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Ramasan

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Vor kurzer Zeit rief einer der bedeutendsten Theologen" der gesamten mohammedäiiiscKeh- Welt von seinem Lehrstuhl'in’ der islamischen Al-Azhar-Universität in Kairo alle Gläubigen zum „Heiligen Krieg“ gegen den Kommunismus auf. Die realen Folgen dieses Aufrufes sind noch nicht abzusehen, doch darf man ihn nicht bagatellisieren; denn er erfolgte zu einer Zeit, die alle Mohammedaner hart bis an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit beansprucht und sie empfänglich macht für Parolen, wie etwa der „Dschihad“ (der „Heilige Krieg") eine darstellt. Wenn überhaupt, dann schlägt dieser Gedanke jetzt ein, da von Innerasien bis Marokko, vom Roten Meer bis Jugoslawien die Mohammedaner mit dem Sinken der Sonne ihren Blick zu den Minaretten richten, um das Aufflammen der Lichter zu sehen, oder eigene Horchposten aufstellen, die ihnen verkünden, wann ein Kanonenschuß ihnen verkündet, daß sie Speise und Trank zu sich nehmen dürfen.

Der Ramasan (auch Ramadan), die dreißigtägige Fastenzeit des Islam, -stellt einen der Grundpfeiler der Lehre Mohammeds dar und ist für jeden gesunden, erwachsenen Mohammedaner, der sich nicht im Krieg oder auf Reisen befindet, bindendes Gebot. Fünf solcher Grundbedingungen für den Mohammedaner gibt es; außer dem Fasten sind dies: der Glaube an Gott und den Propheten, der Glaube an die heiligen Bücher (wobei seltsamerweise auch das Alte Testament, das Buch der Psalmen und das Neue Testament mit dem Kur’an in einer Reihe genannt werden), die Beschneidung, die Pilgerfahrt nach Mekka und die Wohltätigkeit den Armen gegenüber. Selbstverständlich auch der „Nämas“, das fünfmalige Gebet.

Vom Morgengrauen des 11. März, an dem die Fastenzeit des Jahres 1379 (bzw. 1338), das ist 1959 nach unserer christlichen Zeitrechnung, begann, fasten mehr als 250 Millionen gläubiger Mohammedaner in allen Erdteilen. Sie nehmen die außerordentlich schweren Vorschriften mit bewunderungswürdiger Haltung auf sich: vom „sahur sofrasi“ (dem Mahl vor dem Beginn des neuen Tages) bis zum „iftar sofrasi“ (dem Mahl nach Einbruch der Dunkelheit) kommt keine Speise, ja nicht einmal ein einziger Tropfen Wasser über ihre Lippen. Dies wirkt sich dann besonders schwer aus, wenn der Ramasan in den Sommer fällt; denn das fünfte Mondjahr des mohammedanischen Kalders (eben der Ramasan) wandert jedes Jahr um elf Tage im Kalender voraus, so daß ein Erwachsener die Fastenzeit also etwa zweimal in seinem Leben am gleichen Tag des Gregorianischen Kalenders erlebt. Und wenn sich auch — nach, gegebener

Monat auf ein Minimum reduziert, so bleibt es doch eine gewaltige Ueberwindung für den ägyptischen Fellachen, den Beduinen Arabiens oder den mittelanatolischen Steppenbewohner, bei Temperaturen von dreißig, ja von fünfzig Grad im Schatten, geschlagene 16 oder mehr Stunden des Tages auf jede Erquickung, auf jeden Schluck Wasser zu verzichten.

Der Fahrer der türkischen Ueberlandautobusse verzieht keine Miene, wenn er sieht, wie der fremde Reisende seine Wasserflasche an die Lippen setzt; der dunkelhaarige Eseltreiber am oberen Nil wartet geduldig und wortlos, im Schatten hockend, bis seine Touristen ihr Mittagessen verzehrt haben, und auch der ärmste Lastträger in Bagdad steckt sich die angebotene Zigarette nicht zwischen die Lippen, sondern läßt sie in seinem schmutzigen Ueberkleid verschwinden, obwohl seine glühenden Augen ein einziger, unausgesprochener Wunsch sind.

Er ist überzeugt davon, daß während des „heiligen Monates“ die Pforten des Himmels weit geöffnet, die der Hölle aber geschlossen sind und der „Scheytan“ (der Teufel) in Ketten liegt. Er lebt in dieser Zeit hauptsächlich nachts, von der Zeit beginnend, da „man einen weißen Faden nicht mehr von einem schwarzen unterscheiden kann“, es also dunkel geworden ist und die Kinder auf den Straßen von Haus zu Haus laufen, um allen jubelnd zu verkünden, daß auf den Minaretts schon die „kandil“ (Lampen) zu sehen seien.

Dann beginnt in allen Gassen und Gäßchen mit einem Schlag neues Leben. Viele Männer haben in den Speisehäusern diesen Augenblick erwartet, murmeln „El hamdulillah“ (Gott sei gedankt) und langen zu, trinken in den Kaffee- und Teehäusern aus der schon vor ihnen stehenden Schale, greifen nach der ersten Zigarette oder lassen sich „nar“ (Feuer) in Form einer glühenden Holzkohle auf die Wasserpfeife legen, um in tiefen Zügen „Tabak zu trinken“. Auch die Moscheen sind schon vor Sonnenuntergang überfüllt, besonders in den arabischen Ländern, aber auch auf türkischem Gebiet in stetig wachsendem Maße.

Oftmals spannen sich heute zwischen den Minaretts Leuchtschriften, wie etwa „Gott sei gedankt“ oder „Fasten ist gesund“ und ähnliches. Stellenweise stockt der Verkehr, weil die Zahl der Menschen einfach zu groß geworden ist und die umliegenden Straßen förmlich überflutet.

Mit dem Blick nach Mekka sitzen und hocken

Tausende mit untergeschlagenen Beinen auf Gebetsteppichen und Matten, das typische Fladenbrot neben sich, und lauschen religiösen Vorträgen oder beten. Wenn der Muezzin zum Abendgebet ruft, dann kommt Bewegung in die Menge, jeder ißt ein Weniges von dem Mitgebrachten, dankt Gott und betet die gemeinsamen Gebete.

An diesen Abenden stirbt das Leben in den Städten und Dörfern nicht, gleichgültig ob in Saudiarabien oder Syrien, Aegypten oder der Türkei. Aus den Teestuben klingt Musik, so daß man fast meinen wollte, ein Fest werde gefeiert, an den Garküchen der fliegenden Straßenhändler drängen1 sich die Männer in Turbanen oder Kopftüchern (nur in der Türkei hat das „Hutgesetz“ Atatürks an Stelle dieser malerischen Kopfbedeckungen die Schirmkappe gesetzt) und in den Lokalen verschwinden riesige Mengen von Reis, Zwiebel und Hammelfleisch mit Fladenbrot von den Tischen.

Freilich sind dem gewöhnlichen Volk die höheren Stufen des Fastens unbekannt und auch schwer zugänglich. Es hält mit bewunderungswürdiger, kindlicher Treue die Speisevorschriften und betet zu den vorgeschriebenen Zeiten in deT vorgeschriebenen Weise. Der zweite Grad des Fastens aber verlangt, daß man sich „frei von allen sündhaften Vorstellungen“ hält, was nur , wenigeren n męĮ?]aaį schein dri p Grad ; soll man überliai pti;a)len weltliche, Wünschen entsagen, ein Gott zugewandtes Leben führen und sich für den letzten Lebenstag vorbereiten, dermaßen, daß schon eine gedankliche Abweichung von Gott als Bruch des Fastens bezeichnet wird.

Mohammed hat den Ramasan im zweiten Jahre nach der Flucht nach Medina eingeführt; der; siebenundzwanzigste Tag des Monats gilt als der Zeitpunkt, da in der „kadir gedschesi" (in der Nacht der Macht) angeblich der „kur’an“ geoffenbart wurde.

Wann deT gläubige Mohammedaner in diesem Monat schläft, bleibt dem Fremden oftmals ein Rätsel. Bis gegen Mitternacht sind Lokale wie Moscheen angefüllt von Menschen; lange vor Beginn des neuen Tages aber durchlaufen Moscheediener die Straßen, um durch lautes Trommeln alle zum „sahur“ (dem Mahl vor Beginn des neuen Tages) zu wecken. Noch einmal, ein letztes Mal, füllt jeder sich den Magen und ist nicht immer überzeugt davon, daß Fasten tatsächlich gesund sein soll. In der Tat geht die Quantität des Genossenen meist über das. sonstige Maß hinaus, was unserer Anschauung von Fasten direkt widerspricht. Die Mohammedaner wieder schütteln den Kopf, wenn sie unsere — nach ihren radikalen Vorschriften lau wirkende — Fastenzeit betrachten und nennen sie daher einfach „perhis“ (Diät).

Gegen Ende des „heiligen Monates“ wird die Spannung, die durch diese Art des Fastens fast notwendig bedingt scheint, geradezu hörbar. Eine ungeheure Nervosität macht sich in diesen ansonsten unbeweglich wirkenden Ländern breit und läßt auch den Ausländer die Sehnsucht mit- fiihlen, mit der jedermann die schmale Silbersichel des neuen Mondes erwartet. Längst hat eine Art von vorbereitendem Sturm auf alle Süßwarenläden eingesetzt, um nur zum „scheker bayram“ (Zuckerfest) Geschenke bereit zu haben.

Bis es dann endlich so weit ist; Am Abend des 30. (bzw. 29.) Tages sind die flachen Dächer aller Häuser voll von Menschen, die den kommenden Mond sehen wollen, besonders in Arabien, wo man ja auch in der heißen Zeit auf dem Dache schläft. Auf den Baikonen stehen sie, auf den Straßen, überall. In der Moschee aber bezeugen ehrwürdige Männer, daß der Mond nun tatsächlich erschienen sei; die Lampen flammen auf und ein Kanonenschuß hallt über das Land: die Fastenzeit ist beendet.

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