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Politik als Wille und Vorstellung

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Für Eugene S c r i b e war Politik nur ein mehr oder weniger amüsanter Anlaß, ungemein wirksame Vorstellungen zu geben. Gewiß hatte er auch selbst ein Gesinnung: Es war die gemäßigte liberale der Bürgerkönigszeit, in der er die Vielzahl 6einer Komödien schuf. Und als später Enkel der Aufklärer sab er mit ihnen die Weltgeschichte als ein Buch an, aus dem sich immer wieder lehrreiche Exempel ablesen lassen. So etwa die Geschichte des lebensklugen Lord Bolingbroke, der zur Zeit des spanischen Erbfolgekrieges den britischen „sacro egoismo“ in die Tat umsetzte und sein Land samt dessen passiver Königin aus der Bundesgenossenschaft mit der „Großen Koalition“ hinausmanövrierte, um es sodann einer heiteren Ära des genießerischen Rokokos entgegenzuführen, die den Zeitgenossen Scribes — und manchen ihrer Nachkommen bis heate — als eigentliches Ziel der geschichtlichen Entwicklung erscheint. Nun kann man diese beziehungsreiche Anekdote „Ein Glas Wasser“ auf sehr verschiedene Art spielen. Als Salonkomödie mit historisierendem Flair und bis ins Detail eingefangener Atmosphäre. (So tat man dies wohl zu Aslans Zeiten an der Burg.) Oder aber in verdoppelter Ironie, stilisiert und als kabarettistisches Kunstprodukt, wie dies Gründgens vor Jahr und Tag in seinem gleichnamigen Film versuchte. Es ließen sich noch andere Möglichkeiten denken. Kaum aber die, welche Joseph Glücksmann am Akademietheater zur Zeit verwirklicht.

Das beginnt schon bei der Bearbeitung: Staub und Floskeln des Originals und der alten Bühnenfassung sind durch Banalitäten und Modernismen eines sehr fragwürdigen Heute ersetzt. Gewiß ist das Bestreben, die dem Gegenwartsmenschen ferngerückten historischen Zusammenhänge nach Art eines Schulfunkhörspiels zu verdeutlichen, anerkennenswert. Aber es darf nicht zum plumpen Anachronismus führen. Auch wenn dieser den Namen Victor de Ko wa trägt, der das Stück samt allen Partnern als Staffage für eine gewiß charmante, bestechend kluge, aber das Werk und seinen Geist nicht nur sprengende, sondern arrogant ignorierende Selbstdarstellung ansieht. Annemarie Dührineer gab als Königin Anna ein reizvoll schattiertes Porträt. Heidemarie Hatheyer war die Herzogin: Sie wollte den Rahmen bestimmt nicht sprengen, aber sie tat es dank ihres faszinierenden Temperamentes in höchst persönlicher und sttaMIcräftiger Weise- Von Toni Friedl und Dieter Klein (dem Liebespaar) sei ge-schwiegen. Um so lauter sei von Frni Kniepert gesprochen. Ihr Bühnenbild und vor allem ihre Kostüme: Das war die verwirklichte Idee einer modernen Insze-

nierung, das war all das, was man ansonsten an diesem auch nicht ungemein präzis vorbereiteten Abend vermißte.

Keine „Vorstellung“ vom politischen Welttheater, dafür um so reineren Willen zum Theater als einer politisch-moralischen Anstalt bringt der junge Pseudonyme österreichische Gegenwartsautor Georg Orgel mit. Das „Teater der Courage“ hat ihm nicht nur die

Heidemarie Hatheyer

Bühne zur Verfügung gestellt, sondern einen Regisseur mit Fingerspitzengefühl zur Inszenierung eingeladen: Georg Bronner, der eine Ader für das Zeittheater besitzt. So unfertig, so unbewältigt auch manches sein mag: Orgel steht in einer legitimen Ahnenreihe des spezifisch österreichischen Expressionismus, der sich als Theater der lyrischen, der erzieherischen Aussage, des belehrenden Pathos vom gleichzeitigen Expressionismus der Aktion in Deutschland unterscheidet. Mit Wildgans erreichte er einen Höhepunkt. Dann riß der Faden hinter Horvath ab. Es ist die Frage, ob man ihn dort wieder aufnehmen kann, wie dies Orgel in seinem „Apparat“ versucht. Diese unverkennbare Mischung von Symbolgestalt und Realitätsanalyse — hier als Schicksal eines Mitläufers, der zu „schwach“ ist für die Macht und sich doch mit ihr schuldhaft einläßt — ist nicht ganz neu. Aber sie trägt eigene Prägung. Schauspielerisch war Ernst Gegenbauer (eine Art Höderer aus den „Schmutzigen Händen“) am interessantesten. Den . passiven Helden gab Ernst 'J.a.g e.n'br e.i n, Auch sein expressiver, heute fast krampBg wirkender Darstellungsstil paßt merkwürdig zu diesem Stück, das der Vergangenheit — einet nicht schlechten Vergangenheit — verhaftet ist.

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