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Problemreidie Zauberinsel

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Leopardenanzug der spektakuläre Coup auf ein Camp der französischen Sicherheitspolizei, wobei den Angreifern an die vierzig automatische Waffen in die Hände fielen, die kaum zu munterem Tontanbenschießen verwendet werden dürften. Es kommt zu blutigen Auseinandersetzungen mit Muselmanen/ und keine der beiden Parteien kann sich über mangelhafte Bewaffnung beklagen. Mit Schrecken sieht sich der französische Bürger zwischen zwei extremen Haufen, denen die Messer und Pistolen gleichermaßen locker im Gürtel sitzen.

Die Franzosen der Metropole sind nicht bereit, nach dem Gesetz von Bab-el-Oued anzutreten. Sie tendieren ohnehin — wie schon nach der Liberation — dahin, die geschichtliche Schuld mit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu identifizieren, um sich durch einen glatten und rücksichtslosen Abstrich wie in einem Akt der Selbstreinigung Absolution zu erteilen. Gewiß, ihr Verhalten gegenüber den Algerienfranzosen ist von beflissenem Anstand. Aber im großen und ganzen fühlen sie sich doch von ihnen drangsaliert und wünschen sie nach Pfefferland oder doch mindestens dahin, wo sie hergekommen sind. Die Karambolage der beiden denkbar verschiedenen Mentalitäten ist also durchaus unsanft.

Für die Behörden bestand keinen Moment Zweifel, daß die Ordnung nur durch energisches und schnelles Handeln gewahrt werden kann. Diese Absicht ist jedoch nicht leicht zu verwirklichen, denn der Strom der Algerienfranzosen hat beträchtliche Unordnung gestiftet. Die Ankunft der algerischen Fischerflotte hat aus Port Vendres ein kleines Hongkong gemacht, und das unkontrollierbare, unübersehbare Anwachsen Marseille um 130.000 neue Einwohner droht diese Stadt — die sich nie durch besondere Sittenstrenge hervortat — in ein zweites Chikago zu verwandeln. 20.000 zusätzliche Personenwagen au Algerien zirkulieren in Marseille, deren Nummernschilder keiner Verwaltung bekannt sind, da die entsprechenden Archive längst in Rauch und Flammen aufgegangen sind. Aber “kommen - auch 'gaitte Schiffsladung

itfi^#eWörralauswerse! WeptUfl' geopfert haben — ein unerträglicher Gedanke für den französischen Polizeigeist, der mit philatelistischer Sorgfalt alle amtlichen Spuren hortet, die der normale Staatsbürger pflichtschuldigst hinterläßt.

Die Beamten der einschlägigen Pariser Ministerien haben sich dies anders vorgestellt. Sie rechneten mit einem Rhythmus der Repatriierung, der tunlichst dem Gebot der französischen Wirtschaft Rechnung getragen hätte. Aber ihre Kalkulationen sind hoffnungslos über den Haufen geworfen worden, und zu ihrem großen Ärger bleibt es auch heute noch völlig undurchsichtig, in welchem Umfang sich die Algerienfranzosen in der Metropole ansiedeln werden. Man addierte in groben Umrissen die Zahlen der vermutlich in Algerien ausscheidenden Landwirte, Funktionäre, Staatsangestellten und Angehörigen freier Berufe und gelangte zu einer Summe von 160.000 Rückwanderern. Aber man hätte wohl ebensogut das Alter des Kapitäns der „Ville d' Algier“ mit der jährlichen Champagnerproduktion in Hektolitern multiplizieren können.

Was die Planer gänzlich übersehen haben, ist die Tatsache, daß die „pieds noirs“ Sonnenanbeter sind und nicht die geringste Lust verspüren, sich dort anzusiedeln, wo ihre Berufsklassen gerade gebraucht würden. Man hat achthundert von ihnen unter Anwendung gerissenster Überredungskünste in einen Zug nach Nantes gesteckt, doch bei der Ankunft waren es — wie die kleinen Negerlein — nur noch ihrer fünf. „Wollen Sie jetzt auch noch, daß ich erfriere7“ empörte sich eine würdige Dame. Und ein anderer, dem man Straßburg empfohlen hatte, weigerte sich indigniert, nach Deutschland zu gehen, „wo mein Vater 1914 ein Bein verloren hat“. Aber die Behörden können sich verständlicherweise nicht mit dem Gedanken befreunden, daß die „piods noirs“ sich in der Mittelmeerregion ein Reduit schaffen und einen Staat im Staate bilden, wie es manche ihrer halbpolitischen Organisationen anregen.

Wer von Madras herkommend Ceylon anfliegt, zuerst in Jaffna und dann in Colombo landet und im Tiefflug über Trincolamee schon viel von der tropischen Landschaft aus der Vogelschau gesehen hat, kann kaum glauben, daß diese paradiesisch schöne Insel mit schweren sozialen und politischen Problemen belastet ist. Alles scheint hier zum besten bestellt zu sein. Das feuchtheiße, aber nie zu heiße Klima gestattet eine jährlich zwei- bis dreimalige Ernte. Ein Land, das nur so groß ist wie Bayern, produziert nach Malaia die größte Kautschukernte, in den Höhenlagen der gebirgigen Insel wird der beste Tee der Welt gewonnen. Endlose Kokosnußhaine schmücken die Küstenstreifen. In dieser malerischen Landschaft lebt der vielleicht schönste Menschenschlag ganz Asiens. Nirgends sonst kann man

— wie Bernhard Shaw bemerkte — so viele verschiedenartige Köpfe sehen: „Ich verbrachte einmal je eine Woche in Bombay und eine in Ceylon, und dies waren zunächst meine einzigen Eindrücke von Indien. Ich wurde davon überzeugt, daß Ceylon das Ursprungsland des Menschengeschlecht* ist, denn jeder ist dort ein Individuum, ein Original. Alle anderen Nationen sind nur nachgebildete Massenprodukte.“

Eine uralte Sage will wissen, daß Ceylon tatsächlich „die Wiege der Menschheit“ ist. Sie verlegt das Paradies auf diese Insel und läßt Adam nach der Vertreibung aus dem Paradies über die „Adamsbrücke“ auf dem Festland seinem harten Bauernlos entgegenwandern. Der vierthöchste Berg der Insel wird „Adams Peak“ genannt. Auf ihm wird eine Spur gezeigt, die ein Abdruck von Adams Fuß sein soll. Die Buddhisten behaupten, daß es Buddhas Spur, die Hindus, daß es Shivas Hinterlassenschaft sei. Alle drei Religionsgemeinschaften der Insel

— Christen, Muslime und Hindus -beanspruchen diesen Berg. Bei ihre! Verehrung der heiligen Stätte kommen sie sich gegenseitig ins Gehege.

Seit Jahrtausenden stellte die fruchtbare Insel einen Zankapfel erster Ordnung dar. Die primitivsten Ureinwohner, genannt Veddas, von denen es heute noch 800 „Exemplare“ gibt, wurden im Laufe der Jahrtausende immer mehr von den aus Indien einströmenden Völkerschaften, den Ariern, Arabern, Tamilen buddhistischer und hinduistischer Zugehörigkeit zurückgedrängt. Zeitweise herrschte ein Kaiser von China, ein malaiischer und eir burmesischer König, ja sogar ein Sultan von Ägypten über diese Insel. Schließlich machten sich die Portugiesen, die Holländer und die Engländer Ceylon untenan. Die britische Regierung gestattete die Einwanderung Hunderttausender von Tamilen aus Südindien. Mit dieser starken, arbeitsamen Minderheit und den Christen festigte sie ihre Herrschaft. Als das Land am 4. Februar 1948 die Unabhängigkeit erlangte, standen einander fünf Millionen vorwiegend buddhistische Singhalesen, eine Million fast ausschließlich hinduistische Ta-mailen und etwa 700.000 Christen und 5 00.000 Mohammedaner, Malaien vind Burgher, das sind Abkömmlinge der holländischen Kolonialbeamten, gegenüber.

Das Unglück wollte es, daß die ersten acht Jahre des unabhängigen Ceylon von einer Cliquenherrschaft alteingesessener singhalesischer Familien diktiert waren, welche alle Nachteile des Kolonialismus zeitigten, ohne seine Vorteile aufzuweisen. Um die eigenen Taschen zu füllen, wurde der ausländischen Hochfinanz in die Hände gespielt, sozusagen alle ausländischen Devisen aufgebraucht und im großen Stil gelebt, während sich für die großen Massen wenig änderte. Diese Mißwirtschaft der Vereinigten Nationalpartei führte im Jahre 1956 zu einer Revolution, welche die sogenannte Ceylonesische Freiheitspartei (Sri Lanka Freedom Party, kurz genannt SLFP) an die Macht brachte. Es handelte sich hier jedoch nicht um eine liberalistische, sondern vielmehr um eine sozialistische Partei, welche unter der Leitung ihres ersten Ministerpräsidenten Bandaranaike sich ernstlich um die Durchführung sozialer und ökonomischer Reformen bemühte. Da sich sein Kabinett auf die Schützenhilfe der Kommunisten im Parlament stützen mußte, waren seine Hände jedoch weitgehend gebunden. Am 26. September 1959 fiel dieser Mann einem Attentat zum Opfer.

In ganz Südasien kommt e? immer wieder vor, daß die Frau eines Ermordeten aufgerufen wird, das Lebenswerk ihres Mannes zu vollenden. Eine Witwe hat hier ohnehin wenig Aussicht, sich wieder zu verheiraten. Jeder große Mensch übt nach indischer Auffassung auf seine Umgebung das sogenannte „Darshan“, das heißt eine gleichsam heilsame Persönlichkeitsausstrahlung, aus, in deren Besitz die Schüler gelangen möchten. Wer ist aber mehr unter den Einfluß des Darshan von Mr. Bandaranaike geraten als seine Frau? Sivimare Bandaranaike übernahm die Ministerpräsidentschaft ihres Mannes.

Am 20. Juli i960 erzielte die Partei von Mrs. Bandaranaike einen durchschlagenden Erfolg. Die SLFP stellte 77 Mitglieder des hunderteinundfünf-zigköpfigen Parlaments. Die Position der Vereinigten Nationalpartei verlor abermals mehr als 20 Sitze und mußte sich mit 29 Abgeordneten begnügen-Die drei kommunistischen Parteien — die Trotzkisten, Moskowiter und Nationalkommunisten — brachten es auf insgesamt 19 Abgeordnete. Frau Bandaranaike hatte eine sichere parlamentarische Mehrheit und brauchte auf die Anliegen keiner anderen Partei mehr Rücksicht zu nehmen. Mit der Hilfe ihres 32jährigen Neffen Felix Dias Bandaranaike, der als zukünftiger Diktator Ceylons bezeichnet wird, begann sie die „nationale Sozialisierung“ im Stile Nehrus durchzuführen. Die schönen Zeiten der Hochfinanz waren vorüber. Die ausländischen Interessen wurden beschnitten. Den amerikanischen Ölgesellschaften wurden die besten Tankstellen weggenommen und eine nationale Petroleumgesellschaft, welche russisches Benzin verteilt, in Leben gerufen.

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