6688919-1962_29_10.jpg
Digital In Arbeit

POSTHUME REHABILITIERUNG

Werbung
Werbung
Werbung

Wer der Kunst nicht alles gegeben hat, der hat ihr nichts gegeben.“ Wsewolod Meyerhold, einer der bedeutendsten russischen Theaterregisseure des beginnenden 20. Jahrhunderts, ist seiner eigenen Devise bis in den Tod treu geblieben. Zwar hatte man ihm im Juni 1939 Gelegenheit gegeben, sich auf einer Versammlung der Theaterregisseure in Moskau durch eine „Selbstkritik“ vom Vorwurf des „Formalismus“ reinzuwaschen, aber er war Mann genug, um nicht durch den Verrat seines Lebenswerkes sein eigenes Leben retten zu wollen. An Stelle einer Selbsrverdammung hörten die Versammelten die Wahrheit, und zwar genau so nackt und ungeschminkt, wie es dem konstruktivistischen Bühnenstil Meyerholds entsprach:

„Ich für weinen Teil möchte offen aussprechen: Wenn das, was heute auf den besten Moskauer Bühnen geschieht, eine Großtat des neuen Sowjettheaters ist, dann ziehe ich es vor, als Formalist bezeichnet zu werden. Ich für meinen Teil finde das, was gegenwärtig in unseren Theatern geleistet wird, erbärmlich und erschreckend. Ich weiß nicht, ob es Antiforma-lismus oder Realismus oder Naturalismus oder irgendein anderer ,lsmus' ist, ich weiß nur, daß es geistlos und schlecht ist. Dieses erbärmliche und sterile Etwas, das den Namen ,Sozialistischer Realismus' beansprucht, hat mit Kunst nichts zu tun. Theater aber ist Kunst, und ohne Kunst gibt es kein Theater.“

Schon am folgenden Tag wurde der große Regisseur vom Staatssicherheitsdienst verhaftet und verschwand für immer. Die „Kleine Sowjetenzyklopädie“ gibt als Todesdatum den 17. März 1942 an, nicht aber wo und wie er starb! Doch sein Andenken war nicht so leicht zu vernichten, war doch sein Name unlösbar mit einer der größten Epochen des modernen russischen Theaters verknüpft, und man konnte sein Werk nicht übergehen, wenn man die berühmten Regisseure der zwanziger Jahre, Stanislavskij und Tairov, nannte. Allerdings wurde Meyerholds Name, wo es ging, nach Kräften verunglimpft. Daran änderte auch das „Tauwetter“ nach dem XX. Parteitag nichts. In der „Kleinen So-wjetenzyklopädie“ vom Jahre 1959 rindet sich folgende Charakteristik: „Das Werk Meyerholds zeichnete sich durch Widersprüchlichkeit aus; die Suche nach neuen Formen der Theaterkunst vereinigte sich bei Meyerhold mit Anzeichen des Formalismus, des Pseudoneuerertums und eines Vulgärsoziologismus.“ Jedes dieser drei Worte besitzt in der kommunistischen Terminologie die Qualität eines Kapitalverbrechens.

Um jedoch den Sinn dieser Anschuldigungen begreifen zu können, muß man das Werk Wsewolod Meyerholds überblicken und ihn selber hören!

Sicherlich war von den drei großen Regisseuren, Stanislavskij, Tairov und Meyerhold, dieser am meisten von der kommunistischen Umwälzung begeistert worden und hatte von ihr wirklich schöpferische Impulse empfangen. Er selbst sagte hierüber:

„Es gab in meinem Leben vor jedem neuen Aufschwung tragische Pausen voll schwerer Bedenken und Zweifel. Ja, ich war manchmal der Verzweiflung nahe. Nur zwei (und zwar die wichtigsten) Entschlüsse meines Lebens habe ich ohne Schwanken gefaßt: als ich nach Beendigung der Philharmonie die vorteilhaften und schmeichelhaften Offerten von zwei bedeutenden Theateragenten aus der Provinz ablehnte und mich für eine kleine Gage an das Künstlertheater in Moskau verpflichten ließ, das kurz vor der Eröffnung stand (vom Philisterstandpunkt war dies ein Risiko!), und dann, als ich die Bedeutung der Oktoberumwälzung sofort erkannte und mich in die Wogen der Revolution stürzte. Auf diese Entschlüsse hatte mich meine ganze innere Entwicklung vorbereitet und sie ergaben sich für mich einfach und zwanglos.“ Die Oktoberrevolution führte Meyerhold auch mit dem ihm kongenialen Autor zusammen — mit Vladimir Majakovskij.

„Majakovskij war fast zwanzig Jahre jünger als ich, aber bereits bei unserer ersten Begegnung gab es keine Distanz zwischen dem .Älteren' und dem Jüngeren. Von Anfang an behandelte er mich ohne jegliche Ehrerbietung, was auch naturgemäß war, weil wir uns sofort in der .Politik' einig waren, und 1918 war dies das Wichtigste: für uns beide bedeutete die Oktoberrevolution einen Ausweg aus der Sackgasse, in die die Intelligenz geraten war. Und als wir die Arbeit am .Mysterium buffo' (eine politische Satire von Majakovskij, das erste bedeutende sowjetische Drama) aufnahmen, gab es keinen Augenblick irgendein Mißverständnis zwischen uns. Majakovskij war schon in der Jugend von erstaunlicher politischer Reife, und ich, der .Ältere', lernte von ihm in dieser Hinsicht. Zudem hatte er ein außerordentliches Taktgefühl, obwohl er allgemein als Grobian galt.“

“\JIeyerhold gab in der Inszenierung des „Mysterium buffo“. J-s- J- sein Bestes. Eine Unzahl kühner und neuartiger Einfälle wurde hier verwirklicht — trotzdem zog das Stück nicht und wurde bald abgesetzt. Auch in Zukunft sollte Meyerhold mit der Inszenierung der Werke Majakovskijs wenig Glück haben.

„Ich habe alle drei Theaterstücke von Majakovskij als erster aufgeführt“, erklärte er später einmal, „und ich möchte sehr gerne an ihnen weiterarbeiten. Eine fatale Verkettung von Umständen im Theater wollte es, daß ich mich alle drei Male beeilen mußte. Deshalb betrachte ich diese Aufführungen bloß als erste Regiestudien, wie etwa .Verstand schafft Leiden', eine Arbeit aus dem Jahre 1928. Besser ah die anderen Stücke scheint mir das .Schwitzbad' gelungen zu sein. Mein Traum ist es, sie mir noch einmal vorzunehmen und diesmat in Ruhe daran zu arbeiten.“

Doch dieser Traum sollte nicht in Erfüllung gehen. Hierfür gab es einen ganz entscheidenden Grund. Sowohl die „Wanze“, als auch das „Schwitzbad“ verschwanden kaum weniger rasch vom Spielplan als einst das „Mysterium buffo“, wobei es allerdings diesmal nicht ein Desinteresse des Publikums, sondern — und dies war wesentlich gefährlicher — das Mißfallen der Partei war, die das Schicksal dieser Stücke besiegelte. Es ist mehr als charakteristisch, daß das „Schwitzbad“ erst als Folge des „Tauwetters“ wieder im Programm eines sowjetischen Theaters erscheinen konnte. Majakovskij war nämlich kritisch genug gewesen, um zu erkennen, daß durch die neuentstehende Klasse der Parteibürokraten die kommunistische Idee, der er sich völlig verschrieben hatte, verraten wurde. So verfaßte er denn nicht nur Gedichte voll bissigsten Hohnes gegen diese Parteibonzen, sondern auch die bereits erwähnten Satiren, die „Wanze“ und das „Schwitzbad“. Wir können es uns nicht versagen, eine Kostprobe aus dem „Schwitzbad“ zu geben. In der Gestalt des Genossen Pobedonossikov ersteht das Bild eines Superparteibürokraten, der mit den folgenden Worten gelobt wird: „Besuchen Sie mal sein Amt. Die Direktiven werden ausgeführt, die Rundschreiben kursieren, die Rationalisierung kommt in Gang, die Akten liegen jahrelang in der gleichen Ordnung, für Anträge, Beschwerden und Listen ist ein Fließband eingerichtet, kurz, der Sozialismus hat dort eine Heimstatt gefunden!“ Der Autor sah voraus, daß solche Worte in den Ohren der Betroffenen nicht angenehm klingen würden und so baute er denn die Reaktion der Parteibonzen in sein Stück ein. Er tat dies in Form eines Gesprächs eines Theaterregisseurs mit Pobedonossikov. Wie hellsichtig seine Worte waren, konnte er wahrscheinlich gar nicht ahnen — denn sie wurden nur wenige Jahre später zur bitteren Wirklichkeit!

„Regisseur.- Genosse, verstehen Sie uns nicht falsch. Vielleicht irren wir uns, aber wir wollten unser Theater in den Dienst des Aufbaus und des Kampfes stellen. Das Publikum schaut zu — und wird mit der Arbeit loslegen, schaut zu — und wird aufgeschreckt, schaut zu — und entlarvt!

Pobedonossikov: Ich aber ersuche Sie im Namen aller Arbeiter und Bauern, mich nicht aufzuschrecken. Sind doch kein Wecker! Sie müssen mein Ohr einlullen, nicht erschrek-ken, Sie sollen mein Auge erfreuen, nicht erschrecken.“

Majakovskij schoß sich im Jahre 1930 aus Enttäuschung eine Kugel durch den Kopf, gescheitert am kommunistischen Ideal. Sein Regisseur Meyerhold dagegen zahlte erst zehn Jahre später für das Verbrechen, die Parteibonzen erschreckt zu haben, mit seinem Leben. Nicht der angebliche „Formalismus“ — dieser war nur ein Vorwand —, sondern die Tatsache, daß er sich gegen die Gleichschaltung und damit gegen ein System der Vermassung stellte, wo das einzig geduldete Maß die Mittelmäßigkeit ist. Wenn irgend jemand versuchte, dem Inhalt eines Stückes durch die äußere Form die höchstmögliche Ausdruckskraft zu verleihen, dann war es Meyerhold. „Mein Credo“, bekannte er, „ist eine einfache.und lakonische Bühnensprache, die komplizierte Assoziationen hervorruft.“ — „Meine geliebten Assoziationen . .. Sucht nach Assoziationsübergängen! Arbeitet mit Assoziationsübergängen!“ — „Wenn wir uns der Assoziationen bedienen, brauchen wir nicht alles auszusprechen — an unserer Stelle wird der Zuschauer selber das Nötige hinzufügen.“ Streng logisch mußte dieses Prinzip zu einer gewissen Abstraktion führen, wodurch aber der Inhalt nur an Ausdruckskraft und Tiefe gewann. Meyerhold faßte diesen Grundsatz in dem einen Wort „Schlichtheit“ zusammen.

„Schlichtheit ist das Kostbarste in der Kunst.. . Die erhabene Schlichtheit der Kunst ist das, wozu man gelangt, nicht etwa das, wovon man sich abstößt. Sie ist der Gipfel, nicht das Fundament.“

Und er erläuterte diese Auffassung am Beispiel des berühmten russischen Malers Michael Wrubel folgendermaßen:

„Es gibt eine Zeichnung von Wrubel, die .Schlaflosigkeit': nichts weiter als eine zerdrückte Federdecke und ein zerknittertes Kissen. Der Mensch ist nicht gezeigt, aber alles ist klar — so ist das gezeichnet. Der Mensch ist nicht da und doch anwesend...“

Liegt hierin vielleicht eine „Verabsolutierung des Formalen und Leugnung der grundlegenden Bedeutung des Inhalts“, welche „zur Trennung von Kunst und Wirklichkeit“ führt? Wie recht hatte doch Meyerhold, als er kurz vor seiner Verhaftung erklärte: „Kritische Volltreffer gab es mir gegenüber selten, aber nicht, weil niemand da war, der gerne geschossen hätte, sondern weil ich ein zu bewegliches Ziel bin.“ Es brauchte wirklich die Phantasie kommunistischer Parteifunktionäre, um Meyerhold den Vorwurf machen zu können, er habe den Boden der Realität verlassen. Dabei konnte gerade dieser Mann überrealistisch sein, wenn er meinte, daß es eine Szene verlange. Im Schauspiel „Zuletzt und entscheidend“ zum Beispiel ließ er aus Maschinengewehren mit Platzpatronen ins Publikum feuern, so daß Zuschauer in Ohnmacht fielen!

“C bensowenig stichhaltig war der Vorwurf, daß er bei seinen Inszenierungen den Autor verfälschte; Meyerhold wußte sich auch dagegen zu verteidigen:

„Mir kommt die Diskussion, die immer noch in Theaterzeitschriften im Gange ist — wer bei der Gestaltung einer Vorstellung die führende Figur ist, der Regisseur oder der Dramatiker — äußerst naiv vor. Meiner Ansicht nach ist die Idee führend, wem sie auch gehören mag. Bei welchem der beiden Mitglieder des Duumvirates (Verfasser-Regisseur) das Denken bedeutender, aktiver, scharfsinniger ist, der ist eben im gegebenen Fall der .Führende'. Gegenüber Falko und wohl auch Erdman war ich der .Führende', Majakovskij gegenüber aber war, das muß ich ehrlich sagen, die Sache anders... Aber weder im ersten noch im zweiten Fall sehe ich etwas, was den Dramatiker oder den Regisseur kränken könnte.“

Und trotzdem birgt dieses Zitat in sich das Wesen von Meyerholds Kapitalverbrechen - er wagte es, an eine Idee zu glauben, die weit über den Kommunismus hinausging, weil sie dem Menschen galt und den Menschen als Zentrum setzte. Er besaß die Verwegenheit, dem Anspruch der Partei auf einen Vorrang in der Kunst die Stirne zu bieten und damit ihr alleinseligmachendes Urteil anzuzweifeln. Auf diese Weise leugnete er — nach Auffassung der Parteibonzen - „die gesellschaftliche Aufgabe der Kunst“: Er wurde „Formalist“ und zog es vor, lieber vor sich selber zu bestehen, als vor der Partei.

„Wahrscheinlich ist kein Regisseur der Weh soviel geschmäht worden wie ich, aber werden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, daß niemand so streng über mich urteilt wie ich selber? Allerdings bin ich kein Liebhaber öffentlicher Selbsterniedrigungen. Ich finde, daß das letzten Endes nur uns beide angeht: mich und noch ein Ich ... Aber die innere Selbstkritik ist ein sonderbares Ding. Es gibt Siege, deren man sich fast schämt und Niederlagen, auf die man stolz ist.“ Diese Worte, kurz vor seiner Verhaftung gesprochen, setzen diesem mutigen Menschen ein Denkmal. Seine Niederlage gegen die stalinistische Parteibürokratie war, genau besehen, sein größter Sieg.

★

P s gehört zur Ironie kommunistischer Gesetzlichkeit, daß der Tod Stalins auch Meyerhold zu einer späten, wenn auch recht schüchternen und inoffiziellen Rehabilitierung verhalf. Völlig unerwartet publizierte der bekannte Sowjetautor Alexander Gladkow seine Notizen über Meyerhold aus den Jahren 1934 bis 1939, allerdings verständlicherweise unter ängstlicher Vermeidung irgendwelcher biographischer Daten. Doch dieses späte Eingeständnis der Verdienste Meyerholds macht den Mord an ihm und seiner Frau nicht ungeschehen, im Gegenteil, dieses Verbrechen wird dadurch nur offensichtlicher. Immerhin bewahrheitet es sich auch hier wieder einmal, daß man zwar bedeutende Menschen umbringen kann, daß ihr Andenken jedoch das ihrer Verfolger überlebt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung