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Prades: Pablo Casals

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Im Rousillon, dem Weinkeller Südfrankreichs, lebt einer der größten Musiker unserer Zeit. Wenn er dereinst für immer vom Podium abtreten muß, hinterläßt er der Welt „nur“ das Andenken an sein Spiel. Aber so rasch Interpretenruhm sonst auch verblassen mag — der Name Pablo Casals wird in die Musikgeschichte eingehen. Schon jetzt handeln Bücher über Bücher von Maitre Casals; eines trägt den Titel „Der Papst des Cellospiels“. Und in der Tat — man pilgert nach Prades wie zu einer Weihestätte. Aus aller Welt — aus den USA, Südamerika, Japan und natürlich aus ganz Europa — kommen die Gäste zum „Festival de Prades“ in die Kirche „Saint-Pierre“.

Casals lebt seit Beginn des Franco-Regimes demonstrativ in seinem selbstgewähltcn Exil. Als die Amerikaner ihn 1950 einluden, zum Bach-Jahr in die USA zu kommen, lehnte er ab: „Ich spiele nur zu Hause!“ — „Gut“, war die Antwort, „wir kommen zu Ihnen!“ Seitdem gibt es das „Festival de Prades“. In den USA setzt sich ein umfangreiches Exekutivkomitee für seine alljährliche Durchführung ein. Dem Ehrenpatronat gehören erste Persönlichkeiten des Musiklebens an (Eugen Ormandy, Paul Paray, Artur Rubinstein, Pierre Monteux, Bruno Walter, Leopold Stokowski). In Lateinamerika waltet ein umfangreiches Patronat seines Amtes, in den europäischen Ländern bildeten sich Aktionskomitees. Die oberste Schutzherrschaft haben Königin Elisabeth von Belgien. Königin Marie-Jose, der Prinz ven Monaco und Präsident Vincent Auriol übernommen. Als Mitglieder des Ehrenkomitees sind u. a. Albert Schweitzer und Thomas Mann aufgeführt ...

Pablo Casals ist der Repräsentant der Romantik in unserer Zeit. Das diesjährige Programm umfaßte Kantaten, Arien, Suiten und Solosonaten von Bach sowie Kammermu ;ik und Lieder von Brahms und Schubert. „Ich spiele Bach so, wie ich ihn empfinde ...“, sa ;t Maitre Casals. Das mag nicht gerade im Sinne (er neuesten Bestrebungen sein, um die sich Casals so gut wie überhaupt nicht kümmert. Und sei sie nech so sehr „andante“, obwohl „allegro“ vorgezei :hnet ist, und sei sie noch so ausdrucksgesättigt, I '0 ein ..trockenes“ Non-legato-Spiel den historisi hen Stil des Werkes besser treffen würde — jede Ph ase klingt so einmalig schön, daß die Kritik verstummt. Angeblich spielt Casals auf einem durchaus nicht sehr wertvollen Instrument. Kommentar eines Musikers aus seiner Umgebung: „Casals spielt auch auf einer Streichholzschachtel schön!“

Um ihn scharen sich Künstler von Weltruf: Die von William H. Scheide gegründete „Bach-Aria-

Group“, der als prominentestes Mitglied die Sopranistin Eleanor Steber von der New-Yorker „Met“ angehört, die Geiger Yehudi Menuhin und Sandor Vegh, der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau und der Tenor David Lloyd — um nur einige zu nennen, die in Europa bekannt sind. Sie bilden ein ad hoc zusammengestelltes Ensemble — gewiß; aber der hohe Grad ihres Könnens entschädigt für kleine Unstimmigkeiten des Zusammenspiels, und gerade das sich gleichsam vor unseren Ohren vollziehende Zu-einanderfinden so eigengeprägter Persönlichkeiten ist von großem Reiz.

Noch ein Wort über Menuhin: In jüngster Zeit ist es fast Mode geworden, an seinem Spiel herum-zumäkeln. Wer ihn in den letzten Jahren mehrfach erlebt hat, der weiß um etwas anderes: Dieser Künstler arbeitet wie kaum'ein zweiter am „Werk“: auf der Höhe der Meisterschaft stehend, sucht er weiterzulernen und sich zu vervollkommnen, sucht er immer tiefer einzudringen in das Wesenhafte der Musik. So erstand zum Beispiel die berühmte „Cha-conne“ aus Bachs d-moll-Partita in vollkommener Vergeistigung; ein neuer Raum tat sich auf, in dem die technischen Mittel — etwa die hier besonders gefürchteten Doppelgriffe — nur noch als ferner Abglanz menschlicher Bezogenheit ins Bewußtsein traten.

In der Kirche wird nicht geklatscht: Stumm erhebt man sich von den Plätzen, zur Begrüßung der Künstler und als Dank für das Gebotene. Ein wahrhaft würdiges Festival ... Und wer am nächsten Morgen vor einem Häuschen am Ausgang des Städtchens lauscht, der hört, wie sich die Klänge formen ... Er kann auch eintreten; die Tür steht offen, Tag für Tag ... „Ein Engel ist in unsere Stadt gekommen!“ schrieb ein Pater. Ob der Besucher „von draußen“ diese Worte nachzuempfinden vermag?

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