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Probleme von gestern

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Generation steht gegen Generation. Seit je. Eine Kluft hat es immer wieder zwischen Vätern und Söhnen gegeben, eine jeweils neue Art, das Leben zu leben, eine neue Weltsicht ist die Ursache. Gerhart Hauptmann hat vor siebzig Jahren ein Drama geschrieben, das diesen Gegensatz vorführt: „Michael Krämer.“ Gerade aus den Erfahrungen unserer Zeit mit der weltweit rebellierenden Jugend ist es bei der neuerlichen Wiedergabe — Aufführung im Akademietheater — fesselnd zu sehen, wie sich in diesem Stück das Nichtverstehen der beiden Generationen ausprägt. Bezeichnenderweise bleibt da der Sohn ein Einzelfall, der Widerstand beschränkt sich auf ihn.

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Generation steht gegen Generation. Seit je. Eine Kluft hat es immer wieder zwischen Vätern und Söhnen gegeben, eine jeweils neue Art, das Leben zu leben, eine neue Weltsicht ist die Ursache. Gerhart Hauptmann hat vor siebzig Jahren ein Drama geschrieben, das diesen Gegensatz vorführt: „Michael Krämer.“ Gerade aus den Erfahrungen unserer Zeit mit der weltweit rebellierenden Jugend ist es bei der neuerlichen Wiedergabe — Aufführung im Akademietheater — fesselnd zu sehen, wie sich in diesem Stück das Nichtverstehen der beiden Generationen ausprägt. Bezeichnenderweise bleibt da der Sohn ein Einzelfall, der Widerstand beschränkt sich auf ihn.

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Arnold, der Sohn des Malers Michael Kramer, eines Lehrers an einer königlichen Kunstschule, ist verwachsen, hochbegabt, ergibt sich aber — Parallele zu den Hippies — dem Müßiggang und droht zu verkommen. Er haßt den korrekten, als Maler mittelmäßigen Vater. Worin besteht nun die Rebellion des Sohnes? Verstockt belügt er ihn, der es mit ihm gut meint, er starrt in einem Gasthaus provokant eine Tischrunde von Spießern an, unter denen sich der Verlobte der Wirtstochter befindet, die er verehrt. Das ist alles. Es kommt mit den Angeheiterten zum Krach, Arnold eilt davon und stürzt sich in den Fluß. Wohl treibt ihn unbewußte Selbsterkenntnis zum Freitod. Die Provokation ist geringfügig, zu einer wirklichen Rebellion kommt es nicht. Unterschied zu heute.

Nun hat Rainer Maria Rilke einen seiner Gedichtbände Gerhart Hauptmann aus Dankbarkeit für „Michael Kramer“ gewidmet. Diese hohe Schätzung ist berechtigt, denn wie dieser Maler den Tod seines Sohns,

zu dem er vergeblich ein Vertrauensverhältnis gesucht hat, aufnimmt, wirkt ergreifend. Alle Kritik an ihm, den er als „Tunichtgut“ bezeichnete, fällt ab, es ist wie ein sich Beugen vor dem ewig Unerforschlichen des anscheinend unabänderlich Notwendigen in der Wesensart der Menschen, im Lauf der Dinge, ein Sichbeugen vor dem Tod, den er nun geheimnisreich als der ewigen Liebe Meisterstück bezeichnet.

Unter der Regie von Wolf gang Glück entsteht eine dichte Aufführung, die im Besinnlichen wie im Erregten gut durchgetönt ist. Ewald Baiser gibt von sich aus der meisterhaft gezeichneten Gestalt des Michael Kramer eine sordinierte Heiterkeit, die eben von seinem Sichfügen in die leidvolle Gelegenheit kommt. Bei Joachim Bißmeier als Arnold spürt man den inneren Druck in seiner Verbohrt-

• Das Ensemble Musica Antiqua unternimmt unter seinem Leiter Bernhard Klebel vom 9. Februar bis Anfang März seine zweite Konzerttournee durch die UdSSR und Polen, spielt insgesamt 20 Konzerte in Moskau, Leningrad, Tiflis, Odessa, Lemberg, Kiew und Warschau (Programm: „Musik an europäischen Fürstenhöfen“).

• Eduard Angeli stellt bis 8. Februar in der Künstlerhausgalerie Gemälde und Zeichnungen aus.

• „Egon Schiele und seine Zeit“ heißt eine Ausstellung in Manfred Scheers Galerie 10.

heit, sein Trotz wird nur gelegentlich von einem Aufbegehren durchbrochen. Als seine Schwester ist Elisabeth Orth überzeugend, die nicht sehr begabte, ihrem Vater in Liebe ergebene Tochter. Klaus Behrendt als ehemaliger Schüler Kramers, der es zu nichts gebracht hat, Ida Krottendorf als munter-oberflächliche Wirtstochter, Hilde Wagener als besorgte Mutter heben sich stärker unter den Mitwirkenden heraus. Milieugerechte Bühnenbilder schuf Sibille Alken.

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Im Theater in der Josefstadt wird ebenfalls ein Rückblick, und zwar auf die Gesellschaft des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, geboten. Die Titelgestalt von Ibsens Schauspiel „Hedda Gabler“ ist durch und durch Dame aus gutem Haus, verheiratet mit einem spießigen, aber gutmütigen Wissenschaftler, langweilt sich „zu Tode“, weil ihr jedes Talent fehlt, „Liebe“ ist für sie ein ekelhaftes Wort, ihre werdende Mutterschaft findet sie widerwärtig. Hedda wirkt symbolhaft für eine

untergehende Gesellschaft, für ihre Unfähigkeit und Leere. Doch fühlt sich diese Generalstochter nicht wie'andere in Plattheit und Öde wohl, sie spürt peinigend ihr Ungenügen, aus dieser Ohnmacht ersteht die Sehnsucht nach der erlösenden Tat. Worin besteht sie? In Zerstörung, etwas anderes ist ihr nicht möglich. Mit perverser Lust treibt sie den fast genialischen Kulturkritiker Lövborg — Futurologe würde man heute sagen — in den Tod, verbrennt sein neues Werk, von dem es keine Abschrift gibt, es geschieht zugleich aus Neid auf ihre einstige Institutskameradin Elvsted, die ihn hingebend liebt, verehrt, mit ihm an seinem Buch arbeitete.

Bietet dieses Stück nur einen gesellschaftskritischen Rückblick auf eine versunkene Zeit? Aus der Ohnmacht heraus, das Gefühl zu haben, daß es einer erlösenden Tat bedürfe, war nun, wie bei Hedda, in eminentem Maß auch der Gesellschaft vor den großen Kriegen inhärent. Die erlösende Tat brachte ungeheuerliche Zerstörungen, die Büchse der Pan-dora war geöffnet, sie hat sich seitdem nicht wieder geschlossen. Hierin wirkt Heddas Zerstörungslust sinnbildlich noch für heute. Partiell sinnbildlich, denn in alldem Zerstörenden hat sich auch Wertvolles gebildet.

Die Aufführung unter der Regie von Dietrich Haugk leidet vor allem unter der unzulänglichen Besetzung der Hauptgestalt. Eva Kerbler ist als Hedda keine Dame, die sich peinvoll langweilt und dann verbrecherisch exaltiert, sie ist lediglich ein unge-

zogenes Weibkind mit flirrendem Gehaben. Völlig falsch. Dagegen hat Karlheinz Böhm durchaus das Hilflos-Gutmütige ihres Gatten. Beste Leistung des Abends. Ohne sonstige Maniriertheit gibt Peter Vogel dem Lövborg die Haltlosigkeit und spätere Verstörung, das Genialische fehlt. Kurt Heintel wirkt als lebemännischer Brack etwas zu männlich aufrecht, Maria Emo glaubt man die Schlichtheit der Elvsted, Erna Korhel bietet als altjüngferliche Tante zwar Herzlichkeit, aber nicht das zerfließend Naive. Das zeitgerecht überladene Bühnenbild entwarf Roman Weyl, für die passablen Kostüme zeichnet Dagmar Schau-berger.

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Parodien auf Bühnenwerke gab es schon früher auf dem Theater. Doch eine Parodierung des Films, einer bestimmten Gattung, wie hier des Western, ist auf den Brettern neu. Reni de Obaldia hat unter dem poetischen, daher irreführenden Titel „Wind in den Zweigen des Sassafras“ einen „Kammerwestern“ geschrieben, der keineswegs die Weite der Pampas benötigt, sondern selbst auf kleiner Bühne — Aufführung im Theater der Courage — gespielt werden kann. „Sassafras“ ist ein nordamerikanischer Baum, das Geräusch, das der Wind in seinen Zweigen verursacht, wird von den Indianern nachgeahmt. Nun, es gibt da sehr viel Geknalle mit Kinderpistolen, denn das Blockhaus, in dem das Stück spielt, wird von den Rothäuten immer wieder belagert. Der Witz besteht in der Häufung und Übertreibung all der kitschigen Motive, die den Western kennzeichnen. Mit den typischen Gestalten dieser Filme werden cowboyhafte Allüren, heldische Haltung in Gefahren, dick sentimentale Wildwestromantik karikiert, wobei sich die primitiven Figuren immer wieder der Ausdrucksweise Intellektueller bedienen, die ihnen so gar nicht entspricht. Das ist streckenweit recht amüsant, reicht aber nicht für einen ganzen Abend. Durch den Spieleifer aller Darsteller entsteht unter der Regie von Werner Prinz eine flotte Aufführung. Von Wolfgang Muller-Karbach stammt das naturalistische Bühnenbild.

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