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Prickelnde Koketterie mit dem Bösen

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Mord, lautet die Anklage gegen Elfriede Blauensteirter. Kommende Woche steht sie in Krems (NO) vor Gericht. Einmal mehr ein Prozeß, der Publikum lockt und für ein Medienspektakel sorgt.

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Mord, lautet die Anklage gegen Elfriede Blauensteirter. Kommende Woche steht sie in Krems (NO) vor Gericht. Einmal mehr ein Prozeß, der Publikum lockt und für ein Medienspektakel sorgt.

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Der pensionierte Postbeamte aus der Wachau suchte eine Gefährtin für den Lebensabend. Auf ein Inserat in der Zeitung meldete sich Elfriede Blauensteiner. Sie wäre bereit, mit ihm die Pensionsjahre zu verbringen und ihn zu umsorgen und zu pflegen. Oder war es das Vermögen, das sie reizte? Elfriede Blauensteiner soll dem Mann jedenfalls eine Uberdosis Medikamente .verabreicht haben. Auf selbe oder ähnliche Art und Weise soll sie weitere Morde begangen haben. Ein Wiener Rechtsanwalt soll ihr geholfen haben, durch ein fingiertes Testament an das Vermögen des Verstorbenen heranzukommen - gegen Provision. Jetzt steht er ebenfalls vor dem Richter.

Eine wegen Mordes angeklagte Witwe, ein Anwalt aus einer gutsituierten Wiener Familie als ihr angeblicher Helfer im Hintergrund, und Ex-Justizminister Harald Ofner als ein besonders prominenter unter den fünf Verteidigern das ist der Stoff, aus dem die Krimis sind und nach dem das Publikum lechzt.

Da der Andrang zu groß und der Schwurgerichtssaal des Kremser Landesgerichtes zu klein ist, werden vor Prozeßbeginn Eintrittskarten aufge legt. 48 für das „gewöhnliche" Publi

kum, die restlichen 48 für Journalisten. So ein Prozeß läßt sich allemal gut verkaufen)» die Titelstories bekannter und weiterverbreiteter Blätter sind evident: „Die Mörderwitwe" titelte ein Boulevardblatt schon lange vor der Verurteilung der Angeklagten.

Wer aber mit Medienberichten nicht genug hat, der stellt sich persönlich im Schwurgerichtssaal ein und erlebt das „Duell" live mit. Wieviel an grauslichen Details entlockt der Bichter der Angeklagten? Wieviel schafft der Staatsanwalt? Oder gelingt es den Strafverteidigern, 'die Geschworenen umzustimmen, die Indizien anders zu interpretieren?

Harald Seyrl, Leiter des Wiener Kriminalmuseums, vergleicht im Gespräch mit der FlJRCHK solche Prozesse mit Fußballspielen: „Da genügt es vielen, das Ergebnis aus den Zeitungen zu erfahren, anderen genügt das nicht. Sie suchen die Wahrheit, das eigene Erleben, die Unmittelbarkeit."

Verteidiger Harald Ofner sieht im großen Publikumsandrang nicht nur beim „Blauensteiner-Prozeß" - einen „Sado-Masochismus" der Menschen: „Das ist wie bei einem Verkehrsunfall. Man geht hin und schaut sich das an, obwohl man von vornherein weiß, daß einem davor graust."

Öffentliche Prozesse ziehen damals wie heute Menschen magnetisch an -vom Prozeß gegen Jesu bis zum medial bis aufs letzte ausgeschlachteten Verfahren gegen den amerikanischen Football-Star 0. J. Simpson.

Noch sensationeller und daher publikumsträchtiger als die Verhandlungen selbst war in früheren Zeiten die Vollstreckung. Hunderttausende Wiener kamen - zum Teil mit Picknick-Koffern ausgerüstet -, als im

April 1868 der Mädchenmörder Georg Ratkay bei der „Spinnerin am Kreuz" gehängt wurde.

Das schaurige Spiel war „blendend" inszeniert. Schon drei Tage vor der Hinrichtung wurde der Delinquent am I lohen Markt „zur Schau gestellt". Untermalt von Trommelwirbel und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung verlas der Gerichtsdiener das Urteil. Bei der Hinrichtung selbst kam es zu Tumulten und Bau-fereien unter den oft betrunkenen Zu-sehern.

Was ist heute so faszinierend an Prozessen, was zieht die Menschen zu derartigen Vorführungen?

Kriminologe Harald Seyrl zieht einen Vergleich heran: „das Kaninchen im Käfig interessiert niemanden, der Löwe im Käfig, das ist schon etwas anderes." Sein Schluß: „Es ist die gebannte Gefahr, die die Leute lockt". Werner Ogris, Professor für Rechtsgeschichte an der Juridischen Fakultät der Universität Wien meint, daß es wohl die „Sensationslust, verbunden mit Rachegefühlen und einer inneren Befriedigung" ist, die Menschenmassen zu derlei Veranstaltungen treibt.

Seit öffentliche Hinrichtungen passe sind, müssen die großen Sensationsprozesse herhalten. Für die Menschen sind diese Prozesse ein kostenloses Schauspiel, meint Seyrl.

Ein weiterer Grund sei die Koketterie mit dem Bösen in sich selbst. Der Mensch will wissen, was ihm passiert, wenn er bestimmte Grenzen überschreitet. „Dazu kommt eine gewisse Betroffenheit - jeder könnte schließlich selbst das Opfer gewesen sein",

meint Walter Winalek, Bichter im Blauensteiner-Prozeß.

Der Wiener Psychotherapeut Alfred Pritz analysiert: „Wir haben alle eine dunkle Seite in uns. Es geht den Menschen um das geistige Spiel mit dem Bösen in sich und mit den Randseiten des bürgerlichen Lebens. Dazu kommt noch ein Wonnegefühl, nicht selbst der Angeklagte oder das Opfer zu sein."

Da nicht jeder beim Prozeß dabeisein kann, nehmen die Medien ihre Rolle als Vermittler wahr. Sie können auf ein archaisches Verhalten des Menschen zurückgreifen, indem sie die „Späher-Rolle" übernehmen, die mehr oder minder skrupellosen Herolde des Greuels sind und nicht nur die Verhandlungen detailgetreu schildern, sondern gerne auch - und immer wieder - das Verbrechen.

Oft wird der Prozeß als Aufmacher für den hundertsten Abklatsch der Übeltat mißbraucht. Wie eben zur Zeit beim Mordprozeß in Krems. Der Stoff eignet sich für die Titelseiten der Boulevardblätter. An l,esern solcher Stories mangelt es nicht.

Die Gerichte, die Prozesse, die Abläufe einer Verhandlung laden zum Zusehen, zum Teilhaben richtiggehend ein. Alfred Pritz erklärt das so: „Prozesse sind strukturiertes Ritual mit starken theatralischen Aspekten: die Requisiten wie Kreuz, Talar, Sitzordnung und die handelnden Personen, das gesellschaftliche Uber-Ich repräsentiert durch den Richter, den Staatsanwalt und die Schöffen."

So widerlich dieses Spektakel in der /Öffentlichkeit einem vielleicht auch erscheinen mag, so hat die Geschichte doch auch noch eine andere Seite: Harald Ofner, der im Blauensteiner-Prozeß den mitangeklagten Rechtsanwaltverteidigt, meint: „interessiertes Publikum und Medienpräsenz tragen zu einer fairen Prozeßführung bei, weil sich alle mehr zusammenreißen müssen und genau überlegen, was sie tun."

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