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QUERSCHNITTE

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Wer die literarische Zeitschrift „Tinärul scriitor“ Junge Schriftsteller liest oder andere literarische Erscheinungen durchblättert, kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß er sich in einen botanischen Garten verirrt habe.

Jeder junge Dichter, der etwas auf sich hält, erklärt nämlich heute in seinen Gedichten, daß er einer gewissen Baumart angehört; und zwar entweder den Eichen, Fichten, Tannen oder Linden. Die Frauen erklären sich meist für verschiedene Blumen.

Auf den ersten Blick erscheint dies erfreulich. Wer hat noch nicht begeistert die Gedichte genialer Dichter gelesen, die Naturbilder wählten?

Bei uns aber handelt es sich leider nur um eine Schablone, eine Mode von Dichtern, die nichts zu sagen haben. In den meisten Fällen erklärt heute so ein Dichter einfach, daß er „als Baum seine Wurzeln tief in dem Boden des Landes habe“ dies ist der „aktuelle politische Teil“ des Gedichtes, er erreiche die Wolken, und das beweist, daß er unsterblich ist. Wenn das nun einer oder zwei sagten! Aber es sind buchstäblich Dutzende!

Die Werktätigen unseres Landes kämpfen gegen viele Schwierigkeiten um die Erhöhung des Lebensniveaus. Wie sollen sie von solchen schablonenhaften Gedichten angespornt werden?

„Riesenhaft wie eine Tanne wuchs ich aus dem Boden dieses Landes empor“, schreibt der Dichter Aurel C o v a c i in der Zeitschrift „Tinärul scriitor“, indem er sich bescheiden mit dem Volke identifiziert. „Ich bin eine kleine unbedeutende Blume“, antwortet ihm schüchtern die Dichterin Valeria B o i c u 1 e s i in der Zeitschrift „Gazeta Literarä. Inzwischen aber hat sich Aurel Covaci die Sache doch überlegt und schreibt in seinem Gedicht „Ueber die Unsterblichkeit“: „Aus meinem Körper soll eine Eiche werden“, doch gibt er sofort auch die Aktualität einer Blume zu, denn er schreibt weiter: „Oder eine Blume voll Blütenstaub.“ Ion Ascan verwandelt sich in eine Fichte: „Ueberschauend bemerke ich voll Verwunderung, daß ich eine Fichte bin, mit der Stirne im Himmel.“ Der Dichter Mihai G a v r 1 i, der früher gute Gedichte schrieb, antwortet diesen jungen Leuten, durch die er sich vielleicht bedroht fühlt, in würdiger Weise: „Ich bin eine Fichte, höher als die anderen Fichten.“

Aber auch die literarische Kritik wetteifert auf diesem Gebiete mutig mit unserer Lyrik. Paul Diaconescu zum Beispiel beschäftigt sich in der genannten Zeitschrift mit dem Gedicht von Andi Andres, dem Autor der Verse: „Die alte Eiche ragt würdig empor.“ Er gelangt zu folgenden erfreulichen Feststellungen: „In der Vegetation unserer Literatur wachsen neben den Eichen auch junge Bäume, die das Lied der Wälder bereichern“… „Man freut sich über das Beispiel der Eichen, die ihre Blätter im Lebenskampf verloren haben …“

Solche Baumdichter unter ihnen sind leider nicht nur junge beweisen, daß ihnen der Mut fehlt, das Leben des Volkes darzustellen. Sie flüchten vor der Wirklichkeit und betrachten die Vielfalt des Lebens als unpoetisch…

Diese Zeilen sind kein „Querschnitt“ der „Furche“. Sie sind einer herben Kritik des Zentralorgan der Kommunistischen Partei Rumäniens „Scänteia“ vom 14. Mai 1954 entnommen. Also doch ein „Querschnitt“ …

Arche Noah oder Titanic …

Ein Schiff wird in See stechen, dann, wenn der Sommer ausklingt und das Wetter im Mittelmeer am schönsten ist. Aga Khan, der sich in früheren Jahren und Jahrzehnten von seinen weltlich-geistlichen Untertanen mit purem Gold aufwiegen ließ, hat einen der größten Ozeanriesen der Welt, die „Queen Mary“, angeheuert. Er hat für die Dauer von drei Wochen das Schiff mit der gesamten Mannschaft einschließlich Küchenpersonal gemietet. Sein Honorar ist wahrhaft fürstlich: Der volle Betrag, deft zwei komplett besetzte Amerikareisen der Cunard-Line einbrächten. Der Aga Sultan Sir Mohammed Schah will in dieser letzten Prunkfahrt, wie er sagt, Abschied nehmen vom Leben. Es soll der Sonnenuntergang eines Daseins werden, dem ein gewisses Format nicht abzusprechen ist. Alles, was es an Sternen jeder Ordnung gibt, soll am illuminierten Tag- und Nachthimmel aufleuchten, wenn diese Prunkbarke für einige Wochen durch die Gewässer des Mittelmeeres streift. Jeder Genuß und jedes Vergnügen soll den Geladenen in verschwenderischem Raffinement geboten werden. Ob Landungen in den bäuerlichen Elendsgebieten Süditaliens, ob Ausflüge in das Landesinnere des im Aufstand befindlichen Tunis oder Exkursionen zur Besichtigung kommunistischer Musterfarmen in Jugoslawien im Vergnügungsprogramm inbegriffen sind, ist noch unbekannt.

Natürlich wird diese Reise nicht nur den Skandal- und Dekolletehyänen einer gewissen illustrierten Tagespresse willkommenen Stoff bieten. Die politischen Glossisten und Satiriker der Linken aller Schattierungen werden für ihre Kommentare mit Stoff reich versorgt werden.

Wir denken nicht daran, diese Reisenden im Mittelmeer vor den berechtigten Pfeilen der Satire und der Empörung in Schutz zu nehmen. Aber wir können uns des Gedankens nicht erwehren, daß diese Ausfahrt des Ismaeliten Aga Khan ein Symbol sein, fast als ein Menetekel für unsere Welt gelten kann. Billige Glossen und Spötteleien werden der sich hier offenbarenden Wirklichkeit nicht gerecht. Aga Khan, aus den Völkerbundstagen Zwischeneuropas auch als Politiker von Format und Eigenwilligkeit bekannt, lädt zur Ausfahrt. Bei sinkendem Leben, bei sinkendem Jahr in einer sinkenden Welt.

Unaufhörlich prasseln die sintflutartigen Unwetter materiell wie seelisch, politisch wie geistig über die alte Welt hernieder. Und immer leidenschaftlicher wird die Sehnsucht nach einer schützenden Arche …

Aber es ist nicht das Bild der Arche des Bundes, das hier aufsteigt, sondern unverwechselbar jenes der „Titanic“, jenes Schiffes der Brillanten und Vermögen, der Maßlosigkeit und des Sybaritentums. Als es auf Grund ging, holte die Totenglocke des alten Europa zum Mitternachtsschlag aus. Wir zittern nicht um das Schiff Aga Khans, aber es ist vielleicht weniger Zeit, über ihn zu weinen als „über uns und unsere Kinder“.

DP Lafayette

Im Hof des Louvre steht ein zwölf Meter hohes Denkmal des Marquis von Lafayette, jenes Generals, der Amerika in seinem Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten half. Von diesem Denkmal des erfolgreichen Verbündeten von einst hat der Beschauer einen weiten Blick über die bezauberndste Aussicht von Paris — er sieht nicht fern den Obelisk der Place de la Concorde, dann über die stolzen Champs Elysees hinab bis zum fernen Triumphbogen.

Nun aber hat der Herr Kunstminister entschieden, daß die Statue des völkerverbindenden Generals und Marquis von ihrem Platz zu verschwinden habe, weil man dort als Konkurrenz zu den Gärten von Versailles ein ständiges nächtliches Spektakel von Krach- und Lichteffekten zur Anlockung von — amerikanischen! — Touristen organisieren wolle. Die benachbarte Statue Leon Gambettas fiel bereits ohne Protest und landete im Läger eines Warenhauses. Wohin jetzt mit Lafayette?

Die verschiedenen Pariser Gesellschaften zum Andenken an Lafayette riefen Protest. Die Amerikaner wollten ihn wenigstens vor ihre Botschaft stellen — aber da erhob der Präfekt von Paris Einspruch wegen der schönen Bäume auf den Champs Elysees, von denen einige hätten fallen müssen. Kurz, bisher fand man keinen Platz für den Repräsentanten der 150 Jahre alten Freundschaft.

Eine stille Ironie geht durch dies an sich nicht übermäßig aufregende Spiel: Die Statue ist ein Geschenk amerikanischer Schulkinder an das französische Volk zur letzten Jahrhundertwende. Sie war das Retourpräsent für die New-Yorker Freiheitsstatue, die wenige Jahre zuvor von französischen Schulkindern dem amerikanischen Volk geschenkt wurde. Zwei Wahrzeichen der Freiheit also, der Brüderlichkeit — aber nicht mit gleichem Schicksal. Fest und unverrückbar steht das Freiheitssymbol Amerikas, von dem klassischen Lande der Freiheit geschenkt und der geistige Mittelpunkt der Neuen Welt. Das Standbild jenes Mannes aber, der für den französischen Ruhm die amerikanische Freiheit erkämpfte und als Symbol der Freundschaft zwischen Amerika und Frankreich gilt, droht die Heimatlosigkeit.

Hoffentlich — kein Symbol!

Von A bis Z

Aus einem einstmals berühmten Verlage, heute „volkseigener Betrieb“ der deutschen Ostzone, ist das erste Lexikon seit 1945 in die Welt gegangen; es ist auch bei uns in Wien in bestimmten Buchhandlungen ausgestellt. Die Redaktion des Werkes nimmt auf den ersten Seiten vorweg, daß sie sich bemüht habe, die Erkenntnisse des dialektischen und historischen Materialismus in der Wirklichkeit anzuwenden.

Das sieht dann ungefähr so aus. Rußland? Einfach „Reich der Zaren“, vier Zeilen. Union der Sowjetrepubliken: 13 dreizehn Spalten. Oesterreich — das alte und das neue — Umfang: rund eine Spalte. Wichtig ist hier die zielbewußte Revolution der Klassen, und vor allem sind es die Bodenschätze. Trüb nicht klar wie — sagen wir halt: Oel. Deutschland hat acht Spalten, bei Berücksichtigung sämtlicher vorhandener Spaltungen. Nach dem historisch-materialistischen Alphabet gibt es weder ein Schlesien, noch ein Pommern, Ost- und Westpreußen. Für den jedoch, der fortschrittlich genug ist, polnisch zu können, taucht der Name „Slask“ auf; Erläuterung: ein polnisches Gebiet beiderseits der oberen und mittleren Oder sehr entgegenkommend nicht einmal „Odra“. In diesem Lande Slask liegt, Kinder, merkt es euch gut und lernt es, der Berg „Sniczka“. Wir haben das Rätsel für dialektisch Zurückgebliebene gelöst und freuen uns bekanntzugeben: Sniczka ist die Schneekoppe. In ihrer Nähe befindet sich Szklarske Poremba. Lebte Carl Hauptmann, der Bruder Gerharts noch, er würde unter diesem Namen Schreiberhau vergeblich suchen, wo er gestorben ist.

Besonders wertvoll für die Benützer des Lexikons sind die angeführten Einwohnerzahlen. Sie sind in Anwendung der Grundsätze des historischen und dialektreichen Materialismus frisch aus dem Allbuch in fünf Bänden der Firma Brockhaus genommen, der 1939 unter der hysterischen Dialektik der — wie heißt es, ja — faschistischen lügnerischen Aggressoren erschienen ist. Damals waren die Bcvölkerungszahlen nämlich erheblich höher als heute. Nun, und höher geht’s wirklich nimmer.

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