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Planung oder Improvisation?

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Der Aufsatz des sonst ganz anderen Zielen zugewandten Verfassers ist natürlich .Übertreibung zwecks Klarstellung“.

Die .Furche“ Bei großen Dingen ist es nicht sicher, ob das Planen oder das N i c h t p 1 a n e n gescheiter ist, und tiefe Schluchten des Seins — die prometheischen, die franziskanischen — tun sich auf. Die universale Geltung des einen oder anderen ist jedenfalls unübersichtlich, die beschränkt österreichische ist deutlicher: zulande hat das Nichtplanen — also das Improvisieren oder das Fortwursteln — eine ehrbare Tradition, und eine wahrnehmbare Nuance des Volkswillens hält es nicht nur für österreichischer, sondern für praktischer. Tatsächlich hat auf der ganzen Welt die Vorstellung, des Planers bereits etwas Lächerliches an sich. Nach soviel Umstürzen glaubt niemand mehr an ihn, der ein Büro um sich sammelt, dann Zustände auswertet, um schließlich Fundamentales für die nächsten drei oder fünf oder zehn Jahre zu verkünden. „Es gab einen Pan, der hatte einen Plan“, usw. sagten, nach den großspurigen Worten Beneschs 1939 die Tschechen. Das Wortspiel mit Aeroplan, das sie daran knüpften, hatte den Sinn, den es bei den Skeptikern der ganzen Welt hat: daß die Planung, „je preiser gekrönt, desto durcher fällt“ und daß der Planer sich fort und einem anderen Platz macht. Solche Skepsis ist 'zart übertrieben.

Immerhin wäre es gut' zu wissen, ob und welche Inhalte dem vorausschauenden Denken zugänglich und welche so groß und schicksalhaft sind, daß Ahnungs-losigkeit oder Unverschämtheit dazu gehört, in ihnen sichls Präzeptor aufzuspielen. Hier wäre zunächst eine schürfende Untersuchung gut, ob man heute überhaupt alles von Grund auf machen, Prinzipien verfechten, „Charakter zeigen (welch vieldeutiges Wort) oder ob man sich der Aufgabe des Tages zuwenden, das Erreichbare anstreben und vielleicht sogar ein Kompromiß von Anfang an in. Betracht ziehen soll. (Fast sind wir knapp, an einer Empfehlung des Wursteins.) Dazu gibt es bei Goethe das merkwürdige Wort, ungefähr wie: „Bleibt mir mit den Idealisten vom Leibe“, und außerdem schrieben wir einst treuherzige Aufsätze über den, „der den Besten seiner Zeit genugtut“. In beiden Sentenzen liegt eine Ablehnung des allzu weit Gedachten, ein Hinweis, zunächst im engeren Bezirk das Notwendige zu tun. Es ist in ihnen vielleicht sogar das enthalten, was der Normalbürger von dem Planer meint, der allein öder in Ausschüssen die politischen oder finanziellen oder städtebaulichen Unholde mit Entwürfen bekämpft'und nicht einmal durchsetzt, daß das Stehlen aufhört und das Sparen beginnt. Aus der Zeit des deutschen Idealismus ragt in die unsere (die aus der Erfahrung und aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung wissen müßte, daß in jedem irgendwie benannten Kollektiv ein bestimmter, überall gleicher Prozentsatz moralischer Bresthaftigkeit vorhanden ist) ein rosenroter Fels des Glaubens an das Absolute. Der eine sieht es so, der andere so, aber beide scheitern, weil sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß das Böse und das Dumme stark ist und nur im sehr genau gekannten und überschaubaren Bezirk geschlagen werden kann. Die eigenen Reihen bestehen aus lichten Streitern, denen man das Banner, das Ideal, vpranträgt, worauf dann alles gut wird. Unzählige meinen, daß dem Schöngedachten ein Selbstmord zukomme. In den so unglückselig benannten „Meisterschulen machen neun von zehn Schülern unweigerlich „Ideal'-Projekte. Dem zehnten, der die begrenzte Aufgabe wählt, in ihr Lebendiges formt, kann man eine Chance geben, in der heutigen architektonischen Wirrnis zu bestehen. Aber die neun werden eitel die Nase rümpfen und den, der ihr auf Weltunkenntnis gewachsenes „Ideal“ nicht teilt, einen Zyniker nennen. Die holde Lüge läßt uns die Tiefe unseres Sturzes nicht einmal ermessen, viel weniger noch korrigieren.

Wären wir in Chikago — selbstverständlich müßten wir dort den Idealen das Wort reden. Und selbst im alten Europa wollen wir das liebe Lichtlein hüten. Aber wir wollen es nicht dem starken Wind aussetzen, sonst löscht es vollends aus.

Es sind in der Kunst, die doch überhaupt nur Sinn hat, wenn sie Lebendiges abbildet, neue Qualitäten erwacht. Sie stehen den „ewigen Werten“ diametral gegenüber und sind dennoch kostbar. Sie sind Hauch und Duft. Sie sind Schrei oder unbändiges Lachen, sie sind auf wenige Jahre oder auch nur Tage gezielt, und wer sie gegen die Griechen oder Dürer hält, tut ihnen und diesem Unverstand und Unrecht an. In der Architektur bilden sich Gebiete heraus, wo der Dauerwert nichts darstellt. Die Reklamearchitektur, die Gaststätten, die nur ein Narr heute mit Palisander und Marmorkaminen macht. Die Pariser Kinos, die im Souterrain der Hochhäuser aus Pappe, Rabitz, aus gebogenem Draht und gelochtem Blech verwegene Raumgebilde erzeugen oder gar nur mit Licht — sie sind bewußte Eintagsfliegen. Sie sind nicht „geplant“, sie sind launische Improvisationen. Sie bilden den Ubergang zur Mode der Kleidung. Der Feinnervige weiß, daß sehr häufig in modischen Dingen mehr künstlerische Irritierbarkeit steckt als in einem großen gemalten oder gemeißelten Schinken. In der zeitgenössischen Karikatur ist es nicht anders, im Trickfilm und der Radiokomik nicht, und wesentliche Teile der Malerei und Plastik sind nichts anderes als gescheite Clownerien.

Nun sieht aber die Schar der „Gebildeten“ diese Dinge mit Klios Äugen an, sie messen das lustige Zeug mit Leon Bat-tistas Elle. Sie stehen vollkommen ratlos da. Und gleich ihnen sind unsere „Planer“ jeden Gebiets den Erscheinungen des Tages gegenüber vollkommen blind. Sie planen Ewiges oder doch zumindest Hundertjähriges. Mit gefurchter Stirn regulieren sie Preise und Städte und haben nichts Reales in der Hand. Was sie machen könnten, das verpassen sie, weil ihr träumendes Auge dem „großen Ziel“ zugewendet ist. Gewiß sind sie achtbarer als die politischen Korken, die das klein-, mittel- oder großbürgerliche Paradies und jedenfalls die Wiederkehr des alten versprechen. Aber ihr Wirken Ist schädlicher noch, weil der Fachmann nichts beginnen darf, was er nicht meistert. Die

Entwirrbarkeit des Chaos durch den Verstand erwartete man von ihnen. Sie scheitern am zu weit gespannten Ziel. Würden sie nichts anderes machen als was auf den Fingern brennt, sie gewännen vielleicht einmal Gelegenheit, „Bedeutendes“ zu leisten.

Kurzum: Es gibt Dinge, die man laufen lassen soll und bei denen der Planer, selbst wenn er Glück hat, sich ausnimmt wie das tapfere Schneiderlein. Andere, sehr viel Seltenere lassen die redliche Arbeit eines erprobten Mannes als einigermaßen aussichtsreich erscheinen. Aber welche Wahrscheinlichkeit besteht denn für die Vereinigung von redlich und erprobt, wenn die Berufung und Arbeit außerdem politisch opportun sein muß? Im schneller reagierenden Frankreich ist man daher längst zur Ironie, zur grundsätzlichen Improvisation, zum Ministerpotpourri, zur Viertagewoche übergegangen. Das Resultat ist gleich, ist unterhaltender, weniger mühsam, weniger blamabel.

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