Anspielungsreich, rätselhaft, aber auch leichtfüßig sind Edwin Wolfram Dahls Gedichte.
Halte die Zweifel / im Anschlag“ – die Aufforderung des in München lebenden Lyrikers Edwin Wolfram Dahl in seinem vor 30 Jahren erschienenen Band „Außerhalb der Sprechzeit“ gilt noch immer: für seine Leser wie als Maxime seiner Dichtung. Sie findet sich daher auch in dem neuen Gedichtband „Wasserzeichen in Augen“, mit dem Dahl, im Juni 80 geworden, seine Leser überrascht. Die ersten 100 Seiten versammeln eine Auslese seiner vier zwischen 1970 und 1984 erschienenen und längst vergriffenen Lyrikbände; sie zeigt den heißen Kern seiner Sprachkunst: insistierende Wiederholungen und Gleichklänge am Wortbeginn, die diese Gedichte so einprägsam machen; die Fähigkeit, große Zyklen zu bilden, aber auch kurze, gelegentlich spruchhaft verknappte Einzelgedichte. Die Anklänge an Orte, an Musik, an Kunst und Mythologie, die auch traumwandlerischen Sätzen Welthaftung und Tiefenschärfe verleihen. Und die Schrecken der Geschichte inmitten der Poesie: Wer ahnt schon, dass ein Gedicht, das mit der leisen Frage „Vielleicht weiß es der Baum / den sie fällen wollen“ beginnt, eine Spur nach Maidanek legt.
Auch in den beeindruckenden Gedichten des letzten Jahrzehnts, die den zweiten Teil des Buches ausmachen, reibt sich die Kunst-Welt mit der realen, wenn etwa ein Gedicht nach der Strophe „Rachma- / ninows Zweite / verschachtelt mir / den Kopf“ übergangslos konstatiert: „Ruanda / bleibt / Ruanda“. Es ist immer wieder erstaunlich, von welchen kleinen Details und scheinbaren Seiteneinstiegen her sich Dahl der Musik nähert. Und plötzlich in der kargen Szenerie des Gedichtes „Chopin hörend“ die Frage stellt: Wie lange / schöpft der Ton / mir Hoffnung ab?“
Anspielungsreich und rätselhaft können Dahls Gedichte sein, aber manchmal kommen sie auch ganz leichtfüßig daher. Etwa wenn er in den neuen Gedichten mehrmals von den Wolken spricht, in denen er Archipele und Armaden erblickt, nie jedoch das Admiralsschiff (das manche mit Gott identifizieren). Der dritte Teil des Gedichtes „Wolken“ könnte ein Resümee von Dahls Lebenshaltung sein: „(M)ein Leben / voller Ambivalenzen // Keine Antworten / Kein Admiralsschiff // Nur / den Wahnsinn / der Wolken!“
Wolkig freilich ist die Lyrik Dahls nie, und wenn er vorgefertigte Antworten ablehnt – „Die eingeflogenen Antworten: / unser täglicher Tod“ heißt es schon in einem frühen Gedicht –, so sind ihm die Fragen umso wichtiger. Insistierende Fragen, poetisch und politisch, die sich an allem entzünden, was der Lyriker sieht, hört oder liest. „Aus dem Hinterhalt / die eingeschleppte Welt“ – sie ist verstörend, sie stört die Poesie und nötigt ihr doch immer wieder die entscheidenden Fragen ab.
Seit Jahrzehnten gehört Edwin Wolfram Dahl zum Kernbestand deutschsprachiger Poesie, er ist in über 50 Anthologien vertreten, und „Wasserzeichen in Augen“ macht erneut seinen Rang sichtbar. Er verfügt über viele Töne, auch über Ironie, und einige wenige Beispiele zeigen, wie leicht er auch den Reim zu handhaben versteht, etwa wenn er sich in „Am Rheine“ schalkhaft der Loreley nähert und gleichzeitig den Glutkern dieser poetischen Figur weiterschreibt.
WASSERZEICHEN IN AUGEN
Gedichte von Edwin Wolfram Dahl
Otto Müller Verlag, Salzburg 2008
158 Seiten, geb., € 20,-