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Quid est homo ...?

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Immer wieder beobachtet der Historiker, wie Tatsächlichkeit und Selbstbewußtsein eines Zeitalters einander beeinflussen; wie ihre gegenseitige Bestärkung zu jenem unwiderstehlichen Strom wird, der die Richtung des Zeitalters bestimmt. So sah sich das Zeitalter der bürgerlichen Revolution (1789—1848) als eindeutigen Aufbruch in die unzweifelhaft vorgezeichnete Zukunft; in die bessere Zukunft, rationell eingerichtet für den Menschen, das Maß aller Dinge! So sah sich das Fin de siecle jenes bürgerlichen Zeitalters 1914 selbst als „Übergangszeit“, die „nicht so bleiben konnte“ und sich sehnte nach irgendeinem großen Krach. Und so sieht sich denn unsere Zeit als die Zeit der hoffnungslosen Zusammenbrüche, da die Existenz in Frage steht. Weit entfernt, um eine Ordnung zu wissen wie Mittelalter und Barock; doch ebensoweit entfernt, einen Menschen und Menschenverstand zu kennen, nach dem eine neue Ordnung zu orten wäre, sieht der Heutige nichts, durchaus nichts als die materielle Zwangsläufigkeit unentrinnbarer Schicksale. Man hat Spengler mit den Lippen abgesagt (aus einem Grunde, der in sein eigenes System zutiefst hineinpaßt: weil es ihm zugestoßen ist, zu den Besiegten gerechnet zu werden); aber man denkt genauestens nach seinem Schema. Man müht sich um den Spenglerschen Amor F a t i : man sieht aus nach dem Unvermeidlichen und fühlt, mit Spenglers Worten, „daß man das wollen muß oder gar nichts“; und der Held unserer Zeit, nämlich selbstverständlich der Held von O r w e 11, wird erst glücklich. wird erst erfüllt, als er seinem vom Führer zerstörten Leben den Sinn geben kann: endlich liebt er den Führer! Was können in dieser Lage die tun, die noch um eine Ordnung wissen? Sie müssen dieselben Fragen stellen und beantworten, welche rings im hoffnungslosen Ton gestellt werden, als wären das rhetorische Fragen und gäbe es keine Antwort. Sie müssen bei sich selbst, bei uns selbst anfangen und fragen: Was ist es denn um den Menschen? Was i s t denn der Mensch? — Und freilich wird auch diese Frage dem Theologen zum Bestandteil des großen Dialogs mit dem Allgegenwärtigen Gegenüber; und freilich lautet ihm also die Frage nach der menschlichen Existenz so, wie sie der Psalmist stellt, „Was ist denn der Mensch, daß Du sein gedenkest?, und der Menschensohn, daß Du ihn aufsuchst?“ Schon der Psalmist antwortet so, als schriebe er eigens für unsere Existentialisten, Surrealisten und Lyriker des Erbrechens: „Du hast ihn kaum tiefer als die Engel eingereiht, hast ihn mit Ruhm und Ehre gekrönt, und ihn gesetzt über alle Werke Deiner Hände.“ Und das begründet der Psalmist mit gerade jenen astronomischen Ausblicken, welche dem Heutigen Grund sind, den Menschen als unerheblich zu empfinden; er hingegen gibt der Frage jene Antwort eben deshalb: „Weil ich Deine Himmel anschaue, das Werk Deiner Finger: den Mond und die Sterne, die Du begründetest.“ Gerade die kosmische Ordnung gibt dem Menschen seinen Ehrenplatz. — Dies das christliche Weltbild. Da es aber den Heutigen aus den Bibelworten allein nicbt einleuchtet, will es

Przywara mit anderen Weltbildern vergleichen, und so herausstellen. Wie nun?

Man wird von niemandem verlangen, daß er den Inhalt eines Werkes von Przywara angeben soll. Man kennt die Form von Przywaras Gedankenarbeit, welche unwiderstehlich die Vermutung eines Elektronengehirns hervorruft; ein Leser, dem nur ein fleischliches Gehirn zur Verfügung steht, fühlt sich oftmals entmutigt. Oder er wünscht sich einen Kommentator, der gewisse Abschnitte auf etwa dreifachen Umfang verdünnen möchte, damit man der Gedankendichte noch zu folgen vermöchte. Immerhin gibt es Unterschiede. Der gedanklichen Hochspannung der eigentlich philosophischen Abschnitte, der Karl-Kraus-artigen Auswertung des Wort-Lauts, kann sich, fürchten wir, tatsächlich nur der entsprechend interessierte und vorgebildete Leser mit erklecklichem Nutzen widmen. Schon zugänglicher sind die historisch-soziologischen Abschnitte — auch sie von einem atemberaubenden Reichtum an Information.

Um nämlich die wahre Natur und Stellung des Menschen darzustellen, betrachtet der Autor die verschiedenen Menschenbilder der Welt. Es ist also Ideengeschichte, was hier erarbeitet wird. Schreibt der Autor vom Standpunkt des Historikers oder des Theologen? Das ist nicht ganz leicht zu sagen. Einesteils ist er so wenig engherzig, daß er gegen historische Katholiken gar ungerecht wird (S. 112, Geschichte der Königin Juana von Spanien); daß er Sätze niederschreibt, die nur der religiös gebildete Katholik ohne Gefahr des Mißverständnisses lesen kann (S. 359, Christi Abstieg zur Vorhölle); andernteils werden Gott und der Widersacher ohne weiteres als handelnde Personen vorausgesetzt. (Meint der Autor, das Dasein des Widersachers werde heute niemand mehr leugnen ... ?) Zugegeben aber, daß nur der gläubige Mensch das Buch mit ruhiger Zustimmung wird lesen können, so wird doch auch der beliebige Leser es mit dem allergrößten Nutzen lesen.

Nun haben wir ja erst den ersten Band vor uns, und es wäre müßig, die besprochenen und die ausgelassenen Weltbilder aufzuzählen. Bei einer Belesenheit, die zehn Seiten kleingedrucktes Literaturverzeichnis ergibt, dürfen wir vertrauen, daß die Reihe der Welt- und Menschenbilder noch vollständiger erscheinen wird. Auch so wird nach Raum und Zeit die ganze Welt durchgenommen und unparteiisch abgebildet. Unparteiisch? Doch! Wohl fehlt es nicht an verneinenden Urteilen. Doch müssen die im Zusammenhang gelesen werden; dann stehen sie neben ... tiftfctem- ^toatändnis.. .uajL„.ifigiSHSSt ,Versenkung (Judentum) oder sie sind eben schlechthin geschichtlich in der Sache begründet (politischer Immoralis-mus von Byzanz; amerikanische Pädagogik). Nur die Verurteilung des Jansenismus (S. 382 ff.) scheint etwa doch insofern einseitig, als sich die geschichtlichen Tatsachen nicht nach der Einfachheit des kirchengeschichtlich herkömmlichen Schemas vollzogen haben; als der endliche Absturz der Jansenisten in Schisma und Aberglauben nicht ohne Mitschuld liebloser Eiferer, ehrgeiziger Funktionäre der Gegenseite erfolgte ... Aber das ist eine Einzelfrage. Überdies läßt der Autor sofort sein Urteil über die konträre Lehre, den Molinismus, folgen.

Doch wir würden der Bedeutung des Buches nicht gerecht werden, wollten wir nicht nachdrücklichst auf die Fülle nichtchristlicher Weltbilder verweisen, die hier dargeboten werden: China, die nordische Weite der Schamanen, der alte Orient und der Islam, Amerika, Afrika, und zumal das Judentum in seinen Wandlungen ... Weltbilder? Ist denn das der Inhalt des Buches? Haben wir nicht ein Buch vom Menschen?

. . . Quid est homo? Was ist denn aber der Mensch? Er ist Leib und Geist; will man aber den Geist zu einem physischen Produkt des Menschen erklären, nun, dann muß man erst recht mit der Aufstellung eines kosmischen Weltbildes beginnen — eben des Materialismus. Man kann sich über den Menschen nicht klar werden, wenn man die Ordnung der Welt nicht sieht. Der Mensch, eben als Leib und Geist, ist irgendwie Mitte der Welt. Gibt es das Absolute, dann steht der Mensch zu ihm in besonderer Beziehung.

Es sagt denn die Bibel — und ähnlich zumeist die Naturreligion —, daß der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen ist. Nun ist aber der Mensch als Mann und Frau geschaffen: wie berühren sich diese zwei Grund-Sätze? Auch ist der Mensch gemeindliches Lebewesen: er lebt nicht nur in sittlicher, sondern in staatlicher Ordnung. Diese staatliche Ordnung aber schafft Geschichte. Nun ist es dem Menschen Bedürfnis, von einem Sinn der Geschichte zu wissen. Sogar der Materialist — der doch Anlaß hätte, einen sinnlosen Wirbel der Stoffe zu sehen und jede Sinngebung als Illusion und Narkotikum abzulehnen —, gerade er entwirft einen Geschichtsablauf, so dekorativ nach dreiheitlichem Schema und fortschrittlicher Zielsetzung angelegt als nur irgendeine Malerei tibetanischer Meditationen. Der Theist aber sieht in der Geschichte eine Heilsordnung, beschlossen vom persönlichen Gott. Daß die Welt des Heils bedarf, daß sie im argen liegt, ist Erfahrungstatsache: auch dies, das Problem des Sündenfalls, ist also Grundgedanke. Alle Religion spricht also vom himmlischen Retter, Heiland; die christliche Religion weiß vom einmaligen, historisch faßbaren Gottmenschen. Spricht man aber vom Gottmenschen, muß man zuerst sagen, was der Mensch sei; oder aber man meint, wie einige supranaturalistisch* Christen: zuerst müsse man wissen, was der Gottmensch sei oder was das Weltbild Gottes sei — die zu offenbarende Herrlichkeit Gottes, die vollkommene Idee der Schöpfung, das schöpferische Wort, die vorewige Weisheit: Sophia. (Der Name des russischen Sophiologen Bulgakow gehört zu jenen, die im Literaturverzeichnis des I. Bandes noch ausstehen; doch sein Meister Solowjew findet adäquate Besprechung.)

Mit dieser schattenhaften Andeutung der besprochenen Fragen glaube ich dem Leser einen Ausblick auf die Bedeutung des Buches eröffnet zu haben. Möge es sich einleben als Rüstzeug des Historikers, des Apologeten, des Philosophen.' Mögen die Leser sich mehren, die es zu nutzen verstehen!

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