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RAN DBEM ERKU NGEN zur woche

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IM ZUGE SEINER KONTAKTNAH ME mit den führenden Persönlichkeiten seines Amtsbereiches stattete der österreichische Gesandte in Budapest, Dr. Waliher Peinsipp, am 21. September Erz-bischof Dr. Groesz als dem Präses der ungarischen Bischofskonferenz in Kalocza einen Besuch ab. Erzbischof Dr. Groesz, der einen Teil seiner theologischen Studien seinerzeit in Wien absolvierte, gab seiner Freude über diese Wiederanknüpfung alter Beziehungen Ausdruck. Es war das erste Mal seit 1948, dafj ein diplomatischer Vertreter dem Präses der ungarischen Bischofskonferenz einen Höflichkeitsbesuch abstatten konnte, wie er im Westen allgemein üblich ist. Es darf ferner als ein Zeichen sich erfreulich ändernder Verhältnisse dem österreichischen Nachbarn gegenüber gewerfef werden, dafj dieser Besuch möglich war und dafj eine derartige Kontaktnahme von den gegenwärtigen Leitern der ungarischen Aufjenpolitik selber als ein Akt der Usance und der Höflichkeif einer führenden Persönlichkeif des kulturellen Lebens Ungarns gegenüber verstanden wurde. Es stehf zu hoffen, dafj dieser Besuch des österreichischen Gesandten mit dazu beitragen wird, die in den letzten Jahren leider abgerissenen gutnachbarlichen und freundschaftlichen Verbindungen zwischen den beiden Ländern zu erneuern.

„ABENDDÄMMERUNG.“ Unfer dem Titel „Mitteilung“ kündigte vergangene Woche Wiens kommunistisches Miitagsblatt sein bevorstehendes Abscheiden an. Mit nüchternen Worten empfiehlt sich die Redaktion und gibt ehrlich zu, dah der ständige Leserschwund die Weiferführung des durch acht Jahre erschienenen Blaffes kommerziell nicht mehr gestattet. „Der Abend“ hatte keine leichte Aufgabe. Boulevardblatt und Instrument einer Parfeiideologie in einem zu sein: das ist ein Auffrag, an dem neunzig von hundert scheitern müssen. An der Wiege des „Abend“ stand 1948 noch die Erinnerung an jenen alten „Abend“ aus der Ersten Republik, der als unabhängiges linksgerichtetes Boulevard- und Skandalblaft in der Pressegeschichte Oesterreichs einen bestimmten Typ verkörperte. Doch auch ein schlechter Ruf verpflichtet. Allein das innenpolitische Klima war einem Blaff wie dem „Abend“ nicht günstig. Sobald er als Instrument der kommunistischen Propaganda erkannt war, hatte er sich seinen Leserkreis selbst begrenzt. Mitunter freilich versuchte er das sfarre Gesetz der parteidoktrin zu durchbrechen und eigene journalistische Wege zu gehen — was stets von heftigen infernen Auseinandersetzungen begleifef war. Ueber die poii-fische Richtung des Blattes ist ebenso wenig, ein Wort zu verlieren, wie über die Tatsache, dal; eine breite Leserschaft aus bekannten Gründen das Interesse verweigerte. Ein Treppenwitz der Publizistik aber ist, dar; er auf dem Asohalt von einigen anderen Mittagsbläftern überrundet wurde.

EINE UNTERGRUNDARMEE IM KOMMEN! Die

Versuche, das Problem der sogenannten „Halbstarken“ von amtlicher Seite her zu bagatellisieren, mehren sich. Die einen sagen, dafj es überhaupt keine Halbstarken gäbe. Habe man doch „hierorts“ noch keine zu Gesicht bekommen. Also sind sie, weil nicht „amtsbekannt“, eben nicht vorhanden. Die anderen warnen, die Jugend ja nicht zu beleidigen, bestenfalls zu beschwören und zu diesem Zweck dem Medizinmann der Kultivierten, dem Psychoanalytiker, zu überlassen. Nun wird das Problem der „Halbstarken“ aber allmählich so gewichtig, dafj man es kaum übersehen kann. In der deutschen Bundesrepublik haben in den letzten Wochen ganze Banden bis zur Regimentssfärke von 2000 „Mann“ der Polizei regelrechte Gefechte geliefert. Wer die Berichte liest, die sich mehren, muh fast das Bestehen einer neuen „Unfergrundarmee“ annehmen, die sich ihre Angriffsziele nach Bedarf wählt. Einmal ist es der bayrische Innenminister, dann sind es Angehörige der Bundeswehr, dann wieder Passanten, die den Rowdies einfach im Weg stehen. Derzeit ist es vor allem die Wehrdienstpflicht, welche das „Unbehagen“ der bundesdeutschen Halbstarken hervorruft. Nun ist es beileibe kein Antimilitarismus an sich, der den Rowdies die Gatle hochgehen läfjt, sondern lediglich die Tatsache, dafj Dienstpflicht Disziplinierung der sonst freien Aggressionskräffe bedeutet, Gehorsam und Dienst. Dagegen sind sie nun, die neuen Illegalen. Offensichtlich aber spielt, das gilt für die Bundesrepublik, eine ostdeutsche Fernlenkung auch eine Rolle. Bei den lelzten Krawallen in der Zonengrenze nahegelegenen Orten konnte man bereits das Vorhandensein von Jugendlichen aus der Ostzone feststellen, die, in Bürgerkriegstaktik geschult, ein kleines Praktikum absolvierten. Wenn sich nun die KP der Halbstarken bedienen würde, käme ein neues Element in die deutsche Innenpolitik. Wir in Oesterreich erinnern uns, wenn wir die bundesdeutschen Zeitungsberichte über den „inneren“ Aufstand lesen, noch gut an andere • „Halbstarke“, die wir in den Jahren von 1933 1 bis 1938 in der Gestalf von NS-Jünglingen über I uns einbrechen sahen. So wie heute in der i Bundesrepublik eine anerkannte Autorität fehlt, 1 war es darrials in Oesterreich. Das Regime war l nur feilrepräsentafiv. Der Kampf gegen die . Regierung wurde daher in manchen Kreisen nicht als illegitim angesehen. Das gleiche vollzieht sich nun im „Reich“., j

UTOPIA. Die kommunistische Tschechoslowakei erwartet wieder einmal eine Reform ihres Schulwesens. Fast alljährlich wird zu Lasten der hin-und hergezerrten Jugend am Lehrstoff und an seiner Einteilung für die verschiedenen Jahrgänge herumgebasfeif — von der Namensänderung der jeweils zur Verehrung befohlenen Heroen ganz abgesehen. Im vergangenen Jahr hat die Wut der Eltern über die Ueberlastung der Schulkinder, dem allgemeinen „Tauwetter“ seit Stalins Verdammung entsprechend, besonders kräftigen Ausdruck erreicht. So fühlte sich zum Beginn des neuen Schuljahres der Minister selbst gezwungen, auf die Unzufriedenheit einzugehen und in Presseinterviews Besserung und Abhilfe für die schwergeplagte Jugend zu versprechen. Schulminisfer Frantisek Kahuda hol vor allem auf die Frage zu antworten gehabt, ob im neuen Schuljahr die Ueberlastung der Schüler abgeschafft werden würde, die „durch den Umfang des Lehrplanes und der Lehrbücher wie auch durch die Ueberorganisierung des Schullebens“ verursacht worden ist. Schon die von der offiziellen tschechischen Presse wiedergegebene Fragestellung beweist, dafj man von oben her bereif ist, ein Ende des bisherigen Zu-standes mindestens zu versprechen. Minister Kahuda erwidert mit einer Aufklärung und mit einem Versprechen. Er plaudert, der Grund der Ueberlastung der Schüler (nach dem er an sich gar nicht gefragt worden ist) besiehe darin, dafj die Verfasser der Lehrpläne und der Schulbücher sich bemüht hätten, den gesamten Lehrstoff der früheren „Auswahlschulen“ in eine kürzere Studienzeit hineinzuzwängen. Der Text der Lehrbücher sei auch darum zu anspruchsvoll geworden, weil sie in ihrem Bestreben, das abstrakte Denken der Schüler zu entwickeln, die Erklärung des Stoffes häufig kompliziert haben. Jetzt aber werde an den neuen Lehrplänen und Schulbüchern gearbeitet, deren Einführung für das Jahr —1960 (!) angesetzt sei. Es isf also mit Lehrplänen und Schulbüchern nichts anders als mit dem roten Paradies im allgemeinen: es isf für die fernere Zukunft plakatiert, indes man heute weiter herumdoktert.

BLEIBT TOGLIATTII Ueber zwei Monate ist es her, dah Palmiro Togliatfi in die Oeffentlichkeif floh und fast freuherzig bekannte, er sei mehr als ein Jahrzehnt hindurch das Opfer grober Täuschungen und Irreführungen durch die Moskauer Gewalthaber gewesen. Das einer italienischen Zeitschrift gewährte Interview enthüllt uns einen Togliatfi, der, nachdem er zwanzjg Jahre in Moskau im Schatten des Grofjfyrannen gelebt, von dessen Unfehlbarkeit so tief durchdrungen zu sein schien, dafj er ihm blind vertraute und, um der gemeinsamen Ideale willen, sich mitunter nicht scheute, über Leichen zu gehen. Togliatfi war weniger blutrünstig, als es die im Dunstkreis der Moskauer Despotie verbrachten Jahre erwarten liehen. Der Mittelmeermensch konnte sich mit solchen Gewalfmelhoden nicht anfreunden. Statt dessen bewährte sich der Ifaliener auf einem anderen Feld, den des Menschenfanges und der Organisation. Ihm gebührt das Verdienst, die stärkste kommunistische Partei außerhalb des Sowjets- und Safellifenbereichs neu gegründet und aufgebaut zu haben, ein Verdienst, das ihm nicht einmal der ihm wegen seines geringen revolutionären Elans zürnende Stalin hatte absprechen können. Nun hat sich eine Wende angekündigt. Für Togliatfi traf das Unvorhergesehene ein. Er, der alles andere ist als ein Gefühlsmensch oder gar ein Schwärmer, erkannte plötzlich, wie sein gewaltiger Bau, den er auf den breiten Fundamenten des Stalin-Kultes errichtet hatte, durch die Bekenntnisse Jnd Enthüllungen Chruschtschows ins Wanken gerief. Und Togliatfi, der Mann der fast nackten Vernunft, reagierte zunächst ganz natürlich. Er, ier schon in den hohen Führungsgremien safj, als der heutige Zerstörer des Stalin-Mythos noch Is Dutzendmensch in den unferen Rängen agierte, setzte sich in seinem Interview offen zur Wehr und klagte an. „Warum habt Ihr, sngste Mitarbeiter des nun Gestürzten und Ent-ährfen, die Ihr seine Missetaten und Fehler annfef, ja, am eigenen Leibe zu spüren be-:amf, nicht eingegriffen, ja Half geboten, warum iehet Ihr das Unheil geschehen? Wir fragen uns nit Recht: Hättet Ihr Euch in der öffentlichen Jnd feierlichen Lobpreisung dieses Mannes nichf nähigen müssen . . .? Büfjf Ihr nicht einiges von Euerm Prestige ein, da Ihr nun solche Kritik Jbf?“ Der bedächfiqe Togliatfi, der sich vor wenigen Wochen öffentlich rühmte, die „Wirk-ichkeit der Dinge“ zu verstehen und, hätte er ein Leben neu zu leben, genau das gleiche zu un, was er bis heute tat, war einen Augenblick inschlüssig, ob er nun, nachdem die Moskowiter einen und seiner Leute „Grofjen“ aestürzt, einen lalienischen, von Moskau unabhänqigen Kom-nunismus aufrichten sollte. Er liefj sich aber bald ur Ordnung rufen, als nämlich seine Sendbofen ron dem kurzen Besuch in Rußland mit präzisen, inderslautenden Befehlen zurückkehrten. Nun isf r wieder linientreu und wird seinen qeschmei-ligen Intellekt dazu nutzen, den Millionen bis lestern eraebenen Gefolgsmannen die .neue ehre“ zu künden, die unfer Verleugnung der Ireifjiajähriaen Gewalfherrschaff Stalins bei dem chfen, dem grofjen Kommunisten Lenin an-nüpft. Wird ihm das gelingen?

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