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Post Christum natum

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So sehr die Kraft der Synthese im deutschen Gemüt sieb schöpferisch erweist, wo sie aus großen Ideen und Vorstellungen der Religion' und Geschichte gespeist wird, so kümmerlich siecht sie dahin, wo sie vom religiösen Mutterboden losgelöst sich zu betätigen versucht. Das Geheimnis der Inkarnation, der Lichterbaum und die Geschenksitte, ja sogar die Krippenszenerien mit ihrem idyllischen und oft spielerischen Beiwerk, was haben sie miteinander zu tun, wenn die zentrale religiöse Idee, die such das Beiwerk noch durchgeistigt, sich verflüchtigt, wo nicht ganz verliert! Welcher symbolhafte Gehalt wohnt ihnen dagegen inne, sobald sie nyt den Augen des Glaubens erfaßt werden! Auch die von vielen heute nur volkswirtschaftlich eingeschätzte weihnachtliche Geschenksitte hat darin noch ihren religiösen Urgrund ... Ihr Vorbild hat sie in den Geschenken, welche nach den evangelischen Berichten und ihren Ausgestaltungen in der Kunst und Dichtung die Hirten und Weisen an der Krippe des Erlösers huldigend niederlegten. Freigebigkeit ist eine Frucht der Liebe und Freude. Freude aber und Liebe sind weihnachtlichen Ursprungs. — Der Lichterbaum hat als deutscher Brauch seinen Weg durch die Welt angetreten. Ob der Baumkult unserer Altvorderen in ihm noch irgendwie fortlebt, ist belanglos in 'Anbetracht der auch in ihrer Abstraktheit noch symbolisch deutlichen Tatsache, daß die immer grünende Tanne unter den Bäumen ist, was der Sproß aus der Wurzel Jesse in der Menschheit. Der mittelalterlichen Kunst war der Baum aus Jesse ein geläufiger Gegenstand der Darstellung, und sein Bild mit den Gestalten der Könige in den Ästen, der heiligen Jungfrau mit dem Kinde an der Spitze, ist häufig in Stein und Farbe wiederholt worden. Heute, da weltliche Unterschiebungen den sakralen Ursprung solchen Brauchtums zu zerstören drohen, sollte es Sorge der Prediger und Katecheten sein, solche Beziehungen im Gedächtnis der Christen lebendig zu erhalten.

Unzählige Male hat im Lauf der Geschichte die Kirche das Fest der Geburt des Herrn als das große Gedächtnis der Friedensstiftung zwischen Gott und der Menschheit gefeiert, während die Erde sich in Krämpfen der Friedlosigkeit wälzte und Krieg und Mord im Schöße der Völker wüteten. Unzählige Male hat es Blut- und Mordweihnachten gegeben und ist der furchtbare Gegensatz aufgebrochen zwischen der Verheißung eines Erlösers und Friedensfürsten und einer annoch unerlösten. weil allen Mächten der Zwietracht überantworteten Welt. Und wie in der Vergangenheit, so wird es auch in der Zukunft immer wieder Weihnachten geben, in denen dieser Widerspruch zum Ärgernis wird, das unzählige Christen in Versuchung führt, an den Verheißungen des Evangeliums irre zu werden. Aber dieser schreiende Gegensatz ist nicht das, was ein Christenherz mit wirklicher Furcht und Trostlosigkeit erfüllt, so lange er schreit, das heißt so lange noch der Schrei gehört wird, im Bewußtsein der Christenheit da« Gefühl des Unerträglichen dieses Gegensatzes noch lebendig ist. In eine ernste Krise würde der christliche Weltbetrachter erst dann hineingeworfen, wenn er erleben müßte, daß die Herzen dfcr Menschen, die noch Christen heißen, nicht mehr in ihrer Mehrzahl zerfleischt würden von der Schneide dieses Widerspruchs^ Nur dort, wo Christen sich nicht mehr in diese passiv hineingestellt fühlen, würde das Christentum in der Welt schwach werden. Darum kommt für die äußerliche Bewährung des Christlichen in der Welt — die innere steht nicht in Frage, so lange in der Kirche das liturgische Opfer begangen wird — so viel darauf an, daß die Herzen der Christen keinen Frieden machen mit dem Unfrieden, der die Welt beherrscht, daß sie vielmehr sich selbst, nicht in der Zuversicht der Auserwählung, sondern in der Bußgesinnung des Metanoite, als Geopferte empfinden im Geiste der Zerknirschung, wie es die Kirche in ihrer Liturgie so unzählige Male erfleht.

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