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Randbemerkungen zur woche

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DER GROSSE RAUSCH ist nun vorüber. Endgültig. Diesmal auch an der Salzach. Die Bundesverbandsleitung der „Unabhängigen“ hat ihrem ehemaligen Barden die Freundschaft gekündigt. Sie „findet es unter ihrer Würde, sich mit einem solchen politischen Abenteurer, wie Erich Kernmayer, der von niemand mehr ernst genommen wird, auseinanderzusetzen“. Der „Fall Kernmayer“ ist über eine interne Auseinandersetzung im Lager der parlamentarischen Rechten hinaus von Interesse. Erich Kern (den -mayer hatte er nach 1945 der neuen Zeit zum Opfer gebracht): das war der literarische Stolz aller jener, die nichts vergessen und nur sehr wenig aus dem Weltuntergang — dem Untergang ihrer Welt — gelernt hatten. Erich Kern: das war der Deuter und Künder vergangener Jahre, wie sie gewisse „nationale“ Kreise gerne sehen wollten. Wie ein Rausch überkam es seine Leser von seinem ersten Werk an, das mit Fug und Recht „Der große Rausch“ hieß. Sie gesellten sich ihm zu wie ehedem die Scharen dem Rattenfänger von Hameln. Es kann hier nicht verschwiegen werden, daß diese Sorte „Literatur“ zum Erfolg wurde durch ihre planmäßige Steuerung in der Presse jener politischen Gruppe, die nun am liebsten den Namen Kernmayer niemals gehört haben möchte. Da wurde er also nun aufgezogen, mit allen Registern einer wohlerworbenen Beredsamkeit, der neue Stern, als Sprachrohr, als Mund und Herzkern aller Gestrigen, als der Künder ihrer Größe, als Mittler ihrer Sehnsucht und Prophet kommender Erfüllung. Die alte Front schälte sich hier immer deutlicher in der „Neuen Front“ heraus. Und nun ist es plötzlich aus mit Liebe und Freundschaft. Mehr noch: die Bundesverbandsleitung des VdU ist gar nicht zart in ihren Anspielungen auf Kernmayers Vergangenheit. Und nicht nur auf seine politische. Es sind gar nicht schöne Sachen, die da wieder einmal ans Tageslicht kommen. Seltsam, seltsam: obwohl die Vergangenheit dieses, sagen wir jetzt mit der „Neuen Front“, „politischen Abenteurers“ seit vielen Jahren stadtab, landauf in ganz Österreich bekannt war und mehrmals auch in Zeitungen öffentlich dargestellt wurde, war es möglich, daß erstens K.s „Werke“ in zahlreichen Buchhandlungen — oft gerade solchen von sehr konservativer Prominenz — an hervorragender Stelle ausgestellt wurden, zweitens, daß „seine“ Partei, eine im Nationalrat vertretene Partei, sich von ihm erst lossagte, als er in ihr nach dem höchsten strebte: nach dem Kopf des Parteiobmanns. — Bis dahin nämlich, bis zu diesem parteiinnenpolitischen Exzeß, durfte nicht an ihm gerüttelt werden: an Namen und Ehre dieses größten „nationalen“ Schriftstellers, Künders und Deuters der Schicksale der Nation.

ZUERST HAT MAN ES NICHT ZU GLAUBEN VERMOCHT. Das wäre doch zu altmodisch, vergilbt, aus der Ideologie des Bürgertums von 1870 stammend ... Bis die Bestätigung kam: Minister Dipl om-Ingenieur Waldbrunner hat die Limbergsperre des Kapruner Kraftwerkes als „Österreichs Nationalheilig-t u m“, wie er selbst in seiner Eröffnungsansprache sagte, „eingeweih t“. Blenden wir kurz zurück. Das nationalliberale Bürgertum des 19. Jahrhunderts, dem die Oper, der Konzertsaal, das Theater und das Museum in seiner Bildungsreligion Ersatz für das Gotteshaus geworden war, liebte es, jene Stätten der Kultur durch die Reden seiner beamteten und nichtbeamteten Vertreter „einzuweihen“. Sehr schnell begriff der imperialistische, bürokratisch-militante Staat die sich ihm hier darbietende einzig-artige — nicht einmalige — Gelegenheit: er begann also mit der „Einweihung“ von Schulen und Eisenbahnen, Brücken und Denkmälern, um sehr schnell zur „Weihe“ von Kasernen, „nationalen“ Ehrenmalen, Kriegsschiffen und Rüstungsbetrieben fortzuschreiten. Beamte, Minister, Professoren und Generale, die sich in Parlamentsdebatten oft sehr heftig gegen „klerikalen Machtwahn“ aussprachen, weihten also ihre Werke unter der Devise „Wissen ist Macht“, dann der Parole „Alle Macht dem Staate, alle Macht dem Volke“, bis der Krieg ihnen die Worte und die Macht benahm. Kaprun zum „österreichischen Nationalheiligtum“ zu „weihen“, kann man entweder leichthin phraseologisch nehmen: dann führt sie zurück zu den Weihereden der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts, die nicht mehr zwischen Gott und Welt, niederem und höherem Wert, heilig und unheilig, Immanenz und Transzendenz unterscheiden konnte und deshalb ihre „heiligsten Güter“ zuerst in Kleingeld von „Bildungsgütern“ umwechselte und sie sodann verzweifelt auf den Schlachtfeldern suchte. — Diese Idee kann man aber auch bitterernst nehmen, dann führt sie heute strikte, direkt und ohne Ausweichmöglichkeiten zur Sowjetideologie: „heilig“ ist die Arbeit, „heilig'' das Volk, „heilig“ sein Regime, das ihm alle

Güter dieser Erde in Kulturparks, Fabriken und anderen Anlagen mittelt. Herr Minister Waldbrunner wird sich also entscheiden müssen: er wird entweder den Weg spät-bourgeoiser Kultur- und Machtideologie oder sowjetischer Heilslehre gehen müssen — eine dritte Phrase, eine dritte Phase gibt es nicht, so man das Heil vom Kraftstrom der Erde allein erwartet.

EIN „RÄUBERBÜCHL“ hätte sie auf den Geschmack gebracht: so die Aussage von zwölf Schulkindern, die in einem kleinen niederösterreichischen Dorf eine Räuberbande gebildet, und zwar meist nur Schokolade, diese aber in einer unerhört raffinierten — man konnte fast schon sagen: genialen — Weise gestohlen hatten. Ungefähr zur selben Zeit prügelte in Oberösterreich ein Minderjähriger seinen kleinen Spielgefährten fast zu Tode — den detaillierten Hinweis darauf, wie man das macht, hatte er aus dem „Detektivbüchl“. Und abermals ungefähr zur selben Zeit standen irgendwo in Niederösterreich einige junge Burschen vor Gericht, angeklagt eines bestialischen Mordes. Die Vermutung trog nicht: auch sie hatten ihr „Räuberbüchl“ sorgfältig studiert. — Es ist mit Präzision und Pünktlichkeit eingetroffen, was vorherzusagen der „Furche“ vor einigen Monaten auch nicht weiter schwergefallen ist: der Schmutz und Schund in der Literatur, der sich, durch einige energische öffentliche Maßnahmen eingeschüchtert, in die dunkelsten Winkel verkrochen hatte, wagt sich nun, da es um ihn ruhiger geworden ist, still, aber nicht bescheiden, wieder ans Tageslicht. Die Zeitungsstände billigen ihm wieder von Woche zu Woche mehr Raum in ihren „Auslagen“ zu; und man hat das unbestimmte, aber auch unabweisliche Gefühl, als suche er, ein Unkraut, das sich schnell überall ansiedeln kann, neue Absatzgebiete: die Dörfer im weiteren Umkreis der Städte, in denen man immerhin vor ihm schon gewarnt ist... »

tLET HEISST DAS LEBEN, „Biet“ nennt sich auch eine Zeitschrift der katholischen Ungarn im Ausland. Dieser Titel ist schon ein Programm. Es fehlt nämlich das Wort „Emigration“. Und in der Tat, die heutigen Auslandsungarn wollen keine Abkapselung und Entfremdung von der Wirklichkeit, der so viele Emigranten auch der ungarischen Geschichte zum Opfer fielen. Wenn die Ungarn in fremden Ländern die» ser Gefahr entgehen werden, so wird das in hohem Maße ihrer katholischen Presse zu verdanken sein. Das „Elet“ wendet sich in erster Linie an die je etwa zehn- bis zwölftausend Ungarn in Westdeutschland und Österreich, aber auch an die hunderttausende in aller Welt. Die Leser werden nicht nur über das Geschehen in Ungarn, sondern auch über das Schicksal ihrer in der ganzen Welt zerstreuten Landsleute informiert, und man will in ihnen die Ideale eines besseren Ungartums und das chrisU liehe Gedankengut wachhalten. Das Blatt erscheint zweiwöchentlich in Innsbruck. Als Eigentümer zeichnet Msgr. Dr. Josef Zägon, der vom Papst ernannte apostolische Visitator der Flüchtlingsungarn. „Katoli-kus Szemle“ („Katholische Rundschau“), eine Vierteljahrschrift, erscheint in Rom. Ihre Fachartikel sowie ihre Bücherschau zeugen von Weltaufgeschlossenheit, hohem Niveau und vor allem von konstruktivem Geist, was man sonst nicht allen Emigrantenzeitungen nachsagen kann. Hier gibt es viel Parteihader und persönliche Anfeindungen bis zum Überdruß. Einige Blätter allerdings mahnen immer wieder zur Besonnenheit. Gegenwärtig erscheinen fast hundertfünfzig ungarische Zeitungen und Zeitschriften in der freien Welt. Sämtliche Konfessionen, Berufsgruppen, Jugendorganisationen haben ihr Sprachrohr, und dann ist freilich auch fast das gesamte politische Spektrum vertreten, mit allen erdenklichen Nuancen — und Ressentiments. Die auf den westlichen Zeitungsständen oft gesehene Münchener „Hungaria“ kämpft oft und gern, während die protestantische Monatsschrift „U j Magyar Ut“ sich häufig mit modernen Wirtschafts- und Sozialproblemen befaßt. Am kapitalkräftigsten sind die in den USA erscheinenden Zeitungen, da sich ihr Leserkreis aus mehreren Generationen ausgewanderter und bereits beheimateter Ungarn rekrutiert. Die größte ungarische Zeitung (das Vorkriegsungarn einbegriffen) heißt „Amerikai-Magyar N & p s z a v a.“ — „American-Hungarian People's Voice“ — New York, Jahrgang 52. So ist es eigentlich erstaunlich, daß die Ungarn bisher kein zugkräftiges Presseorgan in den großen Weltsprachen besitzen, obwohl gerade dieses ihnen die beste Möglichkeit geben würde, mit der Öffentlichkeit des Westens ins Gespräch zu kommen.

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