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Politisch — unpolitisch

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Bertolt Brecht wohnte während seiner Emigration ein Jahr lang bei der finnischen Dramatikerin Hella Wuolijoki. Mit ihr gemeinsam entstand das Volksstück, das Brecht später in Amerika überarbeitete und „Herr Puntila und sein Knecht Matti” nannte. Doch findet man in der Buchausgabe nur nebenbei in Kleindruck die Angabe „nach den Erzählungen und einem Stückentwurf von Hella Wuolijoki”. Im Gefolge genauer Untersuchungen wird behauptet, daß die Wuolijoki, von der es schon vordem ein Bühnenstück desselben Vorwurfs gab, als gleichwertige Mitverfasserin zu gelten habe.

Dieses Volksstück, das derzeit im Akademietheater zur Aufiühmng gelangt, kennzeichnet eine Besonderheit: Spannung gibt es ausschließlich in der Hauptfigur, in dam gleichsam schizophren angelegten finnischen Gutsbesitzer Puntila. Spricht man bei dieser losen Szenenreihe von der Herr-Knecht-Thematik, so sei nicht übersehen, daß eiben dieser Gegensatz in Puntila selbst steckt. Er ist nicht nur in betrunkenem Zustand menschlich, im nüchternen brutalrücksichtslos, diese Ambivalenz zeigt sich politisch pointiert, er rebelliert im Rausch fast wie ein kommunistischer Agitator gegen den Ausbeuter in sich. Das gibt der Gestalt ihr Format.

Es ist weiter kennzeichnend, daß sich niemand ernstlich Punitila widersetzt, niemand hält ihm den Widerspruch zwischen Reden im Suff und Handeln im nüchternen Zustand vor. Er herrscht selbstherrlich. Sein Chauffeur Matti, der „Knecht”, in dam Widerstand kaum spürbar wird, redet meist ihm zu Gefallen. Und der von Puntila schwer beleidigte Attachė, Verlobter seiner Tochter, entschuldigt sich dafür, von ihm mißhandelt worden zu sein.

Regisseur Gerhard. Klingenberg hält sich Im wesentlichen an die Inszenierung, wie sie bei der Züricher Uraufführung im Jahr 1948 geboten wurde. Günter Walbeck wandelt Caspar Nehers Puntila-Bühne etwas ab, er arbeitet ausschließlich mit Versatzstücken und Hintergrundprospekten in etwas farbig getöntem Weiß. Attila Hörbiger bietet als Puntila in Suff und Nüchternheit eine Spitzenleistung, er überragt damit alle anderen Mitwirkenden. Heinz Reineke bleibt als Matti zu einschichtig, Else Ludwig entspricht vom Typ her nicht Puntilas Tochter. Meist gute Charakterisierung der übrigen Rollen. Alexander Steinbrecher verwendet diie merkbar durch Kurt Weill beeinflußte Musik von Paul Dessau.

ödön von Horvath forderte eine Wandlung des Dramatikers zum Chronisten. Er war es in fast allen seinen 18 Bühnemwerken, so auch in dem Volksstück „Italienische Nacht”, das derzeit im Volkstheater zu sehen ist. Es führt in einer süddeutschen Kleinstadt etwa um 1930 die damaligen politischen Zustände vor. Eine Ortsgruppe des Republikanischen Schutzverbandeis veranstaltet in einem Gasthaus eine „italienische Nacht”, die Teilnehmer werden von Faschisten bedroht, aber von Arbeitern, die zur lahmen, großsprecherischen Leitung dieser Gruppe in Widerspruch stehen, gerettet.

Für ältere Zuschauer ergibt sich ein Rückblick auf Miterlebtes, auf Ereignisse, die sich überall zwischen der Nordsee und dem Südrand der Alpen vor etwa 40 Jahren ereignet haben. Heute dagegen lachen wir über die politische Unfähigkeit dieser „Republikschützer”, die Horvath fast in jedem Satz der Dialoge bloßstellt. Es ist aber ein Lachen, das ständig ein Frösteln im Rücken hat, denn wir wissen, was sich aus diesem Verhalten ergab, wir werden daran um so mehr gemahnt, als in der Aufführung mehrfach die SA aufmarschiert.

Bietet dieses Zeitbild nur einen Rückblick? Es wird bei ausnahmslos allen Figuren, bei den Sozialisten wie bei den Faschisten, die Hohlheit politischer Schlagworte, eingetrichterter Phrasen ironisch dargetan, und zwar gerade auch bei jenem Arbeiter, mit dessen Aktivismus Horvath au sympathisieren scheint. Der schäbige Bodensatz beiderlei politischer Ideologien, positiv wie negativ wirkender, wirbelt auf. Hierin erweist sich das Stück als zeitlos, es zeigt, daß es entscheidend die Phrase ist, die Kleinbürger und Arbeiter bewegt. Bitterer Nachgeschmack.

Unter der Regie von Wolf Dietrich wird eine vorzügliche, in allen Rollen trefflich besetzte Aufführung geboten. In solchen Stücken ist das Volkstheater den anderen Wiener Bühnen überlegen. Die Präpotenz des Stadtrats und Ortsgruppenleiters wirkt bei Oskar Wegrostek überzeugend, Wolfgang Hübsch hat die naive Anmaßung des aktivistischen Arbeiters. Wieder bewähren sich zwei Kabarettisten — wie seit geraumer Zeit Muliar und Waldbrunn — als Schauspieler: Ossy Kol- mann als haltloser Weiberheld Karl, Harry Glöckner als phrasendreschender SA-Mann. Erna Schickei ist eine ebenso rückgratlose wie dann draufgängerische Stadtratsgattin. Dolores Schmidinger als Lėni, Regine Fe Iden als Anna geben glaubhaft unterschiedliche Mädchentypen wieder. Zwischen Plakatwänden baute Rudolf Schneider-Manns Au die Bühnenbilder auf der Drehbühne auf.

Im Theater in der Josefstadt folgte nach einem Stück, das, vom netten Anfang abgesehen, argen Kitsch bot, abermals eine deutschsprachige Erstaufführung: die Komödie „Mein Name ist Spofford” des Amerikaners Herman Shumlin, die am Broadway Erfolg hatte. In den Vororten New Yorks gibt es Spannungen zwischen den Alteingesessenen und Zugezogenen. Darüber berichtet der Exhühnerzüchter Spofford mit eingeblendeten Szenen einen Abend lang. Seine Liebe zur Enkelin hält die geringe Handlung etwas in Gang. Alles in allem: Höchst langweilig, deku- vrierend seicht. Der Einsatz von Ernst Waldbrunn als Spofford, von Marianne Nentwich als Enkelin, von Lotte Lang, Grete Zimmer, Senta Wengraf, Marianne Schönauer ist ebenso vertan wie der des Regisseure Georg Lhotzky und des Bühnenbildners Schneider-Manns Au. Die Jugend rebelliert in der ganzen Welt. Ein Russe sagte zu Ionesco, in der Sowjetunion wäre derlei in einer halben Stunde erledigt, mit Maschinengewehren. Ist der Aufstand der Jugend zu verurteilen? Welche Ursachen hat er? Mit diesen Fragen setzt sich Klaus Mazohl, ein 45jähri- ger Südtiroler, in dem Stück „Fast ein Hamlet”, das im Kleinen Theater der Josefstadt zur Uraufführung gelangte, reichlich oberflächlich auseinander. Ein „Hamlet” genannter junger Mann provoziert seine Eltern als Inbegriff der etablierten Gesellschaft. Aber nicht dadurch zerbricht ihre Fassade, sondern durch die Machtgier der Mutter kommt es zur „Zimmerschlacht” mit dem Vater: Beide töteten allem Anschein nach dessen Bruder — „Hamlet”-Motiv —, den wirklichen Vater des jungen Manns. Als aber der Totgeglaubte wohlbehalten vor ihnen steht, bricht die Aggression Hamlets zusammen, er erkennt seine Mittelmäßigkeit und kriecht unter. Die Wohlstandsgesellschaft versumpft im Materiellen, besteht aber nicht aus Mördern. Sehr wenig stimmt in diesem Stück, Un- beholfenheit ist am Werk. Unter der Regie von Wolfgang Lesowsky erweist Klaus Maria Brandauer als Hamlet Intensität, wirkt aber bereits maniriert.

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