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Prophet im Vaterland

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Der Einzelgänger, der Nonkon-formist, der schon in seiner Jugend den richtunggebenden Einfluß von Karl Kraus erfahren hat, dessen Bewegung durch den Raum und durch die Zeit man als Widerstandsbewegung bezeichnen könnte: das ist Ernst Krenek bis zum heutigen Tag. Zu Beginn der dreißiger Jahre bekennt er sich zu seinem Vaterland Österreich, das einem immer stärker werdenden Druck aus dem Norden ausgesetzt ist und wirbt für die Idee Europa. 1937, nach seinem ersten Besuch der Neuen Welt, preist er als Europäer die Vorzüge des freien Amerika. 3948, als er bereits zehn Jahre „drüben“ ist, propagiert er in den USA den Geist und die Kultur des alten Kontinents. Und wieder zehn Jahre später träumt ein Kosmopolit vom Glück im Fernsehwinkel, um aus diesem bald hervorzutreten...

Diese Opposition gegen die jeweilige Zeit und ihre Idole — der übrigens, entgegen oberflächlicher Betrachtung, auch der Künstler Krenek, der Komponist, huldigte, ist sein Verhängnis und sein Glück. Das menschliche und das künstlerische Gewissen bleiben immer sauber, das Wissen um diesen Grundzuc; der eigenen Natur erleichtert manches, und die Distanz, nicht zuletzt die zum eigenen Ich, äußert sich in Ironie. Zum Vaterland, speziell zur Vaterstadt Wien, ergab sich bald ein ambivalentes Verhältnis. Erfolge in der Welt, Welterfolge, blieben in Wien so gut wie unbemerkt. Hier wurde er lange Zelt übergangen und übersehen. Dabei ist Krenek ein „echter Wiener“: sein Vater, Generalintendant der k. u. k. Militärverwaltung für das Bautenwesen, wurde in Tschaslau (Caslav) südlich von Prag geboren; seine Mutter Emmanuela, die man noch während der letzten Saison in mehreren Konzerten mit neuer Musik sehen konnte, eine geborene Ciiek, entstammt ebenfalls einer Offiziersfamilie aus Böhmen.

Ernst Krenek wurde 1900 in Wien geboren, besuchte nach dem Gymnasium in Währing sechs Jahre lang die Wiener Musikakademie, wo er Schüler Franz Schrekers war. Nach zwei Semestern Philosophiestudium ging er 1920 mit Schreker nach Berlin und war anschließend als Assistent in den Opernhäusern von Kassel und Wiesbaden tätig. 1927 hatte er mit „Jonny spielt auf“ einen Welterfolg und kehrt als quasi reicher Mann nach Wien zurück. Statt sich seiner Unabhängigkeit zu erfreuen, engagiert er sich in der Kulturpolitik seiner bedrohten Heimat, schreibt für die „Wiener Zeitung“ und ausländische Blätter, ist Mitbegründer der musikkritischen Zeitschrift „23“ und setzt sich, wo er kann, für Österreich ein.

Der Dank, draußen und drinnen, läßt nicht lange auf sich warten: in Deutschland kommt er 1933 als „Entarteter“ auf die Verbotsliste, im Jahr darauf werden an der Wiener Staatsoper die Proben zu „Karl V.“, seinem ersten Zwölftonwerk, zu dem er sich das bedeutend-bedeutungsvolle Textbuch selbst geschrieben hatte, abgebrochen. 1939 übersiedelt er in die USA.

Aber von dort kam er immer wieder nach Europa zu Besuch und machte stets auch in Wien Station. Seine Beziehungen zur österreichischen Kunst und Landschaft sind eigentlich nie unterbrochen gewesen. Bereits 1922 hat er die unvollendete C-Dur-Klaviersonate von Schubert vollendet und herausgegeben (später ediert er das Adagio aus der Fragment gebliebenen X. Symphonie Gustav Mahlers), 1925 schreibt er eine Begleitmusik zu dem Volksstück vom Lieben Augustin, 1929 den abendfüllenden Liederzyklus „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ auf eigene Texte, im Jahr drauf die Satire mit Musik „Kehraus um St. Stephan“. Und schließlich folgt, als Auftragsarbeit der Salzburger Festspiele, eine mehrteilige Begleitmusik zu Hofmannsthals „Jedermann“ (1961). Er schreibt fürs österreichische Fernsehen „Ausgerechnet und verspielt“, 1966 „Der Zauberspiegel“ und zuletzt die Ende Juni dieses Jahres in Hamburg uraufgeführte Buffa „Das kommt davon oder Wenn Sarda-kai auf Reisen geht“ frei nach Mozarts „Cosi“. Dies ist das vorläufig letzte Opus in dem mehr als 200 Nummern umfassenden Werkkatalog. Die ersten Auszeichnungen und Preise folgten ziemlich spät, ab 1955. A propos „Jedermann“ und Hofmannsthal: 1952 heiratete Krenek die amerikanische Musikpädagogin und Komponistin Gladys Werdenberg. Sicher trägt sie nur zufällig den Namen der Fürstin-Marschallin aus dem „Rosenkavalier“. Aber bei Krenek kann man nie wissen, was Zufall ist und Fügung oder Kalkül. Über dieses Thema hat er selbst in geistvoller Weise gesprochen und geschrieben...

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