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Polen, Tschechen, Südslawen

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Eine Einleitung des Herausgebers, „Von der Einsamkeit und Gemeinsamkeit des Slawen“, will dem Leser die Wichtigkeit des Gegenstandes und die hauptsächlichen Voraussetzungen erklären. Dabei wird die Sowjetunion schlechthin „Rußland“ genannt, was uns wenig angemessen scheint. Darauf folgen drei Arbeiten, die einzeln besprochen werden müssen.

„Die Polen“ von Oscar Ha 1 ecki : Hier wird die Geschichte Polens bis zur Gegenwart gegeben. Der Verfasser macht seinem wohlbegründeten Ruf alle Ehre: es ist bewunderungswürdig, wie auf 80 Seiten die politische und kulturelle Entwicklung Polens übersichtlich dargeboten wird. Wir können diesen Teil des Buches nur wärmstens empfehlen: Je öfter man einem verzeichneten Bild polnischer Geschichte begegnet, um so dringender ist eine weite Verbreitung dieser Darstellung zu wünschen. Es versteht sich, daß mancher Leser auch dann noch, seiner eigenen Einstellung gemäß, manche Betonung anders setzen möchte. Uns etwa scheint es, daß die Wahl Maximilians II. zum König von Polen nicht eine deutsche Fremdherrschaft, sondern einen westslawischen Bund herbeizuführen bestimmt war ... Auch möchten wir mit dem von uns hochverehrten Autor einen Streit um Worte vom Zaune brechen: das Carenreich, noch richtiger das russische Kaisertum, nennt er „Zarat“. Diese Sprachschöpfung kann uns in keiner Hinsicht begeistern I — Doch verweisen wir lieber auf alles, was der Durchschnittsleser aus den wenigen Seiten lernen kann. Waren wir uns etwa bewußt, daß eben 300 Jahre vor der hoffnungsvollen Wendung von 1956, nämlich 1656, Polen aus der schwedisch-russischen „Sturmflut“ (Potop) wiederauftauchte?!

„Die Tschechen und Slowaken“ von Johannes U r z i d i 1 ka n man leider nicht mit derselben Befriedigung lesen. Zwar bringt der Autor jeinem Gegenstand aufrichtige Sympathien entgegen, und von einer etwa henleinistischen Einstellung kann keine Rede sein; im Gegenteil, der Autor ist Antinazi. Wohl gelingen ihm manchmal treffliche Formulierungen: was er zum Schluß seiner Arbeit über die gegenseitigen Untaten von 1939 bis 1945 und über die österreichische Vergangenheit schreibt, das könnte kaum besser gesagt werden. Doch immer wieder muß der Leser sich an der Tatsache stoßen, daß hier Geschichte geschrieben wird ohne fachliche Ausbildung; das muß zu kleinen und großen Irrtümern führen. Zum Beispiel hätte ein professioneller Historiker niemals die „Hausnummern“ übernommen, mit denen hussitische Chronisten (wie andere mittelalterliche Chronisten auch) die Stärke des geschlagenen Feindes anzugeben belieben. Und was soll man sagen, wenn Urzidil Kaiser Sigismund (auf Seite 151) „ebenso tückisch wie dumm“ nennt? „Tückisch“ mag hingehen — ein Heilsarmeemann war Sigismund nicht —, aber über die Bedeutung des letzten Luxemburgers hätte sich Urzidil, wenn schon nicht bei deutschen Autoren, dann doch gewiß bei Pekaf informieren sollen. — Auf all das hinauf wundert man sich nicht, wenn die Habsburger oft so ziemlich ä la Ernest Denis behandelt werden. Übrigens gehört der Autor zu jenen Deutschen, welche von T. G. Masaryk mit Bewunderung sprechen. Mit diesem Schlag trifft man nämlich zwei Fliegen: man beweist einesteils die eigene Unvoreingenommenheit, andernteils kann man nun um so mehr den tschechischen Chauvinisten vorwerfen, daß sie auf ihren großen Mann nicht gehört haben ... Doch das Thema Masaryk würde uns zu weit führen. — Über den Fallstrick „böhmisch“-„tschechisch“ stolpert gelegentlich auch Urzidil; wir möchten erinnern, daß die 845 getauften böhmischen Edlen offenbar gegen die tschechische Expansion opponierten! — Endlich wollen wir feststellen, daß uns „Das Entstehen des Tschechenstaates“ kein adäquater Name für 1918 erscheint. Es entstand denn doch eine Tschechoslowakei! Ob die Osusky, Srobär, Hodza die besten oder berufensten Slowaken waren — das ist natürlich Ansichtssache. Aber daß sie den Staat mitregierten, daß Slowakisch Staatssprache war (wir mußten es am Gymnasium lernen), das ist einfach Tatsache! (Ich behaupte gewiß nicht, ich leugne vielmehr, daß das slowakische Problem bestens gelöst worden sei. Aber es geht auch nicht an, die Slowaken als unterdrückte Minorität aufzufassen.)

„Die Sü ds 1 a wen“ von Mathias Bern a th liest man zunächst voll Bewunderung: auf 90 Seiten ist die Geschichte von mehreren Ländern bis zum Balkanfeldzug Hitlers zusammengedrängt. Auch der österreichische Leser lernt einiges dazu: etwa wie die Serben das Bürgerliche Gesetzbuch Kaiser Franz' übernommen haben. Dann aber schüttelt man doch den Kopf darüber, wie der Zusammenfassung auch Wesentliches geopfert wurde. Ein Beispiel: Zum Jahre 1396 hätte man doch wohl eine Angabe darüber erwartet, daß bis zu diesem Datum in Bulgarien Car und Patriarch existierten, und auch darüber, welche Rolle nachher die bulgarische Emigration in Rußland spielte. — Endlich wollen wit auch hier den Kampf ums Wort führen. Man müßte nicht erst erklären, daß „Car“ von „Cäsar“ kommt, wenn man nicht „Zar“ schreiben wollte, sondern eben „Car“ — wie es bewährte Autoren — Dölger! — seit Jahr und Tag tun.

Doch all diese Einzelheiten sollen ganz gewiß nicht unsere Freude daran trüben, daß hier wieder ein neues Beispiel deutschen Interesses am slawischen Teil Europas entstanden ist. Möge uns bald auch der zweite Band mit der Geschichte der russischen Lande erfreuen!

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