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Preußin im besten Sinn des Wortes

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Wer ist diese 87-jährige Frau mit dem Lachen und der Energie eines Mädchens, der Zähigkeit eines Häuptlings und der Strenge eines preußischen Offiziers? Wo liegen die Wurzeln ihres unermüdlichen Engagements, ihrer Aufgeschlossenheit, ihres politischen Verantwortungsbewußtseins? Fragen, die über Marion Gräfin Dönhoff, die Alice Schwarzer seit einem Interview mit der „roten Gräfin" nicht mehr losließen. Nun hat die Herausgeberin und Chefredakteurin der feministischen Zeitschrift „Emma" ihr „großes Vorbild" porträtiert und ein hochpolitisches, nicht nur für Frauen ermutigendes Buch geschrieben.

Komteß Dönhoff wird im Dezember 1909 aufSchloß Friedrichstein in Ostpreußen geboren. Die Mutter, bereits 40, wird mit „Untertänigst guten Morgen, Exzellenz" begrüßt. Sie achtet streng auf gute Sitten und engagiert sich für die armen I>eute der Umgebung. Den Vater, ehemaliger Diplomat und weitgereister Freigeist, bewundert die kleine Marion für seine unkonventionellen Ideen und sein Auftreten, das in Adelskreisen mitunter als „shocking" empfunden wird.

Marion ist die jüngste von sieben Kindern und so bleibt ihre Erziehung dem Zufall überlassen: Sie besucht lange keine Schulen und verbringt ihre Zeit mit Beiten, Bäumeklettern und Indianerspielen mit Brüdern und Dbrfkindern. Ihre liebste Beschäftigung: „Verbote überschreiten". Bis zum elften Lebensjahr teilt sie das Zimmer mit ihrer mongoloiden Schwester, was sie später als sehr schwierige Erfahrung beschreibt und sie den selbstverständlichen Umgang mit Außenseitern lehrt.

Mit 15 Jahren kämpft sie mit der Mutter um die Erlaubnis, in Berlin am Lyceum Abitur zu machen, was

für ihre Schwestern noch undenkbar gewesen wäre. Nach einem Jahr Mädchenpensionat wird sie einzige Schülerin einer 18-köpfigen Bubenklasse, holt alle Lücken auf und studiert in Frankfurt Volkswirtschaft.

Einige Mitschüler sind begeisterte Nazis. Sie will sich ein Urteil bilden und hört sich eine Rede Hitlers an: „Er trat auf, tobte, geiferte und redete, wie ich fand, viel Unsinn." So steht sie dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber und auch den Kommunisten, deren Mut sie später bewundert. Sie fühlt, daß „die Demokratie von Radikalen aufgefressen wurde".

Als es an der Uni zu ersten Ausschreitungen gegen jüdische Professoren kommt, geht sie nach Basel, wo sie über den Marxismus promovieren will. Ihr Doktorvater rät ihr, doch über den Großgrundbesitz ihrer Familie zu forschen, da vom Marxismus andere mehr verstünden. So kehrt sie in ihre Heimat zurück und erforscht penibel die Geschichte ihrer Familie und des Schlosses, das später beim Einmarsch der Russen mit allen Kunstschätzen ein Raub der Flammen wird. Ab 1937 verwaltet sie die Güter, wohl wissend, daß Hitler einen Krieg anzetteln und Ostpreußen verloren sein wird.

Durch Freunde gerät sie in den „Kreisauer Kreis", den zivilen Arm der Hitler-Attentäter vom 20. Juli. Sie knüpft Kontakte und übermittelt Informationen, wer in der „Provinz" (so wird Ostpreußen genannt) sofort nach dem Attentat eliminiert werden muß und wer für den Aufbau eines freien Deutschland in Frage kommt. Die „Kreisauer" sind jung, adelig und Männer - Marion ist wieder einmal die einzige Frau. Was folgt ist bekannt und steht in ihren „Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli - Um der Ehre willen".

Die engsten Freunde werden nach dem mißglückten Attentat gefoltert

und gehängt. Sie überlebt, weil sie um ihr Leben lügt und Glück hat. Noch einmal rettet sie ihr Leben mit einem siebenwöchigen Ritt im Jänner 1945 von Ostpreußen nach Westen. Sie wird noch strenger, härter und disziplinierter. „Nichts konnte schlimmer sein, als alle Freunde zu verlieren und allein übrigzubleiben," schreibt sie fast 50 Jahre später.

Der Rest dieser Lebensgeschichte spielte sich seit der Gründung der „Zeit" 1946 im Licht der Öffentlichkeit ab. Marion Dönhoff gehört zum Gründungsteam der Zeitung, die damals acht Seiten umfaßte. „Laßt uns eine Zeitung machen, die uns selber gefällt", war der Tenor der Redaktion. Daß sie, weit über ihre journalistische Tätigkeit hinaus, als außenpolitische Vermittlerin auftrat, sich stets für Frieden und gegen Vorurteile engagierte und mit ihren unkonventionellen Auffassungen nicht nur Sympathien erntete, ist bekannt. Bekannt ist auch, daß „die Gräfin" als Instanz, Respektsperson und strenge Mentorin der Zeitung noch immer sehr eng verbunden ist.

Alice Schwarzer hat „die Prüfung", der sie sich mit der Arbeit an dieser Biographie unterzog, hervorragend bestanden. Aus vielen Mosaiksteinen aus dem Leben vom Marion Gräfin

Dönhoff hat sie ein eindrucksvolles und facettenreiches Bild montiert. Voll Respekt vor einer Frau, die eine „lässige Jungs-Sammlung" von Freunden präsentiert und doch kein Wort über ihr Privatleben verliert. Die als rasante Porsche-Fahrerin bekannt ist und doch „je älter desto grüner" wird. Die mit Selbstdisziplin und Strenge über körperliche Befindlich -keiten hinwegsieht, um Raum für Sensibilität und Offenheit zu schaffen. Eine Frau, die sich bei Punkern für das unaufgeräumte Büro entschuldigt und sich daheim den „Luxus" einer Haushälterin leistet. Einer Frau, die mit Gorbatschow mit gleicher Neugier spricht wie mit jenen haftentlassenen Männern, deren Haus sie aus ihren Buchtantiemen finanziert. Die höchste berufliche Anforderungen stellt und sich doch unermüdlich für junge Menschen einsetzt und sie lehrt. Die - so Alice Schwarzer - mehr Fragen als Antworten hat. Darin treffen sich wohl Biographin und Porträtierte in ihrem journalistischen und menschlichen Selbstverständnis.

MARION DONHOFF

Ii!!! widerständiges Leben. VMj Von Alke Schwarzer.

Kiepenheuer & Mötsch, Köln 1996.

345 Seiten, geb., öS 295,-

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