringen kann, ging dorthin und war hoch beeindruckt. Stockhausen war damals - es waren die 1970er-Jahre - auf den Covers der Beatles abgebildet, mit seinen langen Haaren, den weißen Anzügen. Die erste Schallplatte, die ich von meinem eigenen Geld gekauft hatte, das waren immerhin 25 DM, waren Stockhausens "Jünglinge im Feuer-ofen“, ich habe sie heute noch. Als ich begann, Klavier zu studieren, war es der Klang, der mich bei der zeitgenössischen Musik so interessiert hat.
DIE FURCHE: Musiker, Philosoph, Experimentator, Innovator - das alles kann man über Cage lesen. Was ist er für Sie?
Hinterhäuser: Das ist tatsächlich schwer. Ich würde gerne sprechen von seiner Weite, seiner Offenheit im Denken - nicht nur in seinen Kompositionen, Schriften oder seinen malerischen und grafischen Arbeiten. Es ist ein Denken, das allumfassend ist und immer mit einer großen Zuneigung zu tun hat: zur Welt, zu den Menschen, zu dem, was uns ausmacht. Diese Offenheit hat auch viel mit Freiheit zu tun. Es ist ein großes Plädoyer für individuelle Freiheit. Insoweit ist es auch ein Lebens- und Weltentwurf.
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