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Polen unter dem Doppeladler

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Eine Volksdemokratie gibt es, die bis auf den heutigen Tag den von Byzanz ererbten Doppeladler im Wappen führt — Albanien. Eine andere, die größte der osteuropäischen Republiken, hat ebenfalls das überlieferte Emblem ihres Staates beibehalten, den einköpfigen, lateinisch-westlichen Adler — Polen. Im Gegensatz zum schwarzen Adler des alten Reichs und Preußens ist er weiß geblieben, allerdings im roten Felde, auf dem er seit Jahrhunderten schwebt. Er blickt auch nach rechts wie eh und je, wenngleich es die der Heraldik Unkundigen dünken mag, er habe die Augen nach links gerichtet.

Im übertragenen Sinn jedoch hat der polnische Adler nunmehr zwei Köpfe. Zwei Männer sind es, die die Schicksale des Landes lenken, beides alte bolschewikische Kämpfer und dem Kreml ergeben, doch sonst einander so unähnlich, wie das in der Welt des Kommunismus nur irgend möglich ist.

Unter ihnen der wichtigere ist und bleibt Bolestaw Bierut, der Zivilist. Während in den übrigen Satellitenstaaten Macht und beherrschender Einfluß zwischen den kommunistischen Hierarchen hin und her schwankten, ist die maßgebliche Rolle Bieruts in Polen seit 1944 unbestritten. Ob Präsident der KRN, des als Ersatzparlament bis Anfang 1947 fungierenden Landes-Nationalrates, und nachher der Republik, ob Ministerpräsident — ein Jahr lang nach Inkrafttreten der Verfassung . vom 22. Juli. 1952 — oder, seit bald drei Jahren. Erster Sekretär der PZPR, der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei: er ist der Kommunist Nr. 1, in dessen Händen alle Gewalt ruht, alle d i e Gewalt, die von der Oberherrin Sowjetunion dem polnischen Lehensmann belassen wurde. Bierut hat es mit bemerkenswertem Geschick verstanden, durch alle Wandlungen der Sowjetpolitik hindurch unentbehrlich zu erscheinen, sich gleichermaßen die Gunst Stalins, Malen-kows und der Dioskuren Chruschtschew-Bul-ganin zu erhalten, in Warschau keinen gefährlichen Nebenbuhler zu dulden und dabei auf jene blutigen Mittel zu verzichten, deren sich die siegreichen Rivalen um den Vorrang in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Rumänien, in Bulgarien oder gar in Albanien bedienten.

So schlau er mit den Feinden im eigenen Lager verfuhr, so klug wußte es Bierut, sein Verhältnis zu dem von Moskau eingesetzten „Freund“ und Beobachter zu gestalten. Es ist vielleicht das größte Kunststück des polnischen Parteichefs, daß er es bisher immer wieder ver stand, mit dem 1949 eingesetzten Prokonsul und Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte, Marschall Konstanty Rokossowski, gute Beziehungen zu wahren.

Der heute 64jährige Boleslaw Bierut wurde im Herzen Polens, bei Lublin, als Sohn einei zum Arbeiter gewordenen Bauernsprossen geboren. Er ist sowohl der Herkunft nach als in seiner äußeren Erscheinung der typische „kleine Mann“, der auch in den bestgeschnittenen Anzügen nie anders denn ein Gewerkschafter im Sonntagsstaat aussieht. Zur Zeit, da er Präsident war, soll er sich öfter über den Zwang zu gesellschaftlichen Verpflichtungen beklagt haben, die ihm reiner Zeitverlust und blödsinniger Mumpitz schienen. Er weiß aber schon, was er sich und seinem Rang schuldig ist; er wohnt im ehemals königlichen, nach dem ersten Weltkrieg von Pilsudski bewohnten Palast des Warschauer Belvedere. Doch treibt er dort keinen übermäßigen Prunk; zum Tee servierten dort, als er Staatsoberhaupt war, nicht Diener, sondern adrette Stubenmädchen im schwarzen Kleid und weißer Schürze, lieber Bieruts Privatleben vernimmt die Öffentlichkeit gar nichts und die Eingeweihten wissen darüber nur wenig. Er arbeitet bis in die Nacht, trinkt keinen Alkohol, empfängt wenig und ungern und hat weder menschliche Schwächen noch menschlich anziehende Seiten. Er fordert von Mitarbeitern und Untergebenen soviel wie von sich selbst, hält lange, im dozierenden Ton, aber mit guter Rhetorik vorgebrachte Reden, bleibt auch im übertragenen Sinn immer nüchtern und ist Gefühlen der Rührung kaum zugänglich.

Sein Lebenslauf hat ihn zu dem gemacht, was er ist. Der harte Blick, die verkniffenen Lippen des Mannes, an dessen Schläfen noch kein graues Haar sichtbar ist, verraten seine zähe Natur. Maurerlehrling, dann Austräger in einer Buchhandlung, wurde er früh vom Wissensdurst geplagt. Er wurde Schriftsetzer und verschlang wahllos alle Bücher, die ihm in die Hand fielen. So eignete er sich als Autodidakt ein umfassendes, wenn auch einseitiges Wissen an; denn er verfiel schon als ganz junger Mensch den Lehren des Marxismus, denen er zeitlebens ergeben blieb.

Viele Kapitel aus Bieruts Vergangenheit bleiben in der offiziellen Lebensbeschreibung, die <u seinem 60. Geburtstag erschien, vom /chleier des Geheimnisses umweht. Er war einer ier Gründer der polnischen KP bei Ende des ersten Weltkrieges, dann berufsmäßiger Agitator, Organisator von Streiks, Sekretär verschiedener Komitees, Publizist; dazwischen saß er vielfach im Gefängnis, weilte zur Ausbildung in Rußland. Kurze Zeit hindurch wohnte er auch in Wien, wo aber seines Tuns keine Spur hinterblieb. Kurz nach Kriegsausbruch 1939 tauchte er hinter der Demarkationslinie im russisch besetzten Teil Polens auf. Nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion wurde er — so lautet wenigstens die amtliche Lesart — durch die Frontlinie hindurch nach Warschau eingeschmuggelt, er arbeitete dort illegal und trat in der Silvesternacht 1943/44 an die Spitze des kommunistisch beherrschten unterirdischen Landesrates, des Gegenspielers der ungleich größeren, von der Londoner Polenregierung abhängigen Organisationen. Seit damals ist er das erklärte Oberhaupt der russischen Partei und der erste.Vertrauensmann des Kremls im Weichselland. Konsequent, hartnäckig und vorsichtig zugleich, war er von Anfang an fest entschlossen, Polen zu dem zu machen, was es nun ist, ein fest an die UdSSR geknüpfter Staat nach sowjetischem Muster, unter der ausschließlichen Führung der Kommunistischen Partei. Er hat das Vertrauen seiner Auftraggeber nicht enttäuscht.

Die Zielbewußtheit, die Hingabe an Mütterchen Rußland und der eiserne Wille, der keinen Widerspruch duldet, sind auch Marschall Kon-stanty Rokossowski eigen. Doch sonst, welch ein anderer Mensch! Groß, schlank, eine glänzende Erscheinung, eine schneidige Reitergestalt — der Marschall hat wahrlich wenig vom Proletarier an sich. Die offizielle Unheiligen-legende stempelt auch ihn zum Arbeitersproß. Tatsächlich indes entstammt er, der 1897 zu Warschau geborene Sohn eines Eisenbahnbeamten und einer Lehrerin, dem verarmten Zweig eines alten Adelsgeschlechtes, dessen Hauptlinie 18 57 vom Zaren in den Freiherrenstand erhoben worden war. Das Schicksal ließ ihn, kurz nach Ausbruch des ersten Weltkrieges, als blutjungen Soldaten in das Heer des Zaren einrücken. Im Wirbel der Revolution gefangen, bleibt er bei der Roten Armee, wird Bolschewik und durch das Vertrauen der Kameraden Offizier. Er kämpft an der Spitze eines Regiments gegen die eigenen Landsleute im russischpolnischen Krieg von 1920 und besucht dann die Militärakademie. In der langen Friedenszeit wird es um ihn still. Er avanciert nicht, ja er fällt der Säuberung des Jahres 1937 zum Opfer und landet als Anhänger Tuchatschewskijs im Gefängnis. Bald darauf reingewaschen, darf er wieder in den aktiven Dienst treten. Während der ersten Monate des deutsch-russischen Feldzuges zeichnet er sich aus; er rückt zum Generalleutnant und Stabschef einer Armee auf. Stalin, dessen Aufmerksamkeit er auf sich lenkt, entsendet ihn nach Stalingrad, als Stabschef der Verteidiger. Nach dem historischen Sieg an der Wolga steht Rokossowski als Frontkommandant (Befehlshaber einer Heeresgruppe) in der vordersten Reihe der sowjetischen Feldherren. Doch nun ereignet sich ein dunkles, tragisches Zwischenspiel. Rokossowski steht an der Spitze der Truppenverbände, die vom rechten Weichselufer aus das aufständische Warschau zu ent* setzen nicht imstande oder nicht willens sind. Der Marschall ist in diesem Punkt sehr empfindlich und erblickt in allen Anspielungen auf die damaligen Ereignisse einen Angriff auf seine Ehre. Er hat es nicht verschmäht, westlichen Zeitungsleuten gegenüber ausführlich seine Rolle zur Zeit des Trauerspiels von Warschau zu rechtfertigen. Wie dem auch sei: Rokossowski hat damals die Weisungen Moskaus befolgt und das sowjetische Oberkommando erkor ihn aus, wenige Monate später die Scharte auszuwetzen und am 17. Jänner 1945 als „Befreier“ die Ruinen der Weichselmetropole zu erobern. Rokossowskis Truppen waren es dann, die an der unteren Elbe die Verbindung mit den Engländern aufnahmen. Beim Siegesbankett hatten die Kriegskorrespondenten Gelegenheit, ausführlich über den Kontrast zu berichten zwischen dem puritanischen „Monty“ und dem prunkliebenden, trinkfesten Rokossowski, einem Kenner guten Essens, edler Pferde und schöner Frauen.

Für Marschall Rokossowski folgten nun ein paar Gärnisonsjahre in Liegnitz, wo er sein Hauptquartier als Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in Polen und der Verbindungstruppen zwischen Ostdeutschland und Rußland aufschlug. Eines Tages begann er, Delegationen der polnischen Bevölkerung zu empfangen und bei Paraden polnischer Truppen Ansprachen in deren — und seiner — Muttersprache zu halten. Kurz darauf verwandelte sich der Sowjetmar-schall in einen Marschall von Polen, Verteidigungsminister und Oberkommandanten der polnischen Wehrmacht. Er säuberte rücksichtslos, entfernte die letzten Vorkriegsoffiziere aus verantwortlichen Posten und glich Heer, Marine und Luftwaffe, außer in wenigen Einzelheiten der Montur, ganz ans sowjetische Muster an. Seine Autorität war lange absolut und sie dürfte es auch heute noch sein. Immerhin wollen gewisse Gerüchte wissen, der Gesundheitszustand des Marschalls sei nicht der beste, andere wieder behaupten, Rokossowski habe sich gegen die Wiederbewaffnung Ostdeutschlands gewandt und sei deshalb in den Hintergrund getreten. Von außen her kann man nur zweierlei feststellen: negativ, daß nicht Rokossowski, sondern Konjev zum obersten Befehlshaber der „Ost-NATO“ erkoren wurde; positiv, daß Rokossowski — dessen intime Freundschaft mit Schukow allgemein bekannt ist — immer noch an der Spitze der polnischen Armee steht und daß nicht die geringste propagandistische Vorbereitung zu einem Kommandowaphsel zu verspüren ist. Dieser wird auch ohne zwingende Notwendigkeit nicht stattfinden, denn vom Moskauer Standpunkt aus ist und bleibt Rokossowski, mag er auch Eigenwilligkeiten begangen haben, unersetzbar.

So bald wird der polnische „Doppeladler“ keines seiner Häupter austauschen.

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