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Noch bevor Max Brod im Dezember 1968 gestorben ist, erhielt ich aus Israel eine Zuschrift, ich möge zu der Festschrift, die literarische Freunde zu dem im Mai 1969 stattfindenden 85. Geburtstag herausgeben wollen, einen Beitrag schreiben. Ich habe dies gern getan, dabei von dem Standpunkt ausgehend, daß so viele einen ästhetischen Beitrag oder kritische Urteile einschicken werden, daß ich mich anderweitig ausrichten sollte, und so schrieb ich, der ich um 20 Jahre jünger und mit Max Brod nicht verwandt bin, einen Artikel über „Max Brod und die jüngere Generation in Prag“ voll von Geschichten, Histörchen und Anekdoten, mit der wir Jungen oft in Opposition gegen Max Brod standen und ich hoffte, ihm, dessen Humor- und Selbstkritik ich kannte, eine Freude bereiten zu können — im Mai, den er nun nicht erleben wird. Ich wünschte ihm Gesundheit bis 120 Jahre, mit 20 Prozent Rabatt, mit der Bitte, ihn, den in der Kindheit Totkranken, überleben zu können, um ihm als letzter Mohikaner in unserer gemeinsameri Vaterstadt einen Dienst erweisen zu können, daß eine Straße nach ihm Max-Brod-Straße benannt werden möge. Ich habe nun mein Versprechen eingehalten und unter Hinweis auf seine Janäöek-Propaganda den Vorschlag beim Primator der Stadt eingebracht. Im Mai werde ich erfahren, ob mein Vorschlag akzeptiert wurde.

In all den vielen, meist ganz kurzen .Nekrologen,, in.,der tschechischen Presse ist das Janäcek-Thema angeschnitten worden, auch andere Kulturverbindungen, doch Brods Kampf für die weltweite Anerkennung des Josef Schwejk als eines der größten humoristischen Werke der Weltliteratur ist fast gar nicht gedacht worden. Das möchte ich nachholen.

Max Brod war Prager wie E. E. Kisch und Franz Werfe!, Piaristen-schüler, Gymnasiast. Erst als Jusstu-denrt schloß er in der liberalen Lese-und Redehalle Freundschaft mit Kafka. Während Kafka- in seinem Werke jede genaue Prager Koloritbeschreibung . unterließ, Adressen verschwieg, beschrieb sie E. E. Kisch reporterhaft detailliert und Max Brod dichterisch-malerisch. Brod war vor dem ersten Weltkrieg Postbeamter und hat sich viel mit Malerei beschäftigt, siehe sein Buch: Über die Häßlichkeit schöner Bilder. Ich habe — aus Privatband geborgt — zwei vergilbte Briefe Max Brods nun lesen können, die er — als der Disziplin der k. k. Postbeamten unterliegende Jurist auf einem kleinen Postamt in der Prager Villenvorstadt Bubenec an seinen Malerfreund in Paris, Georg Kars-Karpeles, geschickt hat, in denen er auch über seine bei der Behörde nicht gemeldeten Ausflugsreise nach Paris zu Kars und das damit zusammenhängende DipliMarverföhireilberlohtet.. Hier bäumt sich der ganze Freiheitsstolz des künftig berühmten Autors gegen die seelenlose Bürokratie auf.

Max Brod wurde nach dem Ersten Weltkrieg als Publizist in das Pressedepartement des tschechoslowakischen Ministerrats berufen, wo er einige Jahre arbeitete. Sein Amtskollege Dr. Bläha machte ihn auf die unscheinbare Hefteserie aufmerksam, in welcher die Abenteuer- des guten Soldaten Schwejk abgedruckt wurden. Papier und Aufmachung waren billig, schlecht, entsprachen eher einer Schmöckerliteratur von Mord- und Detektivgeschichten. Die guten tschechischen Leserkreise, die immer auf bibliophile Prachteinbände Wert legten, nahmen diese Literatur nicht zur Kenntnis. Sie ahnten nicht, daß hier der Offiziersbursche Putzfleck — im tschechischen Slang Schwejk genannt — ein Pendant zu anderen Bediensteten der Weltliteratur bilden werde, wie es bei Sancho Pansa, Leporello und Figaro der Fall war und ist. Der Grund lag auch darin, daß der Autor Jaroslav Hasek als verkommener Boheme, als Säufer,' Schuldenmacher und Bigamist gewertet wurde.

Jaroslav Hasek wurde am J30. April 18S3, gewissermaßen als Aprilscherz eines Versicherungsbeamten, in Prag geboren. Verwaist verläßt er das Gymnasium, wird Drogistenlehrling, um dann doch hoch auf der Ilandelsakademie sein Absolutorium machen zu können. Er macht seine, Lehrer in Zeitungen zum Spottbild,, und als er als Ver-'sicherungsbeamter nicht die nötige Ausdauer aufbringt, reist er gern als Wanderbursche, schreibt auf Bestellungen Humoresken, vertrinkt sein Honorar und lebt als Gast bei Freunden und Bekannten, ohne Dankbarkeit zu zeigen. Bei einem namens Brettschneider verkauft er dessen Möbel, und als er deswegen hinausgeworfen wird, beschließt er, in einem künftigen Werk sich durch die Namensgebung an einem österreichischen Polizeispitzel zu rächen. Er ist ein Hundefreund und schreibt für eine Tierschutzzeitschrift. Er verkehrt in BohemeLokalen, wo Egon Erwin Kisch den ersten Tango in Prag mit einem übel beleumdeten Mädchen tanzt, trinkt den Kumpanen das Bier weg, während diese tanzen oder hinausgehen, oder läßt sich die Zeche bezahlen für journalistische Anregungen, indem er unmögliche Situationen, witzig und sarkastisch, zum besten gibt.

Bereits im Jahre 1911, also drei Jahre vor dem Krieg, schildert er seinen künftigen Schwejk-Charakter: Ein Trottel bei der Kompanie. Er ließ sich überprüfen, daß er fähig sei, ein tüchtiger Soldat zu sein! Der Krieg bricht aus, und Jaroslav Hasek bekommt eine Folge von Bildern mühelos vorgespielt. Inmitten des blutigen, herzzerreißenden Krieges entstehen Szenen voll Humor und Lebensweisheit des.; kleinen böhmischen Mannes, der der Idiotie einer blindpatriotischen Führungskaste entgegengestellt wird. Hasek gerät in russische Kriegsgefangenschaft, schließt sich den linken Radikalen an, ohne jedoch von diesen als vollwertig, verläßlich , und politisch diszipliniert angesehen zu werden. Er kehrt mit einer zweiten Frau aus Rußland nach Prag zurück und findet auch hier keine sichere Basis. War diese zweite Frau eine wirkliche Fürstin Lvovä oder hat Hasek wie so oft vorher nur Spaß getrieben? Er gründete eine Partei des gemäßigten Rückschritts im Sinne des Gesetzes, seine Wahlreden endeten mit Gasthausskandalen, und Hasek trank weiter. Freunde brachten ihn aufs Land, damit er seine Abenteuer weiterschreibe, hauptsächlichst aber, um ihn vom Abschied isolieren zu können. Freunde kolportierten seine Hefte, schickten ihm Geld. Ein Schauspielerfreund Longen und dessen Frau mieteten am Wenzelsplatz ein kleines Theater und spielten Schwejk-Szenen. Die Tschechen, die sich entösterredchem wollten und eine neue ebensolche Bürokratie aufbauten, gröhlten vor Vergnügen über diese Satiren. Brod schrieb — er war ja Theaterkritiker: „Hasek ist ein Humorist des, allergrößten Formats, den mit Cervantes und Rabelais zu vergleichen vielleicht einer späteren Zeit nicht allzu gewagt erscheinen wird.“

Mit diesem Satz wurde die deutsche Übersetzung von Grete Reiner, die unter der Naziverfolgung im Konzentrationslager endete, propagiert, und Max Brod vereinigte sich mit Hans Reimann im Jahre 1923, um seine Szenenfolge auf die Bühnen des deutschen Sprachkreises zu bringen. Schon 1921 bedankten sich Hasek und Longen für die guten Brod-Kritiken, und Max Brod hat mir bei meinem Besuch in seiner Tel Aviver Wohnung gestanden, daß beide gesagt hätten: „Wenn den Schwejk ein Jud wie der Max Brod in die Hand nimmt, dann wird er ein Welterfolg!“

Noch vor der Piscator-Premiere in Berlin starb Jaroslav Hasek am 3. Jänner 1923. Sein Werk ist noch immer aktuell, wird viel zitiert, auch wenn die neue Tschechoslowakische Republik damals darin kein Erziehungsmittel für neue stramme Soldaten sah. Der Verleger Emil Sole gab an, daß man noch zwei Neuauflagen zu 8000 Stück machen könne, daß aber nach zehn Jahren der neuen Generation der Inhalt verschwommen vorkommen wird und sich wohl kaum Leser für das Werk finden werden. So schließt der Notariatsakt vom 20. August 1923!

In der Zwischenzeit ist der Schwejk in viele Fremdsprachen übersetzt, verfilmt und dramatisiert worden. Im Zweiten Weltkrieg ist er durch Brecht modernisiert worden, nun gibt es den Schwejk im Prager Fernsehen und als Souvenir, in Deutschland ist er ein dutzendmal verfilmt worden, so auch mit Hans Rühmann. Nach Jaroslav Hasek ist in Prag eine Gasse benannt. Alljährlich wird ein Humorfestival organisiert, und ich hoffe, daß nun auch Max Brod eine Straßentafel in Prag erhalten wird. Er hat es nicht nur mit seiner Janäcek-Entdeckung, sondern auch mit seiner Schwejk-Propaganda verdient. Er hat dieser Stadt seine zwei schönsten Romane gewidmet und in seinen in Israel geschriebenen Novellen (Die Rosenkoralle, Stadt im Dunkel, Beinahe ein Vorzugsschüler) beschreibt er mit nostalgischer Liebe die Schönheit der Moldaustadt, so daß wir jeden seiner Schritte erkennen, während wir bei Franz Kafka nur mit viel Lokalkenntnissen und Einfühlungsvermögen die Stätten erkennen können, die er in seine Schriften gebannt hat.

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