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Radetzkymarsch in Sarajevo

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Ein Lokalaugenschein in der bosnischen Hauptstadt müßte auch EU- und Bundesheergeg-ner nachdenklich machen.

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Ein Lokalaugenschein in der bosnischen Hauptstadt müßte auch EU- und Bundesheergeg-ner nachdenklich machen.

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Wien-Sarajevo: Das sind 830 Kilometer Busfahrt in 14 Stunden, mit kurzen Pausen und langen Bergstrecken auf schmalen Serpertinenstraßen, denn die Autobahn bleibt für den Zivilverkehr gesperrt. „Niemals die feste Straße verlassen!”, prägt uns der Vizeleutnant von der österreichischen IFOB-Trup-pe ein, der uns die letzten 330 Kilometer im Puch G eskortiert. „Von drei Millionen Minen sind erst 40.000 entschärft...”

Südlich von Karlovac, der 1579 von Erzherzog Karl als Karlstadt gegründeten Festung an der Kupa, überschreiten wir die Grenze zu Bosna y Hercegovina (internationales Kennzeichen BIH). Und schon beginnt die Kriegslandschaft: von Hunderten Einschüssen durchsiebte Häuser, verkohlte Dachstühle, halberbaute, verlassene Gebäude. Der Herbst hat die wunderschöne Mischwaldlandschaft goldbraun marmoriert, und die Sonne bemüht sich redlich, aber vergeblich, das Menschenwerk der Zerstörung zu überstrahlen.

Am schlimmsten ist es natürlich in Sarajevo: kaum ein Haus ohne Wundmale des Krieges, ganze Wohnviertel, deren ausgebrannte Fensterhöhlen wie ausgestochene Augen glotzen. Straßen und andere Verkehrswege wurden rasch repariert, vor allem auch von Soldaten der internationalen IFOR-Truppe (Implementation Forces) - private Gebäude werden nur sehr schleppend wiederhergestellt. Viel Arbeit wartet auf kräftige Hände - aber nichts geht weiter bei der Rückführung von Flüchtlingen.

Auch Generalvikar Mato Zovkic bestätigt der furche: Wo immer katholische Kroaten in BIH angesiedelt werden sollen, reklamieren die Muslime: Erst wenn unsere Leute von den Kroaten akzeptiert werden! Sie werden nicht. Deshalb gibt es, außer gelegentlichen gemeinsamen Alibi-Gebeten, auch keinen interkonfessionellen oder interreligiösen Dialog: Gottes- und Menschendiener sind auf V olksgruppendiener reduziert.

Wie kann es weitergehen? Realisten sagen: nur durch eine Verlängerung des NATO-Mandats für IFOR. Wollen das die bosnischen Behörden? Botschafter Muhammed Sacirbey (anglisierte Version von Sacirbeyo-vic), US-Investmentbanker und ExAußenminister von BIH, der sein Land derzeit bei der UNO vertritt, argumentiert das Unmögliche: Nicht als fremde Soldaten sollen die IFOR-Truppen im Land sein, weil sie immer mehr als Besatzer empfunden werden, sondern als Partner - nach einer Aufnahme Bosniens in EU und NATO. Kann man so etwas ernsthaft erwarten? Vizepräsident Kjup Ganic, ein großer Österreich-Freund, wischt den Einwand, daß Milosevic und Tudjman längst eine Aufteilung von BIH unter Serben und Kroaten vereinbart haben sollen, lächelnd vom Tisch: „Wir denken geschichtlich. Bosnien ist seit tausend Jahren eine Existenz im Übergang. Wir haben immer überlebt ...”

Hoffnung macht aus Bestien Menschen. Schon schmücken sich Hunderte Menschengesichter in den Straßen von Sarajevo wieder mit einem Lächeln. Kaffeehäuser, Läden und Marktstände füllen sich, Wirtschaft und Kultur melden sich zurück.

Im nahen Visoko hat Oberstleutnant Fitz Scheibler mit Tiroler Charme sei -ne 225 IFOR-Freiwilligen zu Botschaftern Österreichs gemacht, die mit dem diplomatischen Geschick von Botschafter Valentin Inzko wetteifern. Sie helfen, wo sie können, haben die benachbarte Hauptschule neu errichten geholfen, für die nun Con-cord Card Casino Wien (neben dieser Journalistenreise) eine Computereinrichtung und Bücher gesponsert hat.

Vergessen sind Prinz Eugens Brandschatzer von 1697, getilgt die bisher in Beton eingelassenen Fußspuren des Thronfolgermörders von 1914. Hunderte geladener Gäste jubelten am 26. Oktober 1996 im Nationaltheater von Sarajevo dem Wiener Johann-Strauß-Kammerochester zu - nicht nur beim Donauwalzer, nein, auch beim Radetzkymarsch, der Siegeshymne des Rebellenbekämp-fers. Noch nie war ein Nationalfeiertag für Österreicher so herzerwärmend. Man sollte unsere EU- und Bundesheergegner nach Sarajevo schicken.

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