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QUERSCHNITTE

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Sonne über dem Aktenstaub

Ein kleiner Beamter des Wiener Arbeitsamtes in der Embelgasse hat dieser Tage etwas gesagt, was man als Sinnspruch in Goldrahmen gefaßt über alle Amtsschreibtische hängen sollte.

Der Sachverhalt: Als der Beamte mit einer Partei beschäftigt war, kam ein Kollege mit einem Aktenbündel und forderte ihn auf, etwas schneller zu machen, damit der Akt erledigt würde. Worauf der Kollege die Antwort bekam: „Es wird so lange dauern, als es muß. Ich bin nicht für die Zettel da, sondern für die Mensche n.“ Sprach’s und widmete sich wieder dem Mann, der gerade bei ihm vorgesprochen hatte.

Einzigklobiges Oesterreich

Als Diderot und d’Alembert vor zweihundert Jahren ihre„Encyclopedie ouDictionnaire raisonne des sciences, des arts et des metiers“ herausgaben, hatten sie keine Ahnung von den Fortschritten der Aufklärung, wie sie sich uns jetzt in einem Sonderdruck aus der „Großen Sowjetenzyklopädie“, Heft. „Geschichte Oesterreichs“, offenbaren. Sieht der Wißbegierige die Zeittafel durch, dann gab es bei uns eigentlich fortwährend Aufstände. Kein Oertlein ist so klein, es muß ein Unterdrückter drinnen sein. Genau werden alle kriegerischen Auseinandersetzungen verzeichnet. Immer erlitt Oesterreich Niederlagen: von Morgarten angefangen bis zum letzten Krieg, an dem Oesterreich „an der Seite Deutschlands“ teilnahm. Bei dieser Genauigkeit muß man staunen, wo Montecuccoli, Daun, Lqudon, Andreas Hofer, Erzherzog Karl, wo der Prinz Eugen und Radetzky lebten? Das dürfte also doch nur ein westlicher Mythos gewesen sein, der mit so unbekannten, rein erfundenen Orten wie Aspern, Custozza, Lissa die unaufgeklärte Menschheit äffte. Die Türken vor Wien wurden natürlich nur durch, die Hilfe Sobieskis vertrieben wie, hat er nicht am Bündnis überhaupt erst auf Betreiben des Papstes Innozenz VI. teilgenommen?. Neben dem ungesagten Drittel Polen verschwinden die zwei Drittel Oesterreich samt dem Herzog Karl V. von Lothringen ebenso wie Johann Georg III. von Sachsen, Max I., Emanuel von Bayern und Georg Friedrich von Waldeck. Aus der neuen Geschichte wird enzyklobisch versichert: „Die österreichisch-ungarische Armee, in der sich die für ganz Oesterreich-Ungarn eigentümlichen tiefen sozialen und nationalen Gegensätze auswirkten, erlitt eine Niederlage nach der andern.“ Wie die dreizehn Völker im Heere zusammenhielten zum Beispiel alle elf Ulanenregimenter hatten 82 bis 90 Prozent slawische Mannschaften, von den 141 Infanterieregimentern des Heeres hatten kaum 60 mehr als 45 Prozent Deutsche wird nicht enzyklopädiert. Sehr fortschrittlich wird auch der Sinn der Verfassung vom 1. Oktober 1920 dargelegt: „Der politische Sinh der Umwandlung Oesterreichs in einen Bundesstaat lag darin, in organisatorischer Hinsicht den Anschluß vorzubereiten.“ Dollfuß hatte einfach eine „faschistische Diktatur“, Schuschnigg war „ein katholischer Politiker, der aufs engste mit dem Vatikan verbunden war“ — eine einleuchtende Logik, Brüderchen! Anfang’ 1948 waren im österreichischen Staatsapparat 42.000 ehemalige Nazi tätig. Seit damals hat sich die Lage „beträchtlich verschlechtert“. Es fragt sich nur — für wen. Bei den Wahlen von 1949 „konnte der Block der Kommunisten und Linkssozialisten seine Stellung behaupten und festigen“. Charascho!

Oesterreicher aus Oesterreich

Es gibt kaum ein Volk, das seine Söhne so lässig und fast ohne Interesse an ihrem ferneren Geschick in die Fremde ziehen läßt, wie das österreichische.

Beim Hitler-Einmarsch mußte auch ein damals kaum 34jähriger Theologe das Land verlassen. Der gebürtige Mährer und Sohn der ‘ größeren Heimat hörte zwar auf den Namen Oesterreicher und war Priester, Kaplan in Gloggnitz, später in Alt-Ottakring und an der Paulanerkirche, Religionsprofessor am Währinger Gymnasium gewesen. Aber was half das? Für die neuen Herren war er „untragbar“. Nicht nur, daß seine Eltern jüdisch waren, er selber hatte noch ein übriges getan. Seit der Machtergreifung in Deutschland hatte er im noch freien Oesterreich seine Lebensaufgabe darin erblickt, iih Opus „Sancti Pauli“ gerade für alle jene geheimnisvollen und oft tragischen Bande zu wirken, die das alte mit dem neuen Bundesvolk verknüpfen. Seine Zweimonatsschrift „Die Erfüllung“ gehörte zu den maßgebenden Publikationen auf diesem Gebiete. Sie erregte die Aufmerksamkeit und fand den Segen des damaligen Heiligen Vaters, ganz besonders aber die Unterstützung seines Staatssekretärs Eu- genio Pacelli. .

Nach einigen Wanderjahren der Emigration von einem freien Land zum andern fand der geistliche Flüchtling schließlich Heimstatt in USA. Die ganze Vitalität und Organisationskraft des amerikanischen Katholizismus, die in einer echten und fast rührenden Dankbar-keit jedem selbständigen Impuls aus der alteuropäischen Heimat gegenübersteht, kam ihm zu Hilfe. Nach kurzem Seelsorgerdienst in einer Pfarre New Yorks, die ihm Kardinal SpeJlman zuwies, hat er nun in die rein wissenschaftliche und seinem Hauptanliegen dienende publizistische Arbeit gefunden. Sein Leben verläuft in dem Spannungsbogen zwischen den beiden Polen tiefgründigen Philosophierens, theologischer Spekulation und einer weltzugewandten, tatbereiten Nächstenhilfe. Sie gehört vor allem jenen, die in die tragische Situation des heutigen karitativen Niemandslandes gekommen sind, den getauften Juden und Mischlingen …

Keines seiner „Meetings“, keine seiner Ansprachen aber vergeht, ohne daß er sich stolz und selbstbewußt zu Oesterreich, seiner geistigen Heimat, dem Klima seiner Bildung und seiner Denkform, bekennt. Und nun noch ein kleines „Geheimnis“: Wir haben aus verläßlicher Quelle in Erfahrung gebracht, daß Father John Oesterreicher, Direktor des Instituts für jüdisch-christliche Forschungen an der Seton Hall University in Newark, New Jersey… heute noch rechtsgültig zur Erzdiözese Wien gehört, morgen also hier in eine Pfarrei einziehen könnte …

Könnte, wie gesagt.

Aber bei uns ist es nicht Sitte, der Fortgewanderten in der Oeffentlichkeit viel-zu gedenken. Auch wenn sie sogar „Oesterreicher“ heißen…

Zensur — noch 5 nach 12

Freiheit von jeder Zensur ist in der oster- reichischen Verfassung verbürgt. Seit 1954 aber gibt es eine von den Besatzungsmächten erbaute und sorgsam gepflegte Dependance der Freiheit, in der eine eigene Hausordnung herrscht. Diese sieht u. a. vor, daß sich Filme, gleich welcher nationaler Herkunft, die in der Ostzone Wiens und der Bundesländer aufgeführt jverden sollen, vor ihrem Anlauf eine Art vorsorgliche Beschneidung gefallen lassen müssen. Von diesem sinnigen Brauch machte dieser Tage die östliche Besatzungsmacht Gebrauch, indem sie als Bedingung für die Freigabe des deutschen Films „Bis 5 nach 12“ die Streichung der Szenen des Nürnberger Prozesses und — des österreichischen Wiederaufbaues verlangte. Eine Begründung dafür wurde, wie immer, nicht gegeben, so daß dem Publikum reichlich Spielraum für Vermutungen abenteuerlichster Natur gelassen ist.

Ein Filmbesucher macht uns überdies aufmerksam, daß er hinter der „österreichischen“ Dialoglücke eines anderen deutschen Films einen ähnlichen Vorgang vermute. Er glaubt sich mit Bestimmtheit daran erinnern zu können, bei einer Münchener Aufführung an einer Stelle des Films „Meines Vaters Pferde“ I. Teil folgende Worte aus dem Munde eines Offiziers gehört zu haben: „Unser Handwerk ist die Vernichtung.“ Diesen markanten Satz, den unser Gewährsmann schon wegen seines Seltenheitswertes im Wortlaut im Gedächtnis behalten hat, habe er nun überraschend in der eben in Wien laufenden Kopie an der bewußten Stelle ausdrücklich vermißt. Wie reimt sich das, fragt sich dieser Filmbesucher verwundert, mit der kommunistischen Friedensbewegung zusammen?

Ja, das fragen wir uns eben auch!

Talent überflüssig …

Mr. Ralph Grossman, seines Zeichens Kunstmaler, arbeitete vor 15 Jahren, wie dies bei der wirtschaftlich primitivsten, aber noch weitverbreiteten Urform seines Berufes üblich ist, „allein vor sich hin“. Heute beschäftigt er 300 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von 20 Millionen Dollar, wohlgemerkt, ohne die Branche zu wechseln. Er verdankt diesen Aufschwung seines Betriebes der epochalen Erkenntnis, daß der darstel-lendu Künstler ebensowenig eines angeborenen Talentes bedarf wie etwa der Friseur, oder der Straßenbahnschaffner. Zur praktischen Aufwertung bedurfte es dann nur mehr einer gewissen Organisationsgabe — und d i e kann Mr. Grossman nur von einem Neider abge- tritten werden: man mußte das Bedürfnis nach Kunstausübung erst wecken, dann propagieren und die Interessenten „anlernen“. Punkt eins und zwei wie bei Cocacola. Leute mit Minderwertigkeitskomplexen scheiden aus, sind aber heute selten. Also schuf Grossman ein „Bildwerk"-Paket, enthaltend eine farbige Vorlage, eine Leinwand, auf der die Umrisse des Gemäldes bereits vorgedruckt sind, und deren Farbenfelder die gleiche Nummer tragen wie auf dem beigeschlossenen Malkasten. Wessen Bild nicht genau so aussieht wie die Vorlage, der bekommt sein Geld zurück, womit nichts gegen die künstlerische Höhe der Vorlage gesagt sein will. Heute gibt es 45 Typen von „Bildwerk“-Paketen, gewiß auch solche mit „süßlichen Schinken", wie sie sich in jedem richtigen Lebensmittelpaket ja auch vorfinden. Allerdings klagt Mr. Grossman, daß man die vielen Farbenschattierungen eines Rubens den Abnehmern nicht zumuten dürfe. Aber solchen Schädlingen wie Rubens oder Leonardo kann man ja leicht aus dem Wege gehen. Die Sache ist unseres Erachtens unbedenklich, solange die Anlernlinge nur die eigenen vier Wände mit ihren Erzeugnissen schmücken. Aber was geschieht, wenn sie ihre Werke in einem Museum ausstellen? Hier beginnt das Schutzbedürfnis der Oeffentlichkeit.

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