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Polen braucht wie Osterreich Sicherheit

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Auf gutnachbarschaft-liche Beziehungen setzt Polens neuer Außenminister - auch mit Rußland.

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Auf gutnachbarschaft-liche Beziehungen setzt Polens neuer Außenminister - auch mit Rußland.

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DIEFURCHE: Wird sieh die mitteleuropäische Perspektive des Historikers und Botschafters beim Außenminister Bartosze-wski verändern müssen? AUSSENMINISTER WlaDYSLAW BARTOSZEWSKI: Eigentlich nicht. Die jetzige polnische Außenpolitik ist seit 1989 unter einem Triangel zu sehen. Wir wollen erstens die Festigung der Verbindungen mit der Europäischen Union, zweitens mit der WEU und drittens mit der NATO. Das sind unsere Ziele. Und diese realisiert man etappenweise, zum Beispiel durch Festigung und Vertiefung der bestehenden Verbindungen im Rahmen des Möglichen.

Als Außenminister muß ich Rücksicht nehmen auf alle Nachbarn, das ist eine logische Notwendigkeit, aber auch aus tiefer Uberzeugung heraus. Und ich sehe keinen Nachbarn, mit dem Polen nicht gute Beziehungen pflegen kann. Osterreich sieht Polen nicht als Drittland, sondern als Nachbarland an. Das hat Bundespräsident Klestil schon ein paarmal gesagt, zuletzt bei seinem Kurzbesuch in Krakau und in Auschwitz. Wir tragen die Philosophie des Balladur-Paktes, des Paktes der Stabilität in Europa, den wir am 22. März in Paris mitunterschrieben haben, voll mit und versichern, daß wir mit Deutschland, Litauen, Weißrußland, der Ukraine, der Russischen Föderation, Tschechien und der Slowakei friedlich und gut zusammenleben wollen. Polen ist zudem eines der wenigen glücklichen Länder, das keine Probleme mit Minderheiten hat.

DIEFURCHK: Auch nicht mit den Deutschen? BARTOSZEWSKI: Die deutsche Minderheit hat unabhängig von der Fünf-Prozent-Klausel, die für alle Parteien gilt, fünf Plätze im polnischen Parlament. Das ist sozusagen unsere Wiedergutmachung für kommunistische Willkürakte in einer Zeit, in der sich Minderheiten nicht sicher gefühlt haben. Ich stehe sehr gut mit den Abgeordneten der deutschen Minderheit im Sejm. Als sie mir zur Wahl als Außenminister gratulierten, habe ich mit ihnen gescherzt: Meine Herren, ich glaube nicht, daß von Ihnen jeder das große deutsche Bundesverdienstkreuz hat. Ich habe es. Ich bin auch in Deutschland ein angesehener Politiker und repräsentiere keinerlei chauvinistische Perspektiven.

DIEFURCHE: Ist Bußland fiir Sie ein außenpolitischer Spezialfall? Das Drängen Polens in die NATO signalisiert doch, daß man geopolitisch kein besonders gutes GefiM hat BARTOSZEWSKI: Darf ich eine Gegenfrage stellen: Werden die Norweger von den Österreichern für ein aggressives Volk gehalten?

DIEFURCHE: Nein. BARTOSZEWSKI: Und Norwegen ist in der NATO, nicht aber in der EU. Also die Zugehörigkeit zur NATO bedeutet keine militärische Haltung, sondern die Zugehörigkeit zu einem Gesamtsystem der Sicherheit. Auch Österreich kennt die Unsicherheit aus eigener Geschichte: noch bis Mitte der fünziger Jahre, bis zum Staatsvertrag, auch 1956, auch 1968, dieses Gefühl der Unsicherheit, wenn etwas in der Nähe passiert. Und jetzt muß ich fragen: Dürfen wir uns ganz sicher fühlen, wenn zum Beispiel in der russischen Republik die demokratische Ordnung von Zeit zu Zeit nicht so ganz sicher ist; wenri gewisse Gruppen von Parlamentariern sich so benehmen wie Herr Schirinowski, der auch in Wien im schlimmsten Sinn des Wortes bekannt ist. Wir wünschen der Russischen Föderation für die Demokratie und die Wirtschaft alles Gute. Aber wie kann ein Land wie Polen mit 39 Millionen Bürgern einen Kontinent behandeln - von der polnischen Grenze bis Wladiwostok? Wir haben Respekt, aber wir wollen Ruhe haben und sicher sein, daß sie sich nicht in unsere inneren Angelegenheiten mischen. Wir möchten unsere Entscheidungen selbst treffen können - mit Rücksicht auf ihre Empfindlichkeiten. Aber auch wir haben Gründe zur Empfindlichkeit.

Fortsetzung des Gesprächs, das Franz Gansrigier führte, auf Seite 3.

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