6585440-1951_43_10.jpg
Digital In Arbeit

Prächtiges Burgtheater

Werbung
Werbung
Werbung

Die erete Neuinszenierung des Burgtheaters in dieser Sai6on ist die prachtvoll geglückte, von Ernst Lothar mit Sorgfalt, Energie und hoher Einfühlung bearbeitete Aufführung von Grillparzers „Ein treuer Diener seines Herrn“. — Modern im besten Sinne, gegenwartsnah, österreichisch; Grillparzer offenbart hier einen Reichtum des Wissens um die seelische Struktur des Menschen, der Weininger, Freud, C. G. Jung vorwegnimmt, an Geschlossenheit und Plastizität der Schau oft überholt — man sehe dieses in seiner Bruderliebe zerbrechende Weib, die Regentin, über die Bühne taumeln, begleitet von ihrem Bruder Otto, einem neurotischen Lüstling; man blicke auf Erny, die junge Gattin des Banus Banc, die nicht zu blühen wagt, und im ersten sengenden Anhauch einer Begegnung verbrannt wird; neben diesen drei Weibtypen (Otto von Meran gehört zu ihnen, seine Grausamkeit und Schwäche ist nur so zu verstehen) stehen, nein, schwanken die beiden Männer: Bancban, diese Geburt der Schwäche und Gnade, der im Leiden Große, eine Zeugengestalt, wie sie nur ein Dichter schaffen konnte aus einem Mitwissen, Mitleben vielhundertjähriger österreichischer Geschichte; an seiner Seite, sein Bruder ganz und gar, König Andreas, auch er gezeichnet von Versagen, Geduld, Verstehen und Verzeihen. — Ein Stück ohne Helden; ein Drama menschlichster Schwächen, dämonischer Leidenschaften. Es lohnte sch, einmal Grillparzers und Stifters Augen zu vergleichen: wie auf des letzteren Bildern, blicken beide in Nachtlandschaften der Seele; diese beiden österreichischen Realisten vermochten die Seelenkunde der Romantiker, wie kaum andere neben ihnen, in Gestalten zu verkörpern. — Kaiser Franz wollte bekanntlich dieses Werk nach seiner Erstaufführung dem

Dichter abkaufen und in seinem Archiv verbergen. Vom Standpunkt des Gottesgnaden-tums alter Ordnung aus mit vollem Recht: hier gibt es kein Geblütsrecht mehr, keine Könige und Fürsten, die von Gott ihr Recht und ihren Stand tragen. Grillparzer entkleidet hier, mit den Skalpell des Psychologen, den König, den Herzog, die Königin — weist 6ie als triebgeschüttelte, zerrüttete Menschenkinder aus, die sehr des Vergebens, Vergessens und Verzeihens bedürfen.

Hier gibt es keine Legitimität. Die Sterne, an die sich der Reich6verweser Bancban halten kann, leuchten nur in seiner Brust: die Idee eine6 Rechts, einer Ordnung, die nicht politischer, nicht ständischer, nicht sozialer Natur, sind, sondern durchaus in einer spiri-tualen Dimension beheimatet erscheinen. Aus ihr kommt dem Schwächling und Aktenkauz Bancban die Kraft zu, den Tod seiner Frau, die Feindschaft der eigenen Sippe, den Haß der Königin, und das Reich zu tragen. — Ein Verdienst der Regie ist nicht nur die Bearbeitung, sondern diese Lenkung der Schauspieler: kaum jemals haben wir Hilde Mikulicz so -ergreifend, Albin Skoda in einer so geschlossenen, packenden Leistung gesehen; 6einem Otto von Meran ist die Königin der Judith Holzmeister eine ebenbürtige Schwester. Fern allem Falsch-Theatralischen, vereinigt Baiser als Bancban in manchmal erschütternder Weise Züge des Kaisers Franz (schon in der Maske) und des Kaisers Franz Joseph. — Eine Habsburger-Tragödie also? Ja und nein. Ein österreichisches Drama, in der Radikalität seiner Ansätze, in seiner schonungslosen Aufrichtigkeit, in seiner Milde.

Wir wissen nicht, wem wir in persona das Gastspiel Werner Fincks in den Kammerspielen zu danken haben Zu danken aber haben wir Wiener dafür, daß hier zwei Stunden lang ein Mann aus Berlin allein auf der Bühne 6teht, und uns etwas „vormacht“. Finde erzählt in der „Kritik der reinen Unvernunft“ sein Leben. Das Leben eines kleinen Mannes, der 1902 geboren wurde, zwei Weltkriege, eine Diktatur, mehrere Scheinwelten und den Auf- und Abstieg großer Mächte erlebt hat. Und der bei alldem ein Mensch blieb, der sich nicht täuschen ließt der sein übervolles Herz nur ausschütten kann in halben Sätzen, die sein Auge ihm vermittelt, das unbestechlich die Kleinheit des .Großen“ und die Größe des „Kleinen“ 6ioht. — Kein Kabarettist, kein Romancier, kein bildender Künstler hat bis auf den heutigen Tag mit diesem mitleidenden Humor (der Berliner Zille war in manchem ihm kongenial) im deutschen Raum die Tragik des „Kleinen“ in diesen Jahren dargestellt. Der Mensch kriecht durch den Stacheldraht der Welt, durch jenen Stacheldraht, den die Pharisäer aller Konfessionen, mit all den öffentlichen Herumstehern, Salbenverkäufern, Pillendrehern, Predigtschmieden, diese „Humanisten“, Abendländer und „Christen“ nicht 6ehen wpllen. Wenn Finck vom Kommiß erzählt, in unnachahmlichen Gebärden die Abwürgung des Menschlichen beschwört, dann wird hier mehr sichtbar von der conditio humana in unseren Tagen als bei zahllosen acht- und vierzehntägigen Kongressen, von dickleibigen Traktaten ganz zu schweigen. Wir hoffen, daß Finck in Wien jenes Publikum findet, das er verdient. Der Beifall bei der Premiere war ein gutes Vorzeichen.

Liebenswürdiges Lustspiel im Akademietheater: „Die kluge Wienerin“ von Friedrich Schreyvogl. Die kaiserliche Stoa Marc Aurels (die von Friedrich dem Großen so sehr geliebt wurde ...), die Welt-klugheit des Römischen Reiches, der Adelsstolz 6einer Herrenkaste und der Starrsinn und die Logik des Juristen beugen 6ich hier, auf der Bühne, im Angesicht Vindobonas und seiner Rebengelände vor dem Mut und der Herzkraft einer jungen markomannischen Wienerin der Jahre vor 180 n. Chr. — Schreyvogl wandelt den homo-mensura-Satz des Protagoras und eben Marc Aurels ab zu seinem Leitsatz: mulier est mensura virorum — die Frau ist das Maß der Männer. Auf diesem soliden Fundament 6ind bekanntlich dutzende Lustspiele gebaut, es beweist seine Tragfähigkeit auch hier. Flott gespielt, ohne Längen, rollt das amüsante Spiel durch den Abend. Aslan als weiser, weltweiser Kaiser weiß der klugen Wienerin und dem Publikum zu danken. Um ihn gruppieren sich die Chargen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung