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Prophetie des Unterganges

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„Wenn man die Plakate erschossen hätte, wären die Menschen heil geblieben.“ In diesem Wort von Karl Kraus ist der Sinn seiner Weltkriegs-Tragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ aphoristisch zusammengefaßt. Das reale Unglück dieser Welt entsteht, wenn die Phrase Geschichte macht, sich ins Gigantische vermehrt, die Kritik der Menschen vernebelt, die Tatsachen verschleiert. Kaum einer weiß dann, wo die Wahrheit liegt und was er zu tun hat, wenn das Gewissen schweigt und an seine Stelle die Phrase tritt. Kraus war überzeugt, daß die Sprache das genaueste und untrüglichste Abbild der geistigen oder moralischen Beschaffenheit eines Menschen, eines Volkes, einer Kultur sei, ein richtiger Satz allein eine richtige Meinung und Weltanschauung enthalten könne. Darum haßte er die Phrase, kämpfte gegen Dummheit, gegen Ungerechtigkeit in jeglicher Gestalt, darum „habe ich mich mein Lebtag um nichts anderes als um den Satz geschoren, darauf vertrauend, daß ihm schon das Wahre über die Menschheit, über ihre Kriege und Revolutionen, über ihre Christen und Juden, einfallen wird“. Von der reinen Sprache hing für ihn der weitere Verlauf der Weltgeschichte ab.

Seine umfassende Zeitkritik ist von ihren äußeren Ursprüngen her zu begreifen: In der Reibung mit den wienerischen und österreichischen Verhältnissen und Mißverhältnissen wurde er zum unerbittlichen Nörgler, zum Satiriker. Er entlarvte durch Beschreibung, reihte Bild an Bild, bis der Gegenstand völlig eingekreist war. Auch sein Mammutdrama von den „Letzten Tagen der Menschheit“ ist so entstanden. Im Kriege geschrieben und teilweise, trotz strenger Zensur, ungehindert in der „Fackel“ veröffentlicht, ist es zunächst ein Bericht, eine exakte Aufzeichnung kleiner und großer Geschehnisse zu Beginn und während des Ersten Weltkrieges. In etwa 700 Szenen sind Gespräche des Alltags wiedergegeben, geführt von Zeitungsausrufern, Kleinbürgern, Kellnern, von Journalisten, Kriegsberichterstattern, Offizieren, Generalen, von Regierungsbeamten, Ministern und Kaisern. Die unwahrscheinlichen Taten hinter den Dialogen sind nicht erfunden, sind wirklich geschehen. Wenn daraus mehr wurde als eine „apokalyptische Posse mit Gesang“, dann durch die Überzeugung des Autors, daß der Phrase die Blutschuld an dem Ersten Wsfekrieg eingeben d K SiR Ch W fdtj, .Melß sehen, so weit vernebelt daß sie vier Jahre lang im blinden Glauben an die Wahrheit der Parolen aufeinander schössen und Schlimmeres taten, diesseits und jenseits der Fronten. Denn der Untergang der Donaumonarchie, der Kraus in Haßliebe zugetan war, galt ihm stellvertretend für den der ganzen Menschheit. Der Nörgler (Selbstporträt des Autors im Drama) bekennt: „Ich habe die Tragödie, die in die Szenen der zerfallenden Menschheit zerfällt, auf mich genommen, damit sie der Geist höre, der sich der Opfer erbarmt, und hätte er selbst für alle Zukunft der Verbindung mit einem Menschenohr entsagt.“ Und wenn Kraus damit sie der Geist höre, der sich der Opfer erbarmt, und hätte er selbst für alle Zukunft der Verbindung mit einem Menschenohr entsagt“. Und wenn Kraus am Ende der „letzten Nacht“, die „Gottes Ebenbild zerstört“ hat, Ihn ausrufen läßt: „Ich habe es nicht gewollt“, dann mag Krau bisweilen gehofft haben, diese „letzte Nacht“ — also die Stunde der Errettung — sei schon nach dem Ersten Weltkrieg nahe. Denn er glaubte, wie jeder Prophet, an den „Rest, der sich bekehrt“, war aber auch schon voller Vorahnung einer sich anbahnenden größeren Katastrophe. „Sie nörgeln selbst an der Zukunft“, sagt der Optimist im Drama zum Nörgler.

Läßt sich dieses Riesenwerk auch nur teilweise auf der Bühne realisieren, ein Werk, das in der Buchausgabe an die 750 Seiten umfaßt und vom Autor selbst einem „Marstheater“ zugedacht war, weil Theaterbesucher dieser Welt ihm nicht standzuhalten vermöchten? Die Uraufführung im Theater an der Wien unter der Regie von Leopold Lindtberg, der mit Heinrich Fischer die Einrichtung und Szenenauswahl besorgte, läßt nur eine zwiespältige Antwort zu. Die beiden Einrichter haben etwa ein Fünftel aus den vielen hunderten Szenen mit dramaturgischem Geschick ausgewählt. Zusammen mit dem Bühnen- und Kostümbildner Hubert Aratym und der musikalischen Kulisse von Gerhard Bronner, unter Zuhilfenahme von Filmwochenschauen, Bildprojektionen und Pappfiguren, haben sie die Szenenfolge richtig als „Tragödie der Geräusche“ aufgefaßt. So mag Karl Kraus alles erlebt haben, die Schreie der Zeitungsausrufer und die Klage des geschändeten Waldes, die Phrase tlnd noch die Tat, die sie gebiert. Das Geräusch als „Grundton dieser Zeit“, wobei er sich noch als Nörgler mitschuldig „an diesen Geräuschen“ bekennt. Dennoch bleibt die Aufführung dem Werk das meiste schuldig. Die satirischen Szenen wirken meist zu zahm oder zu possenhaft, und selbst die ernsten, auch die der „letzten Nacht“, sind nur wenig eindrucksvoll. Am besten gelangen die Monologe des Nörglers (hervorragend Peter Lühr in der Maske von Karl Kraus) und seine Zwiegespräche mit dem Optimisten. Von den Dutzenden Mitwirkenden (deren Leistungen recht unterschiedlich waren) seien Bruno Hübner, Hubert von Meyerink und Leonard Stekket besonders hervorgehoben. Das Publikum, nach dreieinhalb Stunden sichtlich abgespannt, dankte durch seinen Beifall dem Bemühen um ein im Grunde doch unaufführbares Werk und einigen schauspielerischen Leistungen, besonders Peter Lühr.

Die übervolle, ' leierft frivole Farce „Die Mondvögel“ des Franzosen Marcel Ayme erinnert von fern an Ionescos (spätere) „Nashörner“. Der junge Lehrer Valentin, vom schwiegerväterlichen Schuldirektor und der koketten Schwiegermama drangsaliert, entdeckt, daß er zaubern kann. Also verwandelt er alle Gegner, Rivalen und sonstige ihm unsympathische Menschen in unschädliches Federvieh. Am Ende bettelt sogar die übriggebliebene Schülerschar, Vögel zu werden, um „nicht mehr denken zu müssen“. Mit dem Mondwechsel erlahmt freilich die Zauberkraft, und das Spiel nimmt ein gutes Ende. Das im Grunde ein wenig dämonische Stück wurde von Leon Epp im Volkstheater beschwingt mehr als Sommerstück inszeniert. Vor allem für Georg Lhotzky und Fritz Muliar gab es viel Beifall. Julius Mader

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