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Protest mit Variationen

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ZEITERSCHEINUNGEN sind Modesache! Und man meint dies meist in abträglichem Sinn. Wobei jedoch zu bedenken wäre, daß selbst Ideen, Ansichten, Aspekte einem ständigen Wandel unterworfen sind. Sie zu ignorieren würde das Leben zu einem stumpfen, geistlosen Ablauf degradieren. Und uns außerdem jeder Verantwortung entheben. Sie überzubewerten hieße das Beständige und somit das, was an den Dingen zeitlos ist, verleugnen.

Betrachten wir in diesem Zusammenhang das Problem „junge Generation“. Da wurden — zugleich mit Entstehung des Wirtschaftswunders

— die Halbstarken und Halbzarten geboren, da gab es Krawalle und Exzesse, den Boogie, den Rock 'n' Roll und alles was in seiner Nachfolge kam. Demolierte Stühle und Tische und etliche eingeschlagene Köpfe waren das Ergebnis. Idole sind geschaffen und wieder verleugnet worden. Die Beatles-Welle ergoß sich über den Kontinent (und alles, was in ihrer Nachfolge kam). Erst in jüngster Zeit war es die Gammler-Seuche. Jetzt ist es LSD, das die Gemüter beschäftigt. Und eine weitere Erscheinung, die — vielleicht — ihren Höhepunkt bereits überschritten hat: die Protest- und Folksong-Bewegung.

UNZUFRIEDENE HAT ES immer gegeben. Sie sind das Barometer für einen jeweiligen Krankheitszustand. Streiter und Verfechter dessen, was besser zu inachen sei. Protest allein ist nicht genug. Aber er ist Warnsignal und Wegweiser für diejenigen, welche darüber nachdenken und lernen wollen.

Was sind nun die häufigsten Themen dieser Protestsänger, deren Lieder und Texte entweder selbst geschaffen oder von Vorbildern übernommen und umgearbeitet wurden, was in der Fachsprache soviel wie „arrangieren“ heißt: der Krieg im allgemeinen und der Vietnamkrieg im besonderen, politische und soziale Ungerechtigkeiten, das Rassenproblem, die Technik, die Konsumwirtschaft, der Tourismus. Außerdem noch existentielle Fragen.

Quantität hat oft einen Mangel an Qualität zur Folge. So auch in diesem Fall. Der Protest fand ein breites Publikum. Und die jungen Künstler oder diejenigen, die dafür gehalten werden wollten, schössen wie die Pilze aus dem Boden. Es gibt einige wirkliche Begabungen, wie Bob Dylan beispielsweise, Joan Beaz oder der junge spanische Student Raimond Pelegero. Aber daneben gibt es auch eine Unzahl von Mitläufern, welche sich entweder an ihren Vorbildern wärmen oder deren Eigenproduktion man bestenfalls als durchschnittlich bezeichnen kann.

Die jüngste Entwicklung scheint ein Abflauen der Protestbegeisterung auf Kosten der Folklore anzuzeigen. Beides läßt sich schwer trennen. So wie es überhaupt äußerst schwierig ist, diese verwirrende Vielfalt von Protestsong und Folksong, Folkrock und Beat, Popmusic und Schlager (um nur einiges zu nennen) einzuteilen. Der junge Sänger meint: ich singe über das, was mich beschäftigt und was mir Spaß macht. Den Namen gibt der Kritiker

— und die Industrie!

URSPRUNGSLAND DER FOLK-MUSIC ist die USA. Folksong hat es dort schon immer gegeben. Er entstand aus dem Konglomerat all dessen, was die Einwanderer aus ihrem Heimatland mitgebracht hatten und das, vermischt, zusammengebraut und mit etlichen individuellen Glanzlichtern versehen, eine spezifische Eigenart besitzt. Da lassen sich Elemente des irischen und englischen Volksliedes des Mittelalters nachweisen, des französischen Chansons, des spanischen Volksliedes, aber auch der Spiritual, der Gospel song und der Blues der Neger sind enthalten.

In Europa hat dieser amerikanische Folksong nach dem zweiten Weltkrieg seinen Einzug gehalten. Populär wurde er aber erst mit Entstehung der Langspielplatte — also etwa um die Mitte der fünfziger Jahre.

Der Protestsong ist erst seit wenigen Jahren bei uns beheimatet. Er stammt ebenfalls aus Amerika. Wobei nun die Musik meist aus dem Folklore-Repertoire herhalten mußt. *

DEN NAMEN „PROTESTSONG“ gibt es erst seit Beginn der sechziger Jahre, als das Lied Bob Dylans „Blowing in the wind“ an die Spitze der Hit-Listen gelangte. Dylan selbst, der allgemein als König der Folk- und Protestsongs bezeichnet wird, wehrte sich gegen diesen Ausdruck. Er meinte, er. habe dieses Wort nie in den Mund genommen. Es müßte von Schulzeitungsredakteuren oder kleinen Mädchen unter vierzehn stammen.

Die Geschichte Bob Dylans allein ist interessant genug, ihr einige Beachtung zu schenken. Was bereits geschah in der „Bob Dylan Story“ von Sy und Barbara Ribakove (im Dell-Taschenbuch, New York). Sie erzählt vom kleinen Robert Zimmer-man, welcher siebenmal von der Stadt Hibbing in Minnesota weglief, um jedoch regelmäßig wieder zurückgebracht zu werden. Der nach Abschluß der Oberschule endgültig seine Heimatstadt verließ, sich nach einem Onkel, welcher als schwarzes Schaf der Familie galt, Bob Dylan nannte, vorerst in einem Strip-tease-Lokal in Central City/Colorado die Gäste mit Folksongs unterhielt, schließlich ein Studium an der Universität in Minneapolis begann, nach sechs Monaten in Richtung New York trampte, dort in einigen Folk-clubs in Greenwich Village spielte, sich dann mit Background-Musik durchschlug und eine rege politische Aktivität entwickelte.

Dieser Bob Dylan mit seinen Songs für die Bürgerrechtsbewegung und den Demonstrationen beim amerikanischen Ostermarsch und bei den Märschen für die Gleichberechtigung, der von der Schallplattenfirma CBS einen Vertrag erhielt und im Sommer 1963 zum gefeierten Star des Newport Folk Festivals wurde, hat Tausende von Jugendlichen zu wahren Begeisterungsstürmen hingerissen und wurde von mindestens ebenso vielen nachgeahmt.

Dann allerdings hat ihn der große Sog des Kommerz, der Industrie, der Publicity erfaßt.

Von den USA trat der Protestsong seinen Siegeszug über England und Frankreich nach Deutschland an.

DIE MEISTEN DIESER JUGENDLICHEN QUERULANTEN sind politisch „links“ orientiert. Dies vor allem in Italien. Die Gruppe der „Nuovo Canzoniere Italiano“, die mit Programmen von Volksliedern und eigenen Kompositionen unter den Themen „L'altra Italia“ (das andere Italien) und „Chitarre contro la guerra“ (Gitarren gegen den Krieg) in den Städten und Dörfern des Landes auftritt, eine eigene Zeitschrift besitzt und jährlich mehr als ein Dutzend Platten mit Arbeiterund Partisanenliedern herausbringt, streitet für eine Veränderung des politischen Bewußtseins im Sinne des marxistischen Sozialismus und für eine Sozialrevolutionäre und antibürgerliche Volkskultur. Daß dies Begriffe sind, welche aus dem 19. Jahrhundert stammen und mit der heutigen Situation kaum mehr in Einklang zu bringen sind, zeigte sich auf dem internationalen Festival in Turin im September 1966, wo diese Gruppe als Außenseiter wirkte und beim Publikum auch wenig Anklang fand.

In Deutschland übernahm man vorerst die etwas verwässerten Ausdrucksformen der Protestsongs anderer Länder, vor allem der USA. Bald aber begann sich das angeborene Kritikbedürfnis der Deutschen zu regen und man protestierte nur so drauf los. Was dabei herauskam, ist von unterschiedlicher Qualität! Als Vorbilder gelten Brecht und Benn, Tucholsky und Hessel, Kästner und Enzensberger. Daneben ist aber auch sehr viel Eigenständiges zu finden. Dabei geht es gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr, die Konsumneurosen, das Managertum, für die Abrüstung in Ost und West. Und weil das einfache unreflektierte Lied bereits zu langweilig geworden ist, protestiert man seit Neuestem auch gegen den Protest. So wurde beispielsweise in einem erst kürzlich abgehaltenen Wettbewerb des Süddeutschen Rundfunks uniter dem Motto „Lieder von heute“ der erste Preis einem Antiprotestsong und damit seinem Schöpfer Robert Schulz aus Berlin verliehen.

EINE INTERESSANTE ROLLE spielt der Protestsong in Spanien, weil er eng mit dem politischen Leben dieses Landes und der erst in jüngster Zeit dort veranstalteten Protestbewegungen ' zusammenhängt. Die Lieder von Raimond Pelegero, welche in dem bekannten „no, diguem no“ (Nein, sagen wir nein, ich sage nein... mit einer solchen Welt haben wir nichts zu tun) gipfeln, und die teilweise von der Zensur verboten wurden, werden von einer begeisterten spanischen Jugend nachgesungen.

Bis vor etwa sieben Jahren gab es in der katalanischen Gegend nur folkloristische Lieder, das Kunstlied und die schon fast vergessenen Lieder vor dem spanischen Bürgerkrieg. Alles übrige an Schlagern und Chansons kam aus dem Ausland. Eine Gruppe von Intellektuellen in Barcelona, welche sich „Eis Setze Jut-ges“ nannte, übersetzte 1960 Texte von Georges Brassens, um bald darauf Chansons mit eigenen Texten und Melodien vorzutragen. Mit dem Auftreten Raimonds im Jahre 1962 jedoch, welcher sich in Stil und persönlicher Aussage wesentlich von der Gruppe in Barcelona unterschied, wurde das Chanson Angelegenheit der breiten Massen. Die zwei Hauptzentren dieses „neuen katalonischen Chansons“ blieben Barcelona und Valencia. Der ursprünglich jedoch nur zögernde Protest, welcher sich meist in einer Kritik des Bourgeois, des Tourismus und der damit entstandenen pseudo-folkloristischen Industrie erschöpfte, griff allmählich auch auf politische und soziale Themen über, um im „no, diguem no“ Raimonds einen Höhepunkt zu erreichen.

UND WIE SIEHT ES IN ÖSTERREICH AUS? Es ist eine bekannte Tatsache, daß man hierzulande oft nachzuhinken pflegt. Vor allem, was jene oben besprochene „Zeiterscheinungen“ betrifft. Sobald diese nämlieh die österreichische Grenze passieren, sind sie meist in ihrer ursprünglichen Stoßkraft geschwächt und daher nicht mehr symptomatisch zu nennen. Und der Österreicher registriert, notiert, nimmt aur Kenntnis — im übrigen aber hält er sich nicht daran.

Protestieren ist zu wenig österreichisch. Man „raunzt“ lieber. Besser den Weg des geringsten Widerstandes als sich aufregen und hudeln. Außerdem haben wir den Qualtinger und den Bronner. Das ist genug. Und die jungen Leute, welche in Frage kämen, meinen: Es ist ja niemand da, der uns anhört und versteht. Das Publikum aber sagt: Was wollen S' denn — wir haben ja keine Leut! Womit der Kreis geschlossen wäre.

Die einzige österreichische Protest- (man sage besser Folk-) song-Gruppe von einiger Bedeutung nennt sich „Jacks Angels“, ist wohnhaft in Wien, 23. Bezirk, und gar nicht österreichisch, da ihr Leiter und Initiator Jack Grunsky aus Kanada stammt. Wenn auch sein Vater Österreicher polnischer Abstammung ist.

Jack kam vor drei Jahren nach Österreich, um das, was er in Amerika begann — nämlich zu singen und zu spielen — hier weiterzuführen. Die Verhältnisse, die er vorfand, waren allerdings nicht eben dazu angetan, ihn zu ermutigen. Vorerst ging er nach Linz, wo er die zwei Mittelschüler Christopher Oberhuber und Herbert Wegscheider kennenlernte, ersteren für die Baßgeige und letzteren für die Gitarre begeisterte und beide zusammen für die Folkmusic. Zu dritt wanderte man nach Wien. Vor etwa einem Jahr trat noch die 18jährige Claudia Pohl der Gruppe bei (sie ist übrigens die einzige der vier, welche in einem regelrechten Unterricht singen gelernt hat — und daher auch die tragende Stimme besitzt). Gleichzeitig mit ihr begann auch der Aufstieg der „Jacks Angels“, ein Vertrag mit einer Schallplattenfirma und Anklang beim Publikum. Die erste Langspielplatte hieß: „Believe in the world“ und läßt sich unter die Protestsongs einreihen. Wenn auch der Titel eher Antiprotest verspricht. Aber die Reaktion war nicht ganz so, wie man es sich gewünscht hätte.

„Wir wollen, daß die Leute srttt-gehen“, meint Jack. Man begann sachte und leise in ein leichteres Genre überzugleiten, das sich Popmusic nennt. Die scharfen Protestlieder Jack Grunskys sind zu poetischen kleinen Märchen geworden, sehr versponnen, ein wenig surreal. Die Thematik ist zeitlos, die Melodie stark von Volksweisen bestimmt. All das nett garniert mit einem Schuß Rhythmus und einem Schuß Sex.

Ist es nun Jack, dem diese Entwicklung zuzuschreiben ist? Oder ist es jenes gana bestimmte öster-reichertum?

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