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Qualtinger und die Aubry

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Zu den reizvollsten Aufgaben des Wiener Theaters gehört die liebevolle Bemühung um das Volksstück und die Zauberposse unseres 19. Jahrhunderts. Ein hoher Prozentsatz der Neuaufführungen von Werken Nestroys und Raimunds pendeln zwischen zwei Extremen: zaghafter Anempfindung und herzhafter Ausbeutung des „vorhandenen“ Materials. Wenn dieser zweite Fall als Ideal angesehen werden soll, dann haben die Herren Bronner, Merz und Qualtinger, rühmlich bekannt durch ihr eigenes Theater, den Vogel abgeschossen lnit „ihrem“ Nestroy in der J o s e f s t a d t. In schöner Unbefangenheit haben sie sich aus dem Material eines der allerliebsten Stücke Nestroys, der „Eisenbahnheiraten oder Wien, Neustadt, Brünn“ ein Stück gezimmert, wobei sie sich, wenn sie wollen, auf Nestroy selbst berufen könnten, der bekanntlich ein französisches Vaudeville für sich und Wien hier bearbeitet hat. Sprechen wir also nicht von Nestroy, sondern von Helmut Qu alt ing er: Sein Kremser Instrumentenmacher Stimmstock ist jeder Zoll ein Qualtinger, und die einq&tucksainste Erscheinung dieses Abends. Das will etwas heißen, da Fritz Imhoff als Brünner

Bäckermeister Zopak sich ebenfalls eine Bombenrolle geschaffen hat. Abfallend die meisten anderen Herren, denen der Regisseur Erich N e u b e r g freizügig größte Selbständigkeit auf der Bühne gewährt. Heinz Conrads fällt ins Kabarett zurück; wirklich markante Züge gewinnt allein noch Bruno Dallansky seinem Brandenburger Bäckergesellen ab. Nahe bei Nestroy, Altbrünn, Altneustadt haben sich Luzi Neudecker und Elfriede Ott angesiedelt, — Das Publikum lacht von Herzeh über „seine“ ihm wohlbekannten Schauspieler; von Nestroy ist da nicht mehr die Rede. Vielleicht aber ist das der neue „Stil“, in dem ein durch Fernsehen, Revuen, Film und Kabaretts gebildetes Publikum sich selbst gefällt, und sehr zufrieden ist, wenn man ihm zur „Unterhaltung“ die Ausbeute eines Jahrhunderts serviert...

N e v e u x hat den Entwurf eines Lustspiels von Lope de Vega zu einem Lustspiel ausgesponnen, das unser Volkstheater in österreichischer Erstaufführung herausbringt. Lopes Entwurf trägt den Titel „Der Hund des Gärtners“. Dieser Hund des spanischen Sprichwortes ist ein nervöses Tier, das keinen seiner Genossen an die volle Schüssel läßt, selbst aber nichts frißt. Hier wird dieser sensiblen Kreatur eine sensible junge Gräfin verglichen, eine junge Witwe, die ihren zunächst unbewußt geliebten Sekretär weder sich selbst noch einer ihrer Zofen gönnt. Das Gewebe dieses Stoffes ist so leicht, daß es sich immer wieder in ein Nichts aufzulösen droht. Beängstigend die Vorstellung einer Aufführung dieses Stückes durch weniger anziehende Schauspieler. Im Volkstheater gerät in der Regie des jungen, aus Frankfurt kommenden Regisseurs Max A m m a n n, eines Schülers Giorgio Strehlers, der Abend zu heller Heiterkeit, da Blanche Aubry wirklich alle Fäden in der Hand hält. Sie wirbelt über die Bühne, ist Charme, Feuer, Champagnerglut. Nicht leicht haben es da neben diesem Persönchen die drei Zofen, von denen sich Susi Peter noch am stärksten behaupten kann. Die ansehnliche Anstrengung, sich als Mann neben ihr zu behaupten, fällt Friedrich Palkovits zu, der als Erscheinung, weniger im Wort, ihr Paroli zu bieten vermag. Sehr glücklich, prägnant, Edd Stavjanik als Diener des Sekretärs, und Viktor Gschmeidler als ältlich-timider Freier. Etwas Praterbarock, derbdreiste Harlekinade, kommt durch einige Chargenrollen auf die Bühne, am gro-teskesten Otto Woegerer als ehrsamer Bandit. Ein Stück, das, so es den Hochsommer erreicht, dort sich am besten halten wird.

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